Politikerin Ulla Jelpke im Interview

„Islamfeindlichkeit dient als politisch korrekter Rassismus“

Seit Anfang des Jahres werden islamfeindliche Straftaten separat erfasst. DIE LINKE.-Politikerin Ulla Jelpke forderte diesen Schritt schon vor Jahren. Wie sich Islamfeindlichkeit entwickelt hat und weshalb nach wie vor Bedarf an Sensibilisierung bei der Polizei besteht, erklärt sie im IslamiQ-Interview.

05
02
2017
Die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke, befürchtet eine Abschiebewillkür. © http://bit.ly/2jRc0BT
Die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke, befürchtet eine Abschiebewillkür. © http://bit.ly/2jRc0BT

IslamiQ: Seit 2012 fragen Sie quartalsweise bei der Bundesregierung nach islamfeindlichen Straftaten. Weshalb ist Ihnen das so wichtig?

Ulla Jelpke: Bezüglich antisemitischer Straftaten und Übergriffen gibt es mittlerweile eine weitgehende Sensibilisierung bei den Behörden und der Regierung. Hasskriminalität gegen Muslime oder islamische Einrichtungen wurde jedoch lange ignoriert oder ihr Ausmaß heruntergespielt. Mit meinen Anfragen wollte ich den Finger in diese Wunde legen. Mir ging es auch darum, die Behörden zu sensibilisieren und Druck aufzubauen, damit eine separate Erfassung solcher Taten im Katalog der politisch motivierten Kriminalität vorgenommen wird. Seit diesem Jahr ist dies ja endlich der Fall. In den 1990er Jahre mussten wir damals noch als PDS übrigens auch erst immer wieder beharrlich nachfragen, bis es zu einer separaten Erfassung antisemitischer bzw. judenfeindlicher Straftaten durch die Behörden kam.

IslamiQ: Ausgehend von den Antworten auf Ihre Anfragen: Wie bewerten Sie die Entwicklung islamfeindlicher Straftaten?

Jelpke: Das ist eine beunruhigende und gefährliche Entwicklung, die aber angesichts des Auftretens der islamfeindlichen Pegida-Bewegung und der Wahlerfolge der AfD in den letzten Jahren nicht wirklich überrascht. Hier wird von rechten Kräften systematisch ein politisches Klima für solche Hetze gegen Muslime und Anschläge auf Moscheen geschaffen. Doch schon seit den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA wurde in Deutschland auch von Regierungspolitikern das Feindbild „Muslim“ bzw. „Islam“ befördert. Auch aktuelle Leitkulturdebatten, wie sie jetzt von Unionspolitikern insbesondere der CSU wieder betrieben werden, zielen auf Ausgrenzung von Muslimen. Diese gehörten scheinbar nicht zur sogenannten christlich-abendländischen Kultur.

IslamiQ: Die jeweiligen Polizeistellen nehmen die Fälle auf und kategorisieren sie nach Straftaten. Ist das Polizeipersonal ausreichend geschult, um Islamfeindlichkeit als solche zu erkennen?

Jelpke: Wahrscheinlich noch nicht. Wir haben ja in der Vergangenheit – etwa bei den Ermittlungen zu den Morden der Nazi-Terrorzelle NSU – erlebt, dass die Polizeibehörden gar nicht auf die Idee kamen, einen fremdenfeindlichen Hintergrund der Taten in Betracht zu ziehen, obwohl fast alle Opfer Migranten waren. Entsprechend traue ich den Polizeibehörden heute auch nicht zu, dass sie in jedem Fall eine islamfeindliche Intention eines Angriffs auf eine Moschee oder auf Muslime erkennen werden. Hier ist entsprechende Schulung und Sensibilisierung der Beamten geboten.

IslamiQ: Immer wieder wird die Grenze zwischen Islamfeindlichkeit und Islamkritik diskutiert. Doch zeigt allein die Debatte nicht, wie salonfähig Islamfeindlichkeit geworden ist? Und wo ziehen Sie die Grenze?

Jelpke: Islamfeindlichkeit dient heute einigen gesellschaftlichen Gruppierungen als eine Art scheinbar politisch korrekter Rassismus. Weil es zurecht inzwischen gesellschaftlich geächtet ist, Personen aufgrund ihrer Hautfarbe oder ethnischen Herkunft abfällig zu behandeln und zu beschimpfen, weichen manche Rassisten auf das Feld des Islamhasses aus. Statt gegen Türken oder Araber hetzen sie dann gegen Muslime, doch gemeint ist oft das gleiche.

Ich halte als Atheistin und Sozialistin Kritik an jeder Religion – auch am Islam – für legitim und notwendig. Insbesondere halte ich solche Kritik dort für notwendig, wo eine Religion politische Ansprüche hat oder zu politischen Zwecken missbraucht wird. Kritik ist insbesondere notwendig, wenn Andersgläubige im Namen einer Religion eine gewisse, von ihnen abgelehnte Lebensweise aufgezwungen wird.

Die Grenze ist für mich dort, wo Anhänger einer Religionsgemeinschaft verächtlich gemacht werden. Ich habe zwar viel an patriarchalen Vorstellungen des Christentums oder des Islams auszusetzen. Aber es wäre unzulässig, deswegen pauschal jeden Christen oder Muslim zum Frauenfeind oder Schwulenhasser zu erklären.

IslamiQ: Vor allem DITIB-Moscheen werden von gewaltbereiten Gruppen wie der PKK angegriffen. Innerhalb der LINKEN gibt es offene Unterstützung für die PKK. Wie hält die LINKE diese Spannung aus?

Jelpke: DIE LINKE. tritt für eine politische Lösung des Kurdenkonfliktes in der Türkei und anderen Ländern des Nahen Ostens unter Einbeziehung der PKK ein. Soweit tatsächlich kurdische Gruppen DITIB-Moscheen in Deutschland attackiert haben, handelt es sich allerdings nicht um islamfeindliche Übergriffe. Auch die Kurden sind ja mehrheitlich Muslime.

Hintergrund solcher Übergriffe ist meiner Ansicht nach das Vorgehen der türkischen Regierung gegen die Kurden in der Türkei – also die Zerstörung ganzer Städte durch die Armee und die Verhaftung Tausender kurdischer Aktivisten und Politiker. DITIB wird hier offensichtlich nicht als religiöse Institution attackiert, sondern als ein der türkischen Regierung angeschlossener Verband, der sich in Deutschland an kurdenfeindlichen türkisch-nationalistischen Aufmärschen beteiligt. Das rechtfertigt natürlich keine gewaltsamen Angriffe auf DITIB-Einrichtungen. Doch es wäre falsch, solche Angriffe unter islamfeindliche Straftaten zu rechnen – so, wie wir auch Anschläge salafistischer Gruppen auf Moscheen nicht als islamfeindlich einstufen können.

IslamiQ: Protestbewegungen waren bisher eher links verortet, doch immer mehr eignen sich rechte Gruppen linkstypische Vorgehensweisen an. Stichworte: „Identitäre Bewegung“ oder die „Protestpartei“ AfD. Auch titelten diverse Umfragen, dass viele linke Wähler zur AfD gewandert sind. Ist der Schüler besser als der Lehrer geworden?

Jelpke: Leider hat auch DIE LINKE. Wähler an die AfD verloren. Dass es sich dabei aber in der Masse um „linke“ Wähler handelt, bezweifle ich. Vielmehr dürften viele dieser Wähler vorher DIE LINKE. aus einer Protesthaltung heraus gewählt haben und nicht wegen ihrer inhaltlichen Positionen, schon gar nicht wegen ihrer Haltung zu Flüchtlingen. Viele derjenigen, die heute AfD wählen, haben sich auch nicht wirklich mit dem Programm der AfD beschäftigt. Sonst würden sie merken, dass die AfD eine marktradikal ausgerichtete Partei ist und keineswegs die Vertreterin des sogenannten kleinen Leute.

Das Rechte sich scheinbar linker Methoden oder Symbole bedienen, ist nichts Neues. Die Hitlerpartei NSDAP führte nicht zufällig die Begriffe „sozialistisch“ und „Arbeiter“ im Namen und nutzte rote Fahnen. So sollten vormals links stehende Arbeiter in die Irre geführt und für eine nationalistische Politik gewonnen werden. Linke Politik sollte von daher nicht an Methoden, sondern vor allem an Inhalten gemessen werden: am Einsatz für soziale Gleichheit für alle statt nur für bestimmte privilegierte Gruppen, am Eintreten für Frieden und demokratische Rechte.

Das Interview führte Esra Lale. 

Leserkommentare

Joachim Datko sagt:
Vorab: Es gibt keinen Gott, es gibt keine Götter! Die abrahamitischen Religionen Judentum, Christentum und Islam versuchen den Menschen das Selbstbestimmungsrecht zu stehlen. Der Islam ist am schlimmsten. Ich bin gerne bereit, eine Lanze für das naturwissenschaftliche Weltbild zu brechen. Joachim Datko - Physiker, Philosoph
05.02.17
16:48
Manuel sagt:
Es aber auch oft umgekehrt der Fall, dass Islamkritik sofort mit Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Verbindung gebracht wird, um sich ja nicht mit kritischen Fragen bzgl. des islamischen Frauenbildes, der unterdrückten weiblichen Sexualität (Jungfrauen-Gebot), des mangelnden Bekenntnisses zum Säkularismus und der durchaus vorhandenen islamischen Homophobie, stellen muss.
05.02.17
18:35
Ute Fabel sagt:
Ich betreue in Wien unter anderem einen 21-jährigen und einen 23-jährigen anerkannten Flüchtling aus Syrien (sie wollen Medizin bzw. Informatik studieren), die beide aus sunnitischen Familien stammen (die Mütter beider tragen Kopftuch). Sie haben sich von der Religion ihrer Vorfahren allerdings schon ihrer Jugendzeit völlig gelöst und halten diese für ein Aberglauben, der weit mehr Schaden als Nutzen für die Menschheit herbeiführe. Die beiden sind schon ziemlich genervt, weil jeder annimmt sie würden kein Schweinefleisch essen und keinen Alkohol trinken. Anlässlich des Opferfestes (wo gefeiert wird, dass Abraham auf göttlichen Befehl sogar seinen Sohn zu töten bereit war - ist das wirklich ein Grund zu feiern?) wurde gesagt, dass Muslime nicht zum Deutschkurs kommen müssen. Bei beiden wurden förmlich getadelt, dass sie an diesem Tag trotzdem zum Unterricht erschienen sind.Die Linkspartei sollte sich lieber als Anwältin solcher Leute verstehen, die selbständiges und kritisches Denken in den Vordergrund stellen, statt den Islam unter die Glasglocke zu stellen. Wenn ich etwas rassistisch finde, ist es der Umstand, dass von manchen Möchtegern-Migrantenverstehern religiöse Dogmen einfach leichtfertig zum Kulturgut einer ganzen Wohnbevölkerung erhoben werden. Ebenso hochproblematisch ist es der Umstand, dass Leuten aus dem Nahen und Mittleren Osten oft förmlich die intellektuelle Wendigkeit abgeprochen wird und Sinn und Unsinn der Religion, in die sie hineingeboren wurden, zu reflektieren. Die Religion der Eltern wird als etwas betrachtet, dass wie die Hautfarbe weitergegeben werden. In Zeiten des Internets, wo Informationsquellen in Hülle und Fülle zur Verfügung stehen, zum Glück eine Fehleinschätzung.
06.02.17
7:53
Manuel sagt:
@Joachim Datko: Bravo besser kann man es nicht sagen. Die Islamische Welt legt einfach komplett den Rückwertsgang ein, in der Türkei wird jetzt sogar Darwin aus dem Lehrplan genommen.
06.02.17
10:43
Suleiman sagt:
Manuel, der Gesinnungspolizist. Villeicht hat ein künftig AFD geführtes Deutschland ja noch eine praktische Verwendung für ihr Talent. Bei der Durchsetzung ihrer Gleichschaltungsphantasien hätten sie jedenfalls viel zu tun in Deutschland, dem Land mit den Manuel'schen Narrativ der homogenen Einheitsgesellschaft, die es nie gegeben hat. Na ja, wenn es in Deutschland wieder ein mal soweit kommen sollte, werde ich mir ihre immer wiederkehrenden wie penetranten und einfältigen Aufforderungen an Ihre Mitbürger zur Ausreise in ein anderes Land mal genau überlegen. Bis dahin genieße ich meine verfassungsrechtlich verbriefte Überzeugungfreiheit und versuche neben meiner steuerpflichtigen Beschäftigung in meinem Geburtsland Deutschland und meiner Bemühungen meinen Nachwuchs zu anständigen, nichthetzenden Bürgern zu erziehen, Leute wie sie aus der Entfernung nicht aus den Augen zu verlieren, um zu wissen, wann die Hetzer mal wieder die Oberhand gewinnen und es an der Zeit ist zu gehen.
06.02.17
15:29
Andreas sagt:
@Joachim Datko: Was genau wollen Sie mit Ihrem Statement sagen? Dass Sie die Wahrkeit kennen und Christen und Muslime nicht? Und dass man Muslime deswegen diskriminieren darf? Und das ist dann keine Islamfeindlichkeit, sondern Notwehr gegen Muslime, die Ihnen das Selbstbestimmungsrecht nehmen wollen? Damit sind sie ein wunderbarer Beweis dafür, dass Ulla Jelpke recht hat, wenn sie sagt, dass Islamfeindlichkeit als politisch korrekter Rassismus verstanden wird.
06.02.17
18:05
Johannes Disch sagt:
@Suleiman Prima auf den Punkt gebracht.
06.02.17
18:14
grege sagt:
Letztlich bleibt das Interview eine Antwort auf die Frage schuldig, wo die Grenze zwischen Islamfeindlichkeit und Islamkritik zu ziehen ist. Letztere muss in Analogie zum Christentum auch die Möglichkeiten enthalten, harsche Kritik an einer Religion als ganzes üben zu dürfen. Meine persönlichen Erfahrungen zeigen leider, dass Vertreter von Islamverbänden jede Art von Kritik an der islamischen Religion als fremdenfeindlichen Akt deuten. Auf diese Weise kann ich jeglicher Kritik aus dem Weg gehen, was nichts anderes als ein Toleranzverständnis. Leider haben sich einige Teilen der Linken diese Haltung ebenso auf die Fahnen geschrieben, wie Houssam Hamade oder Daniel Bax. Den Leuten ist gar nicht bewußt, dass ihre Gesinnungsgenossen die von Ihnen gescholtene Kritike früher en masse an Christentum und Kirche, was damals als fortschrittlich und modern galt. Herr Mansour hat in dem Zusammenhang die Linke schon mehrfach zu Recht heftigst kritiksiert. Die AFD bereitet mir auch gewisse Sorgen. Allerdings wird die Parteil durch die scheinintelektuelle Ignoranz und Arroganz solcher Menschen starkgemacht, die Sorgen und Ängste vor dem Islam bewusst als Islamfeindlichkeit umdeuten.
06.02.17
20:16
Ute Fabel sagt:
@Suleiman: Große Sorgen sollten Sie sich um die AKP-geführte klerikal-autoritäre Türkei machen. Dort hetzen jetzt Minister, die vielleicht den Koran auswendig gelernt haben aber von Forschung nichts verstehen, völlig unverhohlen gegen die Wissenschaft und wollen Darwin aus dem Lehrplan zu streichen. Religiöse Gleichschaltung ist in der Türkei keine Phantasie mehr, Gesinnungspolizei Realität. Der Islam ist nur tolerant, wenn er keine Macht. Wir in Österreich und Deutschland müssen dafür Sorge tragen, dass es dabei bleibt.
06.02.17
22:40
Manuel sagt:
Frechheit, wie hier ein Hr. Suleiman mich einfach auf das tiefste beleidigen kann und meine Erwiderung einfach gelöscht wird, was soll das Redaktion??????????????????????????????????????????? @Johannes Disch: Und von Ihnen verlange ich auch eine Entschudigung, wenn Sie den beleidigenden Kommentar von Suleiman auch noch zustimmen. Ist es hier wirklich verboten, auch einmal etwas Kritischeres zum Islam zu schreiben oder was?
07.02.17
11:18
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