Kommentar

Rohingya: die vergessenen Opfer des Antihumanismus

Aleppos Bewohner durchleben die Hölle auf Erden. Doch auch Muslime am anderen Ende der Welt leiden. Die Schandtaten gegenüber der Rohingya zu verurteilen ist jedoch keine muslimische, sondern eine menschliche Pflicht. Ein Kommentar von Dr. Milena Rampoldi.

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2016
Rohingya © United to End Genocide
Rohingya © United to End Genocide

Der Völkermord ist wohl mit Sicherheit die extremste Ausdrucksform des Antihumanismus, der sich durch alle Religionen, geschichtlichen Epochen und Kulturen zieht. Aber das Bewusstsein, dass es sich auch wirklich um Völkermord handelt, ist wiederum abhängig von der Kultur und Religion, in der sich dieser extreme Antihumanismus äußert. Und in diesem Zusammenhang ist der Fall der Volksgruppe der Rohingya in Myanmar emblematisch. Die Rohingya bleiben unbekannt und vergessen. Da es den Tätern die Möglichkeit bietet, ihre Verbrechen weiterhin ungestört und ungestraft zu begehen und vor allem periodisch zu wiederholen.

Entmenschlichung der Anderen

Jeder Völkermord basiert auf der Entmenschlichung des Anderen, um jegliches Gewissensproblem von Anfang an vom Tisch zu haben. Menschen sind keine Menschen, weil sie auf der falschen Seite stehen oder noch besser nie da hätten sein sollen und demzufolge enteignet und vertrieben werden können. Das ist die Hauptthese des bis ins Extrem durchgedachten Antihumanismus. Wie der Humanismus, der als seine positive Kehrseite gilt, ist auch der Antihumanismus ein politisches, pragmatisches Wirtschaftsmodell. Denn die Auslöschung des Anderen bedeutet die Durchsetzung meiner Interessen in einem menschenleeren Land, die Ausbeutung der Ressourcen dieses Landes und die Verwandlung dieses Landes in meinen eigenen religiösen und kulturellen Raum.

Im November 2016 zeigte Human Rights Watch auf, wie Myanmar systematisch Einrichtungen, Infrastrukturen und lebensnotwendige Gebäude in der Rohingya Region im Staat von Rakhine zerstört.

Dem offiziellen Narrativ der Regierung zufolge wären die Rohingya eingewanderte Eindringlinge, die nicht zur Region, sondern Bengalen aus dem Nachbarland Bangladesch gehören. Sie sind vogelfrei und haben kein Recht auf Bürgerrechte, Staatsbürgerschaft, und da sie auch entmenschlicht wurden, stehen ihnen auch keine grundlegenden Menschenrechte zu. Sie werden von der buddhistischen Mehrheit verfolgt.

Die Sicherheitskräfte und die Regierung von Myanmar sind die Organisatoren des schleichenden Völkermordes. Aber das Narrativ dient auch der Bevölkerung als Rechtfertigung, um diese Menschen zu vertreiben und zu töten.

Hilflos und staatenlos

Der Antihumanismus kennzeichnet aber nicht nur die Täter, sondern auch die Nachbarländer, die zwar den Völkermord gegen die Rohingya stark denunzieren, wie Malaysia, Indonesien und Bangladesch, gleichzeitig aber die Rohingya-Flüchtlinge nicht ausreichend in ihren Ländern aufnehmen oder die Grenzen aus Überforderung schließen, wie im Falle von Bangladesch, dessen Regierung auch Repressalien der Soldaten von Myanmar befürchtet.

Die UNHCR spricht von Zwangsvertreibungen und Tötungen von Rohingya im Rakhin Staat in Myanmar. Am meisten leiden natürlich die Frauen unter diesem schleichenden Völkermord. Denn diese kann man dem Entmenschlichungsnarrativ zufolge wie Freiwild vergewaltigen. Einher mit der Vertreibung geht natürlich der Hunger dieser Menschen, die Traumatisierung einer ganzen Generation von Menschen, die niemand will und niemand als Menschen sieht.

Die Regierung im Bangladesch weist Beschuldigungen zurück und behauptet, eine weitere Aufnahme der Rohingya würde die Gewalt gegen die noch nicht geflohenen Rohingya in den Dörfern des Rakhin Staates nur noch verschärfen. Aber zu den grundlegenden Menschenrechten der Rohingya gehört nicht nur das Widerstandsrecht gegen die Gewalt der Mehrheit, auf das sich beispielsweise die Yaqeen Kämpfer berufen, sondern auch das Recht auf Asyl in einem Nachbarland, um der bewaffneten Gewalt zu entkommen. Und dies gilt vor allem für die schwächeren Menschen, worunter Frauen, Kinder und ältere Leute.

Ein Wort möchte ich noch zu den Widerstandskämpfer sagen, denn auch sie sind Teil des Narratives der Regierung von Myanmar. Sie werden als muslimische Terrorgruppen bezeichnet, aber was sie fordern sind nicht religiöse Rechte als Muslime, sondern grundlegende Menschenrechte und Bürgerrechte, wie die Staatsbürgerschaft, die ihnen 1982 von der Militärdiktatur aberkannt worden war.

Die Widerstandskämpfer sprechen nicht von religiöser Verfolgung, weil sie Muslime sind, sondern sprechen von Verfolgung als ethnische Gruppe von Menschen und von Vertreibung aus ihrer Heimat, von den dauernden Angriffen gegen ihre Dörfer und die systematische Tötung von Zivilisten, von Vergewaltigungen und von Menschenhändlern.

Sie fordern die zivilisierte Völkergemeinschaft auf, die Rohingya zu retten. Ländereien der Rohingya werden vom Staat konfisziert. Die Rohingya fordern keine besonderen Rechte als muslimische Minderheit, sondern eine gerechte und gleiche Behandlung wie alle anderen Bürger von Myanmar, das sich als eine demokratische Republik bezeichnet. Sie leisten berechtigten Widerstand gegen die extremistischen Buddhisten und fordern ihre Rechte, die in einem Rechtsstaat für alle Bürger gelten.

Wie soll es weitergehen?

Wie gelingt es uns nun, das Narrativ umzukippen und ein friedliches und menschenwürdiges Leben für die Rohingya in einem Myanmar-Rechtsstaat zu gewährleisten?

Der erste Schritt ist der internationale Druck auf den Staat Myanmar, der Dialog mit der buddhistischen Mehrheit und eine dringende Untersuchung der Verbrechen der Regierung von Myanmar gegen die Minderheit der Rohingya, wie von Amnesty International gefordert.

Die Tötungen der Rohingya, die Vergewaltigungen und die Folter, die Zwangsverlegungen und die Bewegungseinschränkungen müssen sofort ein Ende finden, so auch die Arbeitsverbote.

Der zweite Schritt besteht in der sozialen Umsetzung in der Rakhin Region eines toleranten Zusammenlebens zwischen den verschiedenen Ethnien und Religionen mit der Unterstützung von Friedenstruppen, welche Menschen, die gegen die Menschenrechte anderer verstoßen, strafrechtlich verfolgt werden. Zu diesem Zwecke sind Projekte in den Dörfern und Städten notwendig, um sich gegenseitig kennenzulernen und die Vorurteile und die Narrative abzubauen. In diesem Rahmen kann man dann auch die humanistischen Traditionen des Buddhismus und des Islam, die Friedenskonzepte in Buddhismus und Islam, die Diversität und Gleichberechtigung, die Kultur in Form von Musik, Dichtung, Kunst und Geschichte aufarbeiten, um die Menschlichkeit und Menschenwürdigkeit des Anderen respektieren und leben zu lernen.

Erforderlich sind auch Entwicklungshilfemaßnahmen zu Gunsten der Rohingya-Gemeinden, um ihnen aus der Armut zu helfen und sie dazu in die Lage zu versetzen, wirtschaftlich und sozial wieder an Ansehen und Selbständigkeit zu gewinnen. Hier wären beispielsweise Mikrokredite und Projekte für Frauen, Bildungsprojekte für Kinder, Empowerment und Traumatherapie von großem Belang. Und der Wiederaufbau aller zerstörten Dörfer, einher mit dem Rückkehrrecht aller Rohingya in ihre Heimat.

Denn ein Volk, das einem Völkermord entgegensieht, der sich immer wieder wiederholt, ist traumatisiert. Und ein kollektives Trauma zerstört das Vertrauen und die Hoffnung ganzer Generationen. Somit lautet das Zauberwort Bewusstseinsbildung: Rohingya sind Menschen, sind gleichberechtigte Bürger Myanmars und gehören der muslimischen Minderheit an. Diese ist die Umkehrung des Antihumanismus in Humanismus. Man braucht nicht Muslim zu sein, um die Rohingya zu unterstützen. Es reicht, wenn man Mensch ist.

Leserkommentare

Manuel sagt:
Und wo ist die Solidarität mit den verfolgten und diskriminierten Christen in den islamischen Ländern!
20.12.16
12:36
Andreas sagt:
@Manuel: Sie neigen dazu, einfach Dinge zu unterstellen, die nicht der Wahrheit entsprechen. Tatsächlich solidarisieren sich Muslime in Deutschland jedes Mal mit Christen, wenn diesen Unrecht durch Extremisten widerfährt. Und nicht nur das, auch in den muslimischen Ländern, insbesondere Ägypten, solidarisieren Muslime sich mit Christen, wenn z.B. ein Anschlag auf eine Kirche erfolgt ist. Sie nehmen leider immer die Extremisten als Beispiel und erklären diese zum Standard.
21.12.16
17:17
Manuel sagt:
@Andreas: In welchen islamischen Land werden den Christen nicht entweder diskriminiert oder sogar verfolgt?
21.12.16
18:13
Andreas sagt:
@Manuel: Verfolgt werden Christen wohl nur unter der Herrschaft des IS und ähnlichem Gesindel. Diskriminierung hingegen lässt sich natürlich nicht leugnen. Aber da ist dann die Frage, ob das am Islam liegt oder an etwas anderem.
22.12.16
16:52
Manuel sagt:
@Andreas: Die Diskriminierung von Christen wird ja islamisch gerechtfertigt!
22.12.16
18:07
Andreas sagt:
@Manuel: Die Kreuzzüge und die Inquisition wurden auch christlich gerechtfertigt. Mit Jesus und seinen Lehren haben sie trotzdem nichts zu tun.
23.12.16
13:22
Manuel sagt:
@Andreas: Das Christentum hat daraus gelernt, der Islam offenbar nicht!
07.01.17
11:43
Ulisses sagt:
In den meisten sog. "islamischen" Ländern werden Christen überhaupt nicht diskriminiert oder verfolgt, um nur einige Bespiele zu nennen: Marocko, Tunesien, Algerien, Lebanon, Sie werden vielmehr in zB Palästina/Israel diskriminiert, aber nicht von Moslems, sondern vom sog. jüdischen Staat;
08.01.17
17:08
Ulisses sagt:
Was haben Christen mit Verfolgung von Moslems durch buddistsiche Extremisten zu tun?
08.01.17
17:11
Manuel sagt:
@Ulisses: Sie werden diskriminiert, ihnen werden sogar die islamischen Vorschriften aufgezwungen und in vielen anderen islamischen Ländern werden Christen sogar mit dem Leben bedroht, also hören Sie auf hier zu relativieren. Viele Moslems sind immer gleich mit der Diskriminierungskeule da, wenn man verlangt, dass auch sie sich dem säkularen Staat anzupassen haben, sind aber dann nicht bereit über die Verfolgung von Minderheiten in der Islamischen Welt zu reden.
11.01.17
18:15