Das durchschnittliche Heiratsalter ist je nach Kultur unterschiedlich. Daher scheint die Debatte über Kinderehen bei Flüchtlingen so ausweglos. Wie die islamische Perspektive auf das Heiratsalter aussieht, erklärt Rukiye Gül.
Aus islamischer Sicht kann eine Familie nach der Eheschließung gegründet werden. Die Familie wird als die kleinste soziale Einheit und das Fundament der menschlichen Gemeinschaft und besonders der islamischen Gemeinschaft betrachtet. Laut dem Koran, der Hauptquelle des Islams, können sich Frau und Mann nur vervollkommnen, wenn sie in der Ehe miteinander verbunden sind. Die Institution Ehe ist ein „Ort“ der Ruhe. Hier sollen Ehepartner, indem sie sich gegenseitig Liebe und Zuneigung schenken, Seelenfrieden, Gelassenheit und Zufriedenheit finden,[1] denn die Ehe trägt zum Schutz der Religion wie auch der Gesellschaft insgesamt bei und festigt die Familie.
Die Eheschließung im Islam setzt die Volljährigkeit in persönlichen Angelegenheiten (Ehemündigkeit) voraus. Laut islamischem Recht orientiert sich die Ehemündigkeit am Kriterium der biologischen Geschlechtsreife. Daher enthalten die klassischen islamischen Rechtwerke keine Vorgaben für das Mindestheiratsalter. Die islamischen Rechtsgelehrten sind der Meinung, dass es keine immer und überall gültige Altersgrenze für die biologische Geschlechtsreife gibt, denn dies ist von klimatischen, regionalen und gesellschaftlichen Bedingungen abhängig. Nach medizinischem Erkenntnisstand setzt die biologische Geschlechtsreife z. B. in wärmeren Klimazonen früher ein. Je nach Rechtsmeinung wird die Geschlechtsreife bei Mädchen zwischen neun und siebzehn, bei Jungen zwischen zwölf und achtzehn Jahren angenommen. Gemäß der hanafitischen Rechtsschule gilt das Mädchen ab dem siebzehnten und der Junge ab dem achtzehnten Lebensjahr als volljährig.
In den meisten Staaten mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung ist – in Anlehnung an das klassisch islamische Recht – die biologische Geschlechtsreife nicht maßgebend. Die Mehrheit dieser Staaten hat im Laufe des 20. Jahrhunderts konkrete Altersgrenzen für die Ehemündigkeit festgelegt. Hierbei ist zu beachten, dass sich die eherechtlichen Rechtsvorschriften in den verschiedenen mehrheitlich muslimischen Staaten deutlich voneinander unterscheiden. Unter Berücksichtigung der veränderten sozialen und wirtschaftlichen Lebensverhältnisse zeichnet sich insgesamt eine Erhöhung des Mindestheiratsalters ab.
Das durchschnittliche Mindestheiratsalter in den islamischen Staaten liegt bei sechzehn Jahren für Mädchen und achtzehn Jahren für Jungen – mancherorts etwas niedriger oder höher, so zum Beispiel in Ägypten bei 16 für Mädchen und 18 für Jungen, in Algerien bei 18 für Mädchen und 21 für Jungen, in Jordanien und Marokko bei 18 und in Libyen bei 20 für beide Geschlechter. Bei Nichteinhaltung dieses Mindestheiratsalters – z. B. bei nicht registrierten Eheschließung – hat man mit strafrechtlichen Konsequenzen zu rechnen. Zum Beispiel ist es in der Türkei verboten, eine Eheschließung vor dem Vollenden des 17. Lebensjahres durchzuführen. Mit Ausnahme der Türkei ist eine religiöse Trauung in den meisten islamischen Staaten gleichzeitig die staatlich anerkannte standesamtliche Ehe. Auch kann eine Ehe rechtlich aufgehoben werden, solange die Ehepartner das entsprechende Mindestheiratsalter noch nicht erreicht haben. Jedoch gibt es in manchen muslimisch dominierten Staaten wie z. B. in Pakistan, Irak und Syrien Ausnahmeregelungen; hier kann die Eheschließung unter Mitwirkung des Vormundes auch vor Erreichen des Mindestheiratsalters gerichtlich beantragt werden. In ländlichen Regionen kommt es vor, dass Minderjährige heiraten, jedoch ist angesichts wandelnder gesellschaftlicher Verhältnisse insgesamt ein Anstieg des Heiratsalters zu beobachten.
Bei einer Eheschließung in Deutschland wird vom Staat überprüft ob die gesetzlich angeordneten Ehevoraussetzungen vorliegen. Hierbei wird vom BGB zwischen der Ehefähigkeit, welche grundsätzlich Volljährigkeit und Geschäftsfähigkeit verlangt, unterschieden. Ehen in Deutschland sind grundsätzlich erst mit der Volljährigkeit erlaubt, jedoch in Ausnahmefällen – wenn ein Familiengericht zustimmt und der künftige Ehepartner volljährig ist – auch schon mit 16 Jahren.
Laut Statistischem Bundesamt wurden letztes Jahr ca. 400.000 Ehen in Deutschland geschlossen. Dabei liegt das durchschnittliche Heiratsalter bei 31 Jahren für Frauen und 33 für Männer.[2] Es ist zu beobachten, dass sich das durchschnittliche Heiratsalter in der Praxis insgesamt erhöht hat. Zu den Gründen zählen insbesondere das höhere Bildungsniveau und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, denn bei einer frühen Eheschließung hat man mit finanziellen Konsequenzen zu rechnen. Auch Studien belegen, dass das Alter der Frau bei der Eheschließung entsprechend dem Bildungsgrad steigt; z. B. heiratet eine Frau mit niedrigem Bildungsniveau durchschnittlich mit achtzehn, eine Frau mit einer Hochschulausbildung jedoch mit etwa sechsundzwanzig Jahren.
[1] Sure Rûm, 30:21
[2] Das Heiratsalter unter Muslimen dürfte erfahrungsgemäß etwas unter dem Bundesdurchschnitt liegen. Genaue Angaben konnte das Bundesamt auch auf Anfrage nicht machen.