Die Mehrheit der zukünftigen Lehrer muslimischen Glaubens lehnt die Evolutionstheorie ab. Das zumindest behauptet die religionskritische Giordano-Bruno-Stiftung. Doch die Studie, die das beweisen soll, genügt selbst keinen wissenschaftlichen Standards. Von Fabian Köhler.
Wächst an unseren Universitäten eine Generation muslimischer Kreationisten im Lehrergewand heran? Lehren muslimische Pädagogen demnächst, die Entstehung des Menschen durch Lehm und Rippe anstatt durch Mutation und Selektion? Lernen unsere Kinder im Biologieunterricht bald die koranische Schöpfungsgeschichte anstatt der Mendelschen Gesetze?
Diesen Eindruck kann bekommen, wer dieser Tage auf islamfeindlichen Seiten in Sozialen Netzwerken unterwegs ist. Auslöser ist eine Meldung der religionskritischen Giordano-Bruno-Stiftung (GBS). „Mehrheit der muslimischen Lehramtsstudenten bestreitet die Evolution“, schrieb diese vergangene Woche auf ihrer Website und viele Medien schrieben ab. Einer Befragung unter Lehramtsstudenten zufolge sollen 60 Prozent der zukünftigen Lehrer muslimischen Glaubens bestreiten, dass der heutige Mensch aus affenartigen Vorfahren hervorgegangen ist“. Sogar 70 Prozent der muslimischen Lehramtsstudenten würden die Evolutionstheorie gleich ganz ablehnen.
Von einer „bildungspolitischen Katastrophe“ spricht der Vorsitzende der GBS Michael Schmidt-Salomon auf der Website der Stiftung: Wer die Evolutionstheorie ablehne, habe „keinen universitären Abschluss verdient“, schreibt der Philosoph dort und fordert, muslimische Lehramtsstudenten nicht weiter „auf wehrlose Kinder loszulassen“. [https://www.giordano-bruno-stiftung.de/meldung/muslime-evolution].
Doch so vehement die GBS die fehlende Wissenschaftsgläubigkeit von muslimischen Studenten beklagt, so wenig genügt die Auswertung ihrer Studie wissenschaftlichen Prinzipien. Als erstes fällt auf: Eine aktuelle Studie zu dem Thema gibt es gar nicht. Die Umfragen, auf die sich die GBS beruft, sind teils schon zehn Jahre alt. Im Jahr 2007 fragten der heutige Professor für Biologiedidaktik an der Uni Gießen und GBS-Mitglied Dittmar Graf und sein türkischer Kollege Haluk Soran Lehramtsstudenten in Dortmund und Ankara nach ihrer Einstellung zur Evolution. Zwei Jahre später wurden die Daten mit der Befragung von 1055 Studenten an den Universitäten Hildesheim, Siegen und Dortmund ergänzt. Das Problem: Muslime befanden sich kaum darunter.
Wenn die GBS nun nach der Wiederentdeckung der Studie behauptet, „die Mehrheit zukünftiger Lehrer muslimischen Glaubens“ lehne die Evolutionstheorie ab, dann meint sie damit 36 Personen. Die These, der Mensch habe affenartige Vorfahren, lehnten in der zweiten Studie 37 muslimische Lehramtsstudenten ab. Eine Stichprobe, die viel zu klein ist, um daraus wissenschaftlich verlässlich auf die Einstellung von Tausenden muslimischen Lehramtsstudenten zu schließen. Zum Vergleich: Sozialwissenschaftlich üblich ist eine Stichprobengröße von 1000 Personen.
Wie wenig aussagekräftig ein solches Vorgehen ist, lässt sich konkret messen. Mit dem „Standardfehler“ geben Soziologen an, um wie viel Prozent das gemessene Ergebnis vom tatsächlichen abweichen kann. Dabei gilt: Je mehr Leute befragt werden (Stichprobe) und je kleiner die Gruppe ist über die eine Aussage getroffen werden soll (Grundgesamtheit), desto geringer die Abweichung. Wie viele muslimische Lehramtsstudenten es in Deutschland gibt, geht aus der Studie nicht hervor. Geht man vereinfachend davon aus, dass Muslime in Deutschland genauso häufig ein Lehramtsstudium beginnen wie Nicht-Muslime kommt man auf rund 14.000 Lehramtsstudenten muslimischen Glaubens. Setzt man diese Zahl ins Verhältnis zu den tatsächlich befragten rund 66 Muslimen, kommt man auf einen Standardfehler von 12 Prozent. Üblich ist ein Maximalwert von 5 Prozent. Das bedeutet: Wenn die GBS von 59 Prozent muslimischen Lehramtsstudenten schreibt, die daran zweifeln, dass das Mensch von „affenartigen Vorfahren“ abstammen, könnte der tatsächliche Wert im Extremfall auch bei 47 Prozent (-12 Prozent) oder 69 (+ 12 Prozent) liegen.
So und so viel zu viele und deshalb ist die Abweichung zu vernachlässigen? Nein. Denn nicht bei allen Fragen liegen Muslime und Nicht-Muslime so deutlich auseinander wie bei der Affen-Frage. Doch Antworten, die nicht die These vom besonders wissenschaftsfeindlichen Muslim zu bestätigen, schien die GBS bei ihrer Auswertung kein großes Gewicht beizumessen
Der These „Die Evolutionstheorie ist eine wissenschaftlich anerkannte Theorie“ lehnten beispielsweise neben 41 Prozent der befragten Muslime auch 44 Prozent der evangelischen Freichkirchler ab. In die Überschrift der GBS-Mitteilung schaffte es letztere Gruppe trotz größerer Wissenschaftsskepsis allerdings nicht. Noch fragwürdiger erscheint, warum die GBS folgender Frage keine Beachtung schenkte: „Die Evolutionstheorie basiert auf Spekulationen und nicht auf stichhaltigen wissenschaftlichen Beobachtungen und Untersuchungen“. Dieser Aussage stimmten 21 Prozent der befragten Muslime zu. Die überwiegende Mehrheit der befragten muslimischen Lehrämtler bekannte sich also zur wissenschaftlichen Belegbarkeit der Evolutionstheorie . Zum Vergleich: Auch 18 Prozent der evangelischen Christen hielten die Evolutionstheorie für Spekulation. Berücksichtigt man die große Fehlerquote, lässt sich auf Basis dieser Frage überhaupt gar kein Unterschied zwischen Christen und Muslimen belegen.
Auf Nachfrage hält GBS-Vorsitzender Michael Schmidt Salomon dennoch an der Aussagekraft der Studie fest: „Natürlich wäre es schöner, wenn die Stichprobe größer gewesen wäre.“ Allerdings gehe er nicht davon aus, „dass sich hierdurch an den Größenordnungen viel ändern wird“. Zum Beleg verweist er auf die Parallelstudie in der Türkei. Dort hätten schließlich von über 200 Lehramtsstudenten 94 Prozent der Befragten die Evolutionstheorie abgelehnt.
Deutscher Muslim, Türke aus Ankara, also alles eins? Es ist sind noch weitere Fragen, die Zweifel daran aufkommen lassen, wie sehr die GBS die Forderung nach Wissenschaftlichkeit auch für sich selbst in Anspruch nimmt: Warum wurden ausschließlich Erstsemester befragt und damit Studenten, denen die Vorbereitung auf ihren Lehrerberuf erst noch bevor steht? Salomon-Schmidts Antwort offenbart selbst vereinfachende Grundannahmen: Eine weitere Studie habe ergeben, dass sich „selbst bei Biologiestudenten im Laufe des Studiums in dieser Hinsicht erstaunlich wenig verändert“. Sein Resümee: „Insofern halte ich es nicht für voreilig, davon auszugehen, dass viele Menschen, die die Universität als Kreationisten betreten, sie auch als Kreationisten wieder verlassen.“ Das Problem auch hier wieder: Von kreationistischen Einstellungen ist in der Auswertung der Studie durch die GBS nirgends die Rede.
Stattdessen spricht aus der Aussage ein Klischee, das die GBS auch in anderen Veröffentlichungen zu dem Thema pflegt: Wer keine Ahnung von bestimmten wissenschaftlichen Themen hat und gleichzeitig religiös ist, kann nur religiöser Fundamentalist sein. Andere Erklärungsmöglichkeiten lässt die GBS außer Acht: Ist schlechter Biologie-Unterricht nicht die viel wahrscheinlichere Erklärung für fehlendes Verständnis der Evolutionstheorie als religiöse Borniertheit? Könnte man den großen Unterschied im Evolutionsbekenntnis deutscher und türkischer Muslime nicht auch als Beleg für die Qualität des deutschen Bildungssystems deuten? Beweisen religiöse Menschen nicht Tag für Tag längst, dass auch sie gute Lehrer sein können, weil sie wissen, zwischen Privatem und Schulischen, zwischen Glauben und Lehrplan zu unterscheiden?
Man muss diese Fragen nicht pauschal mit ja beantworten aber man sollte sie zumindest diskutieren. Ebenso wie den Zusammenhang von Religiosität und Wissenschaftsskepsis. Aber man sollte diese basierend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen statt eigener dogmatischer Annahmen tun. „Einen vorurteilsfreien Zugang zur Wirklichkeit zu eröffnen“, fordert die GBS-Stiftung zu Recht von muslimischen Lehrern und solchen die es werden. Ihre eigene Arbeit genügt diesem Anspruch leider nicht.