Theorie und Praxis

Heiratsalter – aus islamischer Perspektive

Das durchschnittliche Heiratsalter ist je nach Kultur unterschiedlich. Daher scheint die Debatte über Kinderehen bei Flüchtlingen so ausweglos. Wie die islamische Perspektive auf das Heiratsalter aussieht, erklärt Rukiye Gül.

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2016
Ehe
Symbolbild: Ehepaar, Ehe © Sonja Dittler auf flickr, CC 2.0

Aus islamischer Sicht kann eine Familie nach der Eheschließung gegründet werden. Die Familie wird als die kleinste soziale Einheit und das Fundament der menschlichen Gemeinschaft und besonders der islamischen Gemeinschaft betrachtet. Laut dem Koran, der Hauptquelle des Islams, können sich Frau und Mann nur vervollkommnen, wenn sie in der Ehe miteinander verbunden sind. Die Institution Ehe ist ein „Ort“ der Ruhe. Hier sollen Ehepartner, indem sie sich gegenseitig Liebe und Zuneigung schenken, Seelenfrieden, Gelassenheit und Zufriedenheit finden,[1] denn die Ehe trägt zum Schutz der Religion wie auch der Gesellschaft insgesamt bei und festigt die Familie.

Ehemündigkeit in den Rechtswerken

Die Eheschließung im Islam setzt die Volljährigkeit in persönlichen Angelegenheiten (Ehemündigkeit) voraus. Laut islamischem Recht orientiert sich die Ehemündigkeit am Kriterium der biologischen Geschlechtsreife. Daher enthalten die klassischen islamischen Rechtwerke keine Vorgaben für das Mindestheiratsalter. Die islamischen Rechtsgelehrten sind der Meinung, dass es keine immer und überall gültige Altersgrenze für die biologische Geschlechtsreife gibt, denn dies ist von klimatischen, regionalen und gesellschaftlichen Bedingungen abhängig. Nach medizinischem Erkenntnisstand setzt die biologische Geschlechtsreife z. B. in wärmeren Klimazonen früher ein. Je nach Rechtsmeinung wird die Geschlechtsreife bei Mädchen zwischen neun und siebzehn, bei Jungen zwischen zwölf und achtzehn Jahren angenommen. Gemäß der hanafitischen Rechtsschule gilt das Mädchen ab dem siebzehnten und der Junge ab dem achtzehnten Lebensjahr als volljährig.

Ehemündigkeit in den islamischen Staaten

In den meisten Staaten mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung ist – in Anlehnung an das klassisch islamische Recht – die biologische Geschlechtsreife nicht maßgebend. Die Mehrheit dieser Staaten hat im Laufe des 20. Jahrhunderts konkrete Altersgrenzen für die Ehemündigkeit festgelegt. Hierbei ist zu beachten, dass sich die eherechtlichen Rechtsvorschriften in den verschiedenen mehrheitlich muslimischen Staaten deutlich voneinander unterscheiden. Unter Berücksichtigung der veränderten sozialen und wirtschaftlichen Lebensverhältnisse zeichnet sich insgesamt eine Erhöhung des Mindestheiratsalters ab.

Das durchschnittliche Mindestheiratsalter in den islamischen Staaten liegt bei sechzehn Jahren für Mädchen und achtzehn Jahren für Jungen – mancherorts etwas niedriger oder höher, so zum Beispiel in Ägypten bei 16 für Mädchen und 18 für Jungen, in Algerien bei 18 für Mädchen und 21 für Jungen, in Jordanien und Marokko bei 18 und in Libyen bei 20 für beide Geschlechter. Bei Nichteinhaltung dieses Mindestheiratsalters – z. B. bei nicht registrierten Eheschließung – hat man mit strafrechtlichen Konsequenzen zu rechnen. Zum Beispiel ist es in der Türkei verboten, eine Eheschließung vor dem Vollenden des 17. Lebensjahres durchzuführen. Mit Ausnahme der Türkei ist eine religiöse Trauung in den meisten islamischen Staaten gleichzeitig die staatlich anerkannte standesamtliche Ehe. Auch kann eine Ehe rechtlich aufgehoben werden, solange die Ehepartner das entsprechende Mindestheiratsalter noch nicht erreicht haben. Jedoch gibt es in manchen muslimisch dominierten Staaten wie z. B. in Pakistan, Irak und Syrien Ausnahmeregelungen; hier kann die Eheschließung unter Mitwirkung des Vormundes auch vor Erreichen des Mindestheiratsalters gerichtlich beantragt werden. In ländlichen Regionen kommt es vor, dass Minderjährige heiraten, jedoch ist angesichts wandelnder gesellschaftlicher Verhältnisse insgesamt ein Anstieg des Heiratsalters zu beobachten.

Ehemündigkeit in Deutschland

Bei einer Eheschließung in Deutschland wird vom Staat überprüft ob die gesetzlich angeordneten Ehevoraussetzungen vorliegen. Hierbei wird vom BGB zwischen der Ehefähigkeit, welche grundsätzlich Volljährigkeit und Geschäftsfähigkeit verlangt, unterschieden. Ehen in Deutschland sind grundsätzlich erst mit der Volljährigkeit erlaubt, jedoch in Ausnahmefällen – wenn ein Familiengericht zustimmt und der künftige Ehepartner volljährig ist – auch schon mit 16 Jahren.

Durchschnittliches Heiratsalter in Deutschland

Laut Statistischem Bundesamt wurden letztes Jahr ca. 400.000 Ehen in Deutschland geschlossen. Dabei liegt das durchschnittliche Heiratsalter bei 31 Jahren für Frauen und 33 für Männer.[2] Es ist zu beobachten, dass sich das durchschnittliche Heiratsalter in der Praxis insgesamt erhöht hat. Zu den Gründen zählen insbesondere das höhere Bildungsniveau und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, denn bei einer frühen Eheschließung hat man mit finanziellen Konsequenzen zu rechnen. Auch Studien belegen, dass das Alter der Frau bei der Eheschließung entsprechend dem Bildungsgrad steigt; z. B. heiratet eine Frau mit niedrigem Bildungsniveau durchschnittlich mit achtzehn, eine Frau mit einer Hochschulausbildung jedoch mit etwa sechsundzwanzig Jahren.

[1]      Sure Rûm, 30:21

[2] Das Heiratsalter unter Muslimen dürfte erfahrungsgemäß etwas unter dem Bundesdurchschnitt liegen. Genaue Angaben konnte das Bundesamt auch auf Anfrage nicht machen.

Leserkommentare

Johannes Disch sagt:
@Charley Ohne jetzt einen langen theologischen Exkurs zu beginnen: Der Koran ist auf vielfältige Weise auslegbar. Nur Fundamentalisten bestreiten das und glauben, sie hätten die einzig richtige und ewig gültige Interpretation. Jeder Muslim entscheidet individuell, wie er seinen Glauben versteht und lebt. Und da ist durchaus Platz für Individualität. Zudem ist Individualismus und die Zugehörigkeit zu einem Kollektiv nicht zwangsläufig ein Widerspruch. Auch wir im Westen haben verschiedene Identitäten, von denen manche individuell sind und manche kollektiv. Wir fühlen uns einem Sportverein verbunden, einer Partei, etc. Muslime sind angehalten, die Gesetze des Landes zu respektieren, in dem sie leben. Zudem sind Gleichheit und Gerechtigkeit wichtige Werte im Islam. Verbindlich für alle Muslime sind nur die "5 Säulen" des Islam. Und diese sind problemlos mit einer Demokratie vereinbar. Wünsche ein Frohes Fest und nen "Guten Rutsch."
21.12.16
14:16
Charley sagt:
um einfach mal einen Eindruck zu bekommen, welch ein menschliches Elend hier als islamischer Standard propagiert wird, empfehle ich mal auf spiegel-online in die Suchfunktion "kinderehen weltweit" einzugeben. Interessant ist, dass das Elend dieser jungverheirateten Mädchen gar kein islamisches ist, sondern eben ein allgemein-menschliches, weil die Reduktion auf die Reproduktionsfähigkeit der Frau ein Schlag ins Gesicht ihres Bildungshungers ist. Und mit der Bildung schließt man das Mädchen auch von ihrer individuellen Entwicklung aus!
04.01.17
13:29
Prinzessin Rosa sagt:
@charley Entschuldigen Sie bitte wenn ich es jetzt so frei heraus sage: Sie habem vom Hinduismus(welchen meinen Sie da eigentlich grade) noch weniger Ahnung als vom Islam. In der Manu-Smriti, einem Rechtskompendium wird dir Frau ansich auf den Begriff ‘Gharba‘ reduziert, dies bedeutet ‚Ledersack‘ und beschreibt die Gebärmutter.
18.03.18
21:11
Nur sagt:
@Charley @Manuel @Johannes Disch Es gibt Hadise, in denen steht, dass Hz.Mohammed mit einer 9-Jährigen geheiratet hat. Dazu sagen manche, dass das Alter damals nach der ersten Regel gezählt wurde, also sie nicht neun, sondern viel älter war (mindestens 18). Manche rechnen das Alter von ihr anhand anderen geschichtlichen Informationen, wie Altersunterschied von der Frau und ihrer Schwester Esma, Todesdatum der Frau, Altersvergleich von ihren Neffen Urve bin Zübeyr und beweisen, dass sie nicht neun sein kann. Wenn man jetzt nur ein Hadis raus nimmt und nur eine Interpretation von diesem Hadis akzeptiert und andere Meinungen, Hadise, Beweise garnicht betrachtet, stellt sich heraus, dass man nicht hinter der Wahrheit ist, sondern sich eine Information rauspickt, die zur eigenen am besten passt. Außerdem ist im Islam die Hauptquelle der Kuran und der Kuran bietet auf keinen Fall Platz für Kinderehen. Hier ist der signifikantester Vers der sechste Vers von der 4.Sure: „ Und prüft die Waisen, bis sie die Ehereife erreicht haben und wenn ihr in ihnen Erwachsensein wahrnehmt, so händigt ihnen ihr Vermögen aus ...“. In diesem aber ist alles klar und deutlich. Es wird von einer bestimmten Ehereife gesprochen. Man soll die Waisen prüfen bis sie Ehereife sind, also man soll ihnen beispielsweise kleine Aufgaben zum erledigen geben und ihnen noch nicht ihr Vermögen anvertrauen. Und wenn man merkt, dass sie erwachsen geworden sind, also richtig von falsch unterscheiden können und selber Entscheidungen treffen können, (Bedeutung des Wortes „Rüschd“ im Vers) soll man ihnen ihr eigenes Vermögen geben. Das heißt man ist nicht Ehereife, wenn man biologisch gesehen Kinder zeugen kann, sondern wenn man rüschd ist also selber richtige Entscheidungen treffen kann und sein eigenes Vermögen verwalten kann. Allgemein ist wichtig nicht zu vergessen, dass von einer Ehereife gesprochen wird und niemand mit 10/11/12 etc. Ehereif ist, denn Ehereif heißt in der Lage zu sein Kinder zu erziehen und zu ernähren. Hier kann man noch tiefer gehen. Im Islam muss die Frau vor der Ehe ein Hochzeitsgeschenk (Geld, Gold, Vermögen) beantragen. Im vorherigen Vers wurde deutlich gesagt, dass man nur dann jemanden Vermögen anvertrauen darf, wenn er erwachsen ist, richtige Entscheidungen treffen kann und das Vermögen verwalten kann. Außerdem ist die Übersetzung vom 21. Vers sure 30 fehlerhaft. Die richtigere Übersetzung ist: „ es ist eines seines wundersamen Zeichen, dass er aus eurer eigenen Art Partner geschaffen hat, damit ihr Frieden mit ihnen finden könnt und, dass er Liebe und Barmherzigkeit zwischen euch gesetzt hat. Darin sind wahrlich Lektionen für Leute, die nachdenken. Erstmal zeigt dieser Vers das in der Ehe beide Seiten Frieden finden müssen. Also weder eine Zwangsehe oder sonst was erlaubt ist. Sie haben auch das Wort Zuneigung kritisiert. Das Wort „meveddet“ bedeutet auch Liebe. Das Wort „zevc“ bedeutet eigentlich nicht Gattinnen. Dieses Wort ist nicht weiblich. Damit werden allgemein Paare/Partner gemeint. Außerdem wird es auch sehr oft falsch übersetzt, dass die Frau vom Mann erschaffen wurde. Die richtige Übersetzung ist, das der Partner/ die Partnerin aus der eigenen/gleichen Art erschaffen wurde. Um die Erschaffung der Menschen aus islamischer Perspektive richtig zu lernen empfehle ich ihnen diesen Artikel zu lese unter: Caner Taslaman web site Also sollte man nichts urteilen bevor man nicht die richtigen Übersetzungen von dem Kuran weiß und sich nicht alle möglichen Interpretationen von Gelehrten, die ihr ganzes Leben lang sowas studiert haben, angeschaut hat.
08.06.20
13:16
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