Bundesverfassungsgericht

Klage einer Erzieherin gegen Kopftuchverbot stattgegeben

Das Bundesverfassungsgericht gab der Klage einer muslimischen Erzieherin gegen ein Kopftuchverbot am Arbeitsplatz statt. Damit widersprach das Verfassungsgericht den Beschlüssen von drei Arbeitsgerichten.

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2016
Symbole Bundesverfassungsgericht, Gesichtsschleier
Symbolbild: Bundesverfassungsgericht © by Mehr Demokratie e.V. auf Flickr (CC BY-SA 2.0), bearbeitet islamiQ

Das Bundesverfassungsgericht hat der Klage gegen ein berufliches Kopftuchverbot einer muslimischen Erzieherin mit Kopftuch aus Baden-Württemberg stattgegeben. Das Gericht verwies auf den bereits bestehenden Beschluss darüber, dass ein pauschales Kopftuchverbot im Schuldienst nicht verfassungsgemäß ist.

Die staatlich anerkannte Erzieherin mit türkischem Migrationshintergrund ist bei einem Kindergarten der Stadt S., gegen die sie Klage erhoben hat, seit September 2003 in Teilzeit beschäftigt. Zuvor war die 34-jährige Erzieherin in einem Kindergarten, ebenfalls in kommunaler Trägerschaft, als Praktikantin tätig.

Das Arbeitsgericht lehnte die Klage ab

Die Stadt forderte die Erzieherin auf, ihr Kopftuch während der Arbeitszeit abzulegen. Nachdem die Erzieherin dies ablehnte, wurde sie von ihrem Arbeitgeber abgemahnt. Die Erzieherin klagte vor dem Arbeitsgericht gegen die Abmahnung und forderte die Entfernung dieser aus ihrer Personalakte. Das Gericht wies ihre Klage ab. Ihre eingelegte Berufung vor der nächsten Instanz, dem Landesarbeitsgericht wurde ebenfalls abgelehnt. Das Bundesarbeitsgericht wies die Revision der Erzieherin schließlich auch zurück.

Als Begründung führte das Gericht unter anderem an: „Die Beschwerdeführerin habe mit dem Kopftuchtragen das Bekundungsverbot gemäß § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. bewusst und dauerhaft verletzt. Das Verhalten der Klägerin sei geeignet, die Neutralität der beklagten Stadt gegenüber Kindern und Eltern einer Kindertagesstätte und den religiösen Einrichtungsfrieden zu gefährden.“

Bundesverfassungsgericht: Pauschales Kopftuchverbot verfassungswidrig

Daraufhin reichte die Erzieherin Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein, das ihrer Klage nun stattgab. Die Ausgangsgerichte hätten insbesondere die Bedeutung der Religionsfreiheit verkannt, so das Gericht.

„Das Gewicht der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit des Personals von Kindertagesstätten in öffentlicher Trägerschaft erfordert demnach – wie im Bereich der Schule – jedenfalls für die hier gegebenen Fallkonstellationen eine reduzierende verfassungskonforme Auslegung“, heißt es in dem aktuellen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts.

Das Verfahren wurde nun an die erste Instanz, also an das Arbeitsgericht, zurückverwiesen mit der Auflage, die Grundrechtsabwägung entsprechend dem BVerfG-Beschluss zum Kopftuch im Schuldienst vorzunehmen.

Muslimische Vertreter beziehen Stellung

Zu der Verfassungsbeschwerde haben unter anderem das Aktionsbündnis muslimischer Frauen in Deutschland (AmF) und die Türkisch Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB) bei Gericht Stellung genommen.

„Wir freuen uns, dass das Verfahren, zu dem uns das BVerfG im Vorfeld die Möglichkeit einer Stellungnahme eingeräumt hat, jetzt auch für den Bereich der Kinderbetreuung endgültig Klarheit geschaffen hat. Nach dem Beschluss von 2015 war im Ergebnis nichts anderes zu erwarten. Dennoch ist es wichtig, dass gerichtlicherseits noch einmal klargestellt wird, dass ein pauschales Verbot religiöser oder weltanschaulicher Zeichen – und davon können auch andere, als nur muslimische Frauen getroffen sein – diskriminierend ist und dem Gebot der staatlichen Neutralität zuwider läuft.“, kommentiert der AmF-Vorstand den Gerichtsbeschluss.

Ein Kopftuchverbot, das bereits eine abstrakte Gefährdungssituation ausreichen lasse, stütze sich auf keiner empirischen Grundlage und sei auch deswegen unverhältnismäßig. Schließlich treffe das Kopftuchverbot in seinen Auswirkungen ausschließlich muslimische Frauen und sei damit mittelbar diskriminierend, hielt das Aktionsbündnis vor Gericht fest.

Auch nach Ansicht der DITIB sei die Verfassungsbeschwerde der Erzieherin berechtigt. Die Religionsgemeinschaft verwies auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungswidrigkeit eines pauschalen Kopftuchverbotes im Schuldienst und forderte diesen Beschluss auch auf diesen Fall anzuwenden.

Leserkommentare

Ute Fabel sagt:
Wieder ein Gericht, dass offenbar davon ausgeht Kopftücher seien angewachsen. Dabei kann man sie ganz einfach ablegen wie ein kommunistisches Blauhemd oder jede andere Uniform. Viele Migranten aus dem arabischen Raum oder der Türkei vertreten mit großer Überzeugung säkulare Werte. Der türkische Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk hat die Trennung von Staat und Religion hochgehalten. Erdogan versucht Politik und Religion wieder zu verschmelzen. Wohin das führt, kann man in jeder Tageszeitung lesen.
28.11.16
18:27
Ute Fabel sagt:
Hoffentlich findet sich bald ein atheistischer Erzieher, die tagein tagaus einen Button mit der Aufschrift "Gut ohne Gott" im Dienst tragen will. Er sollte sich genauso auf seine Religionsfreiheit berufen und dasselbe Gerichtsverfahren führen. Mal sehen, ob die Rechtsprechung dann nicht doch einen Schwenk macht. Interessieren würde mich wirklich, ob DITIP sich über ein solches Verfahren auch als sehr freuen würde. Ich denke nicht, denn in Wirklichkeit geht es den Islamverbänden nicht um Vielfalt sondern um die erfolgreiche Etablierung einer Religionsuniform im Berufsleben,
29.11.16
4:46
all-are-equal sagt:
Bei Religion sollte es eigentlich um innere Werte gehen, die zu pflegen sind, und nicht um reine Äußerlichkeiten. Ich finde, dass es ein totales Armutszeugnis ist, wenn manche Menschen zu einem Stück Stoff ein derartig fetischhaftes Verhältnis haben, dass sie nur wegen einem Kleidungstück bis zu den Höchstgerichten gehen. Für mich ist das eine Form des Götzenkultes. Sind Götzenkulte nicht eigentlich gegen die Grundsätze des Islams?
29.11.16
7:50
Andreas sagt:
Es geht gar nicht darum, ob das Kopftuch abnehmbar ist oder nicht. Es geht auch nicht darum, ob die DITIB irgendwelche finsteren Pläne verfolgt. Letzteres wäre ein Fall für die Polizei oder den Verfassungsschutz. Und schließlich geht es auch nicht darum, ob Nichtmuslime das Kopftuch irgendwie anachronistisch oder lächerlich finden. Es geht allein um die Menschenrechte und die Grundrechte. Zu diesen Rechten gehört neben anderen das Recht auf freie Religionsausübung. Wenn nun eine Muslima zu dem Ergebnis kommt, dass es ihre religiöse Pflicht ist, ein Kopftuch zu tragen, dann ist dies durch die Religionsfreiheit abgesichert. Unabhängig im übrigen auch davon, ob andere Muslime zu einem anderen Ergebnis kommen. Dem stehen zudem säkulare Werte nicht entgegen. Beim Sekularismus geht es um die politische Entflechtung von Staat und Religion, nicht darum, dass die Menschen ihre Religion nur im Verborgenen praktizieren dürfen.
29.11.16
16:26
Laila Mechem sagt:
Diese ständigen Gerichtsverfahren wegen Verhüllungstüchern am Kopf als demonstrativer Ausdruck islamischer Gläubigkeit zeigen auch, wie fanatisch diese Religionsideologien und Koran-Interpretationen aufgefasst und vehement durchgesetzt werden sollen.
30.11.16
1:44
Ute Fabel sagt:
@Andreas: Wenn ich der Meinung bin, dass es meine religiöse Pflicht ist, immer ein Plaster auf den Nasenrücken zu kleben, ist das dann auch durch meine Religionsfreit abgesichert. Oder muss sich eine religiöse Pflicht aus alten Büchern unklarer Autorenschaft oder durch selbsternannte Religionsgelehrte ergeben? Der Europäische Gerichtshof hat bezüglich des Verbots des auffälligen Sichtbarmachens der eigenen Religion im öffentlichen Schulsystem, das in Frankreich seit 2004 auch für Schüler gilt nachdem es für Lehrer schon 1905 eingeführt wurde, erkannt, dass die Verteidigung des Säkularismus vorrangig ist und eine Einschränkung der Religionsfreiheit rechtfertigt.
30.11.16
13:40
Enail sagt:
@ Andreas: Ich kenne aus eigener Tätigkeit verschiedene Kindertagseinrichtungen. Aus Erfahrung kann ich sagen, dass es mit muslimischen Eltern in schöner Regelmäßigkeit Probleme gibt, weil sie eine Erzieherin nicht respektieren und akzeptieren, weil eben nur Frau. Und jetzt kommt eine Erzieherin mit Kopftuch daher. Glauben Sie mir, die Akzeptanz einer Mitarbeiterin ohne Kopftuch wird dadurch noch mehr untergraben. Ich, als nicht muslimisches Elternteil dieser Einrichtung, würde verlangen, dass sie dieses Zeichen einer Religion entfernt. "Wir haben keinen Kruzifixstreit an der Schule", sagt der Schulleiter. Der Vater habe sich an der sehr aufs Kreuz bezogenen Morgenandacht gestört. Deswegen habe man das Kreuz abgehängt, entsprechend der Rechtslage. Dies bedauere er zwar auch, sagt der Direktor, aber er verweist auf das Bundesverfassungsgericht. Das stellte 1995 fest, dass die bis dahin zwingend vorgeschriebenen Kreuze in Bayerns Schulen gegen das staatliche Neutralitätsgebot verstoßen und auf Anforderung abgehängt werden müssen. Man musste der Forderung eines Vaters nachkommen, der sich am Kreuz im Klassenzimmer störte. Und genauso könnte man jetzt im vorliegenden Fall eines Kopftuches argumentieren. Als Elternteil stoße ich mich daran, dass mein Kind ständig durch das Kopftuch auf eine bestimmte Religion hingewiesen wird. Könnten Sie mir vielleicht den Unterschied zwischen Kreuz, dieses hängt an der Wand und findet vielfach keine Beachtung, und dem rel. Kopftuch, das mir dauernd vor die Nase gehalten wird, erklären?
30.11.16
20:15
Johannes Disch sagt:
@Ute Fabel Nochmal: Sie können Deutschland nicht mit Frankreich vergleichen. Frankreich ist ein laizistischer Staat. Deutschland hingegen nicht. Mein Güte, wenn Sie tatsächlich Juristin sind, wie sie in einem Posting zu einem anderen Artikel behaupten... Sie vergleichen am laufenden Meter Äpfel mit Birnen.
03.12.16
2:36
Andreas sagt:
@Enail: Wollen Sie allen Ernstes behaupten, dass alle muslimischen Eltern "Probleme machen"? Und das es keine Probleme mut nichtmuslimuscgen Eltern gibt? Das deckt sich nicht mit meiner Lebenserfahrung.
04.12.16
0:16
Enail sagt:
@ Andreas: Zunächst habe ich in meinem Beitrag nicht behauptet, dass es mit allen muslimischen Eltern Probleme gibt,(immer schön bei der Wahrheit bleiben,nichts verdrehen oder hinzufügen, was da nicht steht), sondern in schöner Regelmäßigkeit. In einem anderen Post habe ich sogar angemerkt, dass es muslimische Eltern gibt,mit denen die Zusammenarbeit hervorragend funktioniert, die aber leider in der Minderheit sind. Die Probleme liegen einfach darin, dass Muslime oft eine Frau als Gesprächspartner nicht akzeptieren, weil eben Frau. Und zum großen Teil sind nun mal Frauen in Kindertageseinrichtungen tätig. Probleme, die auch mit anderen Eltern auftreten sind aber anderer Natur. Da werden hin und wieder andere Ansichten vertreten, über die man in der Regel gemeinsam spricht und in der Regel auch einen gemeinsame Lösung findet, wobei es hier keine Rolle spielt, dass ich eine Frau bin. Und das Verhalten der Muslime unterscheidet sich darin, dass ich als Frau nicht akzeptiert und respektiert werde, einfach als Frau gar nicht qualifiziert sein kann, irgendwas oder irgend jemand zu beurteilen. Einem konstruktiven Gespräch wird sich erst gar nicht gestellt. Und dies ist nach zig Jahren die Erfahrung die ich in meinem Berufsleben gesammelt habe. Leider! Und wenn ich noch mal nachfragen darf? Was ist jetzt der Unterschied zwischen dem Kreuz an der Wand und dem rel. Kopftuch auf dem Haupt? Beides sind Symbole einer Religion.
05.12.16
23:15
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