Interview

Islamic Relief über Spenden und Krisenarbeit

Im Interview mit dem Geschäftsführer von Islamic Relief Tarek Abdelalem wird die Arbeit und die Grundsätze der islamischen Hilfsorganisation vorgestellt.

07
12
2016
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Islamic Relief Deutschland © facebook, bearbeitet by iQ.

Der Advent ist nicht nur bei Christen eine Zeit, in der sie gerne spenden. Auch Muslime in Deutschland lassen sich von der Atmosphäre anstecken. Tarek Abdelalem ist Geschäftsführer der islamischen Hilfsorganisation Islamic Relief Deutschland. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) äußert er sich über Spendenaktionen zur Weihnachtszeit, gesellschaftliche Vorbehalte gegenüber seiner Organisation und den Zugang, den muslimische Hilfswerke in islamisch geprägten Ländern haben.

Herr Abdelalem, Islamic Relief ist in mehr als 40 Ländern aktiv. Wie unterscheidet sich Ihre Arbeit von der anderer nicht-muslimischer Organisationen?

Tarek Abdelalem: Als muslimische Organisation haben wir einen besonderen Zugang zu Menschen in islamisch geprägten Ländern. Die Achtung vor der jeweiligen Kultur ist ein wichtiger Bestandteil der humanitären Hilfe. Zum Beispiel beim Thema Bildung: Wer will, dass die Mädchen zur Schule gehen, muss zunächst getrenntgeschlechtliche Schulen einrichten. Später kann man dann auf gemischte Schulen umsteigen.

Wie sieht es im religiösen Bereich aus?

Abdelalem: Wasser sparen ist beispielsweise in Jordanien oder Mali besonders wichtig. Um die Bevölkerung zu erreichen, muss man oft mit dem Imam vor Ort sprechen und ihm die religiöse Bedeutung der Thematik bewusst machen. In der islamischen Überlieferung heißt es, man solle auch Wasser sparen, wenn man sich gerade am Meer befindet. Erst wenn der Imam überzeugt ist, können wir bei den Dorfbewohnern etwas bewegen.

Welche Schwerpunkte setzen Sie bei Ihrer Arbeit?

Abdelalem: Vertrauen schaffen bei der Bevölkerung vor Ort und die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen. Wir wollen, dass Gruppen mit unterschiedlichen religiösen Ansichten vertreten sind. Alle Religionen müssen gemeinsam an einem Strang ziehen. Das ist auch eine Botschaft an die Gesellschaft hierzulande und in den Empfängerländern. Es geht immer wieder um die Frage: Wie können wir – ob christlich, muslimisch, jüdisch oder säkular – gemeinsam etwas bewirken?

Wie macht sich dieser Ansatz bemerkbar?

Abdelalem: In vielen Ländern fördern wir Projekte mit anderen internationalen Organisationen. So haben wir zum Beispiel mit dem World Food Programme der Vereinten Nationen ein Projekt in Jordanien für syrische Flüchtlinge unterstützt und ein Projekt im Jemen. Wir versuchen auch in Deutschland, viel mit anderen Gruppen zu kooperieren. Eine Organisation alleine kann die Weltprobleme ohnehin nicht lösen.

Kommen Ihre Spenden vor allem Muslimen zugute oder unterstützen Sie auch Juden, Christen oder Buddhisten?

Abdelalem: Nach unserem Selbstverständnis unterstützen wir Hilfsbedürftige unabhängig von Hautfarbe und politischer oder religiöser Ansicht. Wenn ein Mensch in Not ist, muss man ihm helfen. Dieses allgemeine Gebot geht auch auf die koranische Überlieferung zurück und entspricht den Überzeugungen von humanitärer Hilfe.

Im Moment erleben wir eine stark polarisierte gesellschaftliche Diskussion. Spüren Sie dies?

Abdelalem: Nach den Terroranschlägen in den USA vom 11. September 2001 waren die Vorbehalte deutlich schlimmer. Momentan erleben wir als Organisation Ablehnung gelegentlich, etwa wenn es in den Medien um Islamic Relief geht. Dann gibt es ab und zu Anrufe. Aber wir gehen positiv damit um und sehen diese Anlässe als Ansporn, um noch offener zu werden und noch mehr die Kooperation mit anderen Gruppen zu suchen.

Die Weihnachtszeit ist bekanntlich Spendenzeit. Inwiefern macht sich das bei Islamic Relief bemerkbar?

Abdelalem: Die Weihnachtszeit ist durch eine ganz besondere Atmosphäre geprägt, die natürlich auch Muslime in Deutschland beeinflusst. Islamic Relief organisiert ab Dezember bestimmte Aktivitäten, wie zum Beispiel „Speisen für Waisen“. Muslime und Nicht-Muslime veranstalten hierbei gemeinsame Mahlzeiten und sammeln Geld für Flüchtlingskinder im Nahen Osten.

Welchen Stellenwert hat das Spenden im Islam?

Abdelalem: Einen sehr hohen. In der Koransure 107 heißt es: „Siehst du denjenigen, der das Gericht für Lüge erklärt? Das ist derjenige, der die Waise zurückstößt, und nicht zur Speisung des Armen anhält.“ Die Pflichtabgabe, „Zakat“, beispielsweise, müssen Muslime regelmäßig zahlen. Das heißt: Von dem Gesparten, das unbewegt ein Jahr lang auf ihrem Konto liegt, müssen sie 2,5 Prozent an Hilfsbedürftige spenden. Dann gibt es bestimmte Vorschriften für den Fastenmonat Ramadan: Gläubige müssen pro Tag und pro Kopf in der Familie eine Speise an arme Menschen abgeben. Auch wenn jemand aus bestimmten Gründen nicht fasten kann, muss er dies durch Spenden ausgleichen. Neben dem Ramadan ist das Opferfest ein wichtiger Anlass zum Spenden.

In vielen Krisenregionen sind Dörfer und Städte völlig nach außen abgeschnitten, beispielsweise in Syrien. Wie erreichen Sie, dass Spenden und Hilfsgüter bei den wirklich Bedürftigen ankommen?

Abdelalem: Wir haben sehr gute Kontakte in den jeweiligen Ländern. Deshalb können wir dort lokale Organisationen unterstützen, die in die Krisengebiete gehen, um Hilfe zu leisten. Natürlich müssen wir als Organisation aber auch unsere Standards wahren und auf die Sicherheit unserer Mitarbeiter vor Ort achten.

Wie vermeiden Sie, dass Spendengelder in die Hände von terroristischen Gruppen gelangen?

Abdelalem: Wir haben Büros und unsere eigenen Mitarbeiter. Bevor wir mit einer anderen lokalen Organisation kooperieren, kontrollieren wir, ob diese irgendwie mit Terror in Verbindung steht. Dazu greifen wir auf eine spezielle Datenbank zurück, die viele diesbezüglich relevante Daten beinhaltet, oder wir holen uns Informationen vom Auswärtigen Amt. Am wichtigsten sind aber unsere lokalen Partner vor Ort, mit denen wir uns ständig austauschen. Damit kann ich tatsächlich ausschließen, dass Gelder in die falschen Kanäle gelangen. (KNA/iQ)