Frauen weltweit demonstrierten gegen Trump. An der Front standen diesmal vor allem marginalisierte Frauen. Wie diese Aktion mit dem Stereotyp der muslimischen Frau bricht, erklärt Ismahan Wayah.
Mit über einer halben Millionen Menschen war der „Women’s March“ in Washington D.C, die größte Demonstration seit den 1970ern. Weltweit gingen mehr als vier Millionen Menschen auf die Straße, um sich gegen Trumps Präsidentschaft, Frauenunterdrückung, Rassismus, Homophobie und religiöse Intoleranz auszusprechen. Neben „pussy hats“ und der Star Wars Heldin Leia war auch das Plakat einer muslimischen Frau eines der prominenten Symbole des „Women’s March“. Auch in Deutschland, wo aus Solidarität gleichnamige Demonstrationen stattfanden, war das Bild der New Yorkerin Munira Ahmed zu sehen. Das Plakat zeigt mit den Worten „Wir das Volk“ eine muslimische Frau, die mit der amerikanischen Flagge umhüllt selbstbewusst, fast herausfordernd, zum Betrachter zurückblickt. Sie demonstriert damit, dass sie sich widerspruchslos als Muslima und Amerikanerin versteht.
Dieses Bild bricht in vielerlei Hinsicht mit dem neo-kolonialem Stereotyp der muslimischen Frau. Denn was üblicherweise in den Medien präsent ist, sind muslimische Frauen in langen schwarzen Gewändern und verdecktem Gesicht bzw. gesenktem Kopf. Diese dominante Vorstellung von muslimischen Frauen knüpft an westliche Haremsphantasien des 19. Jahrhunderts und bedient damit die orientalistische Mystifikation der unterdrückten, geheimnisvollen, aber gleichzeitig auch erotischen muslimischen Frau. Die Historikerin Yasmin Shooman stellt in „Weil ihre Kultur so ist“ dar, dass parallel zur Figur der „unterdrückten Muslima“ auch das der „gefährlichen Muslima“ besteht. Das Gefahrenpotenzial sieht insbesondere die neue Rechte in ihrer biologistisch-rassistischen Argumentationsweise in der Gebärfähigkeit der “unterdrückten Muslima”. Denn sie könne nicht anderes als einen Überschuss an Muslimen, dem unerwünschten Bevölkerungsanteil, zu schaffen. Wie Yasmin Shooman richtig feststellt, vereinen sich in der Imagination der „permanent gebärenden Muslima“ die beiden dominanten Stereotype der “unterdrückten” und der “gefährlichen” Muslima.
In der Art und Weise wie der Islam als einzige Erklärungsschablone für muslimisch-positionierte Menschen genommen wird, reduziert und kolonisiert diskursiv die Vielfalt und Vielschichtigkeit muslimischen Lebens auf einen Faktor. Der Faktor „Islam“, der gleichgesetzt wird mit Unterdrückung, Homophobie und Rückständigkeit, fungiert in der orientalistischen Logik zur Selbstprofilierung Europas. Denn indem Sexismus, Homophobie, aber auch zunehmend Antisemitismus, ausschließlich beim vermeintlich Anderem verortet wird, spricht sich die Mehrheitsgesellschaft selbst davon frei. Da die Mehrheitsgesellschaft in ihrem Eigenverständnis sich schon als emanzipiert sieht, übernimmt sie die „zivilisatorische Aufgabe“ muslimische Frauen vor muslimischen Männern zu retten. Gendergerechtigkeit als Legitimation für rassistische und paternalistische Handlungen zu nehmen ist jedoch nichts Neues, sondern steht in einer langen koloniale Tradition. Die Philosophin Gayatri Spivak beleuchtet in ihrem bahnbrechenden Aufsatz „Can the Subaltern Speak?“ wie über die Instrumentalisierung von Frauenrechten im 19. Jahrhundert die Kolonisierung von Indien gerechtfertigt wurde. Dabei fasst sie die koloniale Dialektik der subalternen Frauen in den beiden Sätzen „white men are saving brown women from brown men“ und „she wanted to die“ zusammen.
In ganz ähnlicher Weise funktionieren auch noch heute die Diskurse über muslimische Frauen im Westen. Denn während die sich selbst als sexismusfrei imaginierende Mehrheitsgesellschaft postuliert, „Wir müssen muslimische Frauen vor muslimischen (per se sexistischen) Männern befreien“, hält die muslimisch-patriarchale Seite entgegen „Die muslimische Frau will das“. Unter der Wucht dieser dominanten Diskurse verstummen hier die Stimmen der Menschen, um die es geht, nämlich muslimische Frauen. Diese vertreten entlang dieser beiden Pole je nach Herkunft, Klasse, Religionsverständnis, politische Gesinnung etc. eine Bandbreite an verschiedenen Positionen. Gayarti Spivaks Schlussfolgerung, dass Subalterne nicht sprechen können, ist nicht als ein nicht reden können zu verstehen. Vielmehr möchte sie damit darauf aufmerksam machen, dass zum Sprechen notwendig ist, dass subalterne Frauen nicht nur reden, sondern auch gehört werden. Signifikant ist, dass hier grundlegend die Verantwortlichkeit verlagert wird: Die Frage ist nicht, warum sprechen muslimische Frauen nicht, sondern wie kann ich besser zuhören, um die Belange, Bedürfnisse und Kämpfe muslimischer Frauen zu verstehen. Denn dass muslimische Frauen im dominanten Diskurs oft nicht gehört werden, hat wenig damit zu tun, dass sie sich nicht richtig artikulieren können, sondern daran, dass die Machtverhältnisse der Debatten ihre Stimmen zum Verstummen bringen.
Doch können muslimische Frauen nun mit dem „Women’s March“ hoffen, nicht mehr nur gegen weiße Wände zu sprechen? Das wird sich wohl noch zeigen müssen, aber es ist fraglich. Während der „Women’s March“ national und global als feministischer Erfolg gefeiert wurde, wirkte sie insbesondere für Schwarze Frauen wie eine Inszenierung einer „globalen Schwesternschaft“ – der Annahme, dass Frauen weltweit auf gleichsam vom Patriarchat betroffen sind. In ihrer Kritik, die zum einen hier zu lesen ist, beanstanden sie die Rolle weißer Frauen in feministischen Kämpfen. Sie knüpfen damit an Denkerinnen wie Angela Davis, Kimberle Crenshaw und Chandra Mohanty an, die schon seit den 1970ern Einwände gegen einen weißen Feminismus äußerten und dazu aufforderten scheinbar selbstverständliche Kategorien wie „Frau“, „Feminismus“ und „Emanzipation“ zu hinterfragen. Auf dem „Women’s March“ in Washington D.C. ist genau das recht erfolgreich gelungen: die Entkopplung der Gleichsetzung von „weißer Frau“ mit „Feministin“. Zu verdanken ist es unter anderem den Hauptorganisatorinnen Tamika Mallory, einer Schwarzen Frau, Carmen Perez, einer mexikanisch-amerikanischen Frau, und Linda Sarsour, einer muslimischen Frau, die den Fokus darauf legten wie sich Sexismus und patriarchale Gewalt in einem neoliberalen Staat unterschiedlich auf muslimische Frauen, Schwarze Frauen, Arbeiterinnen und LGBTIQ auswirkt. Trotz Kritik konnte der „Women’s March“ in der amerikanischen Hauptstadt zu großen Teilen seinem intersektionalem Anspruch gerecht werden und eine Vielzahl an Communities mobilisieren. Doch die Bedenken Schwarzer Frauen waren berechtigt, da in anderen Städten, wie unter anderem in Wien, der „Women’s March“ für eine Re-Kolonisierung des Diskurses von weißen Feministinnen instrumentalisiert wurde.
Entgegen der politischen Ziele des „Women’s March“, war in Wien anscheinend nicht vorgesehen, dass muslimische Frauen und Frauen of Color sprechen sollten. Denn sogar gegen die einzige muslimische Rednerin, die eingeladen wurde, gab es kurz darauf Interventionen. Dabei wollte der österreichische Frauenring, wie sie auf ihrer Homepage festhalten „ein feministisches und antirassistisches Zeichen setzen und für all die Gruppen aufstehen, die Trump beleidigt, dämonisiert und bedroht hat.“ Dass dies nicht möglich ist, ohne genau diese Personen einzuladen und mit ihnen zusammenzuarbeiten, schien für die Veranstalterinnen kein Widerspruch zu sein.
Die Selbstverständlichkeit mit der marginalisierte Gruppe aus dem gesellschaftlichen Diskurs ausgeschlossen werden, liegt, laut der Historikerin Fatima El-Tayeb, an der fest verankerten Annahme, dass diejenigen, die zum Diskurs beitragen können immer weiß, deutsch/österreichisch und christlich sozialisiert seien. Das Beispiel vom „Women’s March“ in Wien zeigt, wie die Mehrheitsgesellschaft die Interessen marginalisierter Gruppen einfach selbst vertritt und somit Schwarze Frauen, geflüchtete Frauen oder muslimische Frauen diskursiv zu Objekten degradiert, über die gesprochen und entschieden wird. Nach dem aktiven Ausschluss marginalisierter Gruppen weist die Mehrheitsgesellschaft jegliche Schuld von sich, indem sie in einem weißen Selbstgespräch immer wieder bemängelt, dass es ja keine Schwarze, Geflüchtete und Muslime gäbe, die sich mit diesen gesellschaftsrelevanten Themen auseinandersetzen würden.
Doch wie können muslimische Frauen ihren Interessen, Belangen und Kämpfen im Spannungsfeld neokolonialer Kontinuitäten und Diskontinuitäten Ausdruck verleihen? Wichtig ist sich bewusst zu machen, dass muslimische Frauen innerhalb eines imperial- kapitalistisch-patriarchal-rassistischem Systems gegen einen historisch-tradierten Diskurs sprechen und handeln. Gleichzeitig stehen sie als marginalisierte Gruppe nicht alleine da und können an zahlreichen dekolonialen, anti-rassistischen und feministischen Widerständen und Bündnissen anknüpfen. Darüber hinaus ist es unabdingbar Feminismus als politisches Feld zu verstehen, in dem Interessen, Ziele und Koalitionen zwischen Frauen nicht einfach angenommen werden können, sondern immer wieder neu ausgehandelt werden müssen. Denn ob der „Women’s March“ als neue feministische Bewegung Früchte tragen wird, wird sich nur in der politischen und aktivistischen Praxis zeigen.