Seit Anfang des Jahres werden islamfeindliche Straftaten separat erfasst. DIE LINKE.-Politikerin Ulla Jelpke forderte diesen Schritt schon vor Jahren. Wie sich Islamfeindlichkeit entwickelt hat und weshalb nach wie vor Bedarf an Sensibilisierung bei der Polizei besteht, erklärt sie im IslamiQ-Interview.
IslamiQ: Seit 2012 fragen Sie quartalsweise bei der Bundesregierung nach islamfeindlichen Straftaten. Weshalb ist Ihnen das so wichtig?
Ulla Jelpke: Bezüglich antisemitischer Straftaten und Übergriffen gibt es mittlerweile eine weitgehende Sensibilisierung bei den Behörden und der Regierung. Hasskriminalität gegen Muslime oder islamische Einrichtungen wurde jedoch lange ignoriert oder ihr Ausmaß heruntergespielt. Mit meinen Anfragen wollte ich den Finger in diese Wunde legen. Mir ging es auch darum, die Behörden zu sensibilisieren und Druck aufzubauen, damit eine separate Erfassung solcher Taten im Katalog der politisch motivierten Kriminalität vorgenommen wird. Seit diesem Jahr ist dies ja endlich der Fall. In den 1990er Jahre mussten wir damals noch als PDS übrigens auch erst immer wieder beharrlich nachfragen, bis es zu einer separaten Erfassung antisemitischer bzw. judenfeindlicher Straftaten durch die Behörden kam.
IslamiQ: Ausgehend von den Antworten auf Ihre Anfragen: Wie bewerten Sie die Entwicklung islamfeindlicher Straftaten?
Jelpke: Das ist eine beunruhigende und gefährliche Entwicklung, die aber angesichts des Auftretens der islamfeindlichen Pegida-Bewegung und der Wahlerfolge der AfD in den letzten Jahren nicht wirklich überrascht. Hier wird von rechten Kräften systematisch ein politisches Klima für solche Hetze gegen Muslime und Anschläge auf Moscheen geschaffen. Doch schon seit den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA wurde in Deutschland auch von Regierungspolitikern das Feindbild „Muslim“ bzw. „Islam“ befördert. Auch aktuelle Leitkulturdebatten, wie sie jetzt von Unionspolitikern insbesondere der CSU wieder betrieben werden, zielen auf Ausgrenzung von Muslimen. Diese gehörten scheinbar nicht zur sogenannten christlich-abendländischen Kultur.
IslamiQ: Die jeweiligen Polizeistellen nehmen die Fälle auf und kategorisieren sie nach Straftaten. Ist das Polizeipersonal ausreichend geschult, um Islamfeindlichkeit als solche zu erkennen?
Jelpke: Wahrscheinlich noch nicht. Wir haben ja in der Vergangenheit – etwa bei den Ermittlungen zu den Morden der Nazi-Terrorzelle NSU – erlebt, dass die Polizeibehörden gar nicht auf die Idee kamen, einen fremdenfeindlichen Hintergrund der Taten in Betracht zu ziehen, obwohl fast alle Opfer Migranten waren. Entsprechend traue ich den Polizeibehörden heute auch nicht zu, dass sie in jedem Fall eine islamfeindliche Intention eines Angriffs auf eine Moschee oder auf Muslime erkennen werden. Hier ist entsprechende Schulung und Sensibilisierung der Beamten geboten.
IslamiQ: Immer wieder wird die Grenze zwischen Islamfeindlichkeit und Islamkritik diskutiert. Doch zeigt allein die Debatte nicht, wie salonfähig Islamfeindlichkeit geworden ist? Und wo ziehen Sie die Grenze?
Jelpke: Islamfeindlichkeit dient heute einigen gesellschaftlichen Gruppierungen als eine Art scheinbar politisch korrekter Rassismus. Weil es zurecht inzwischen gesellschaftlich geächtet ist, Personen aufgrund ihrer Hautfarbe oder ethnischen Herkunft abfällig zu behandeln und zu beschimpfen, weichen manche Rassisten auf das Feld des Islamhasses aus. Statt gegen Türken oder Araber hetzen sie dann gegen Muslime, doch gemeint ist oft das gleiche.
Ich halte als Atheistin und Sozialistin Kritik an jeder Religion – auch am Islam – für legitim und notwendig. Insbesondere halte ich solche Kritik dort für notwendig, wo eine Religion politische Ansprüche hat oder zu politischen Zwecken missbraucht wird. Kritik ist insbesondere notwendig, wenn Andersgläubige im Namen einer Religion eine gewisse, von ihnen abgelehnte Lebensweise aufgezwungen wird.
Die Grenze ist für mich dort, wo Anhänger einer Religionsgemeinschaft verächtlich gemacht werden. Ich habe zwar viel an patriarchalen Vorstellungen des Christentums oder des Islams auszusetzen. Aber es wäre unzulässig, deswegen pauschal jeden Christen oder Muslim zum Frauenfeind oder Schwulenhasser zu erklären.
IslamiQ: Vor allem DITIB-Moscheen werden von gewaltbereiten Gruppen wie der PKK angegriffen. Innerhalb der LINKEN gibt es offene Unterstützung für die PKK. Wie hält die LINKE diese Spannung aus?
Jelpke: DIE LINKE. tritt für eine politische Lösung des Kurdenkonfliktes in der Türkei und anderen Ländern des Nahen Ostens unter Einbeziehung der PKK ein. Soweit tatsächlich kurdische Gruppen DITIB-Moscheen in Deutschland attackiert haben, handelt es sich allerdings nicht um islamfeindliche Übergriffe. Auch die Kurden sind ja mehrheitlich Muslime.
Hintergrund solcher Übergriffe ist meiner Ansicht nach das Vorgehen der türkischen Regierung gegen die Kurden in der Türkei – also die Zerstörung ganzer Städte durch die Armee und die Verhaftung Tausender kurdischer Aktivisten und Politiker. DITIB wird hier offensichtlich nicht als religiöse Institution attackiert, sondern als ein der türkischen Regierung angeschlossener Verband, der sich in Deutschland an kurdenfeindlichen türkisch-nationalistischen Aufmärschen beteiligt. Das rechtfertigt natürlich keine gewaltsamen Angriffe auf DITIB-Einrichtungen. Doch es wäre falsch, solche Angriffe unter islamfeindliche Straftaten zu rechnen – so, wie wir auch Anschläge salafistischer Gruppen auf Moscheen nicht als islamfeindlich einstufen können.
IslamiQ: Protestbewegungen waren bisher eher links verortet, doch immer mehr eignen sich rechte Gruppen linkstypische Vorgehensweisen an. Stichworte: „Identitäre Bewegung“ oder die „Protestpartei“ AfD. Auch titelten diverse Umfragen, dass viele linke Wähler zur AfD gewandert sind. Ist der Schüler besser als der Lehrer geworden?
Jelpke: Leider hat auch DIE LINKE. Wähler an die AfD verloren. Dass es sich dabei aber in der Masse um „linke“ Wähler handelt, bezweifle ich. Vielmehr dürften viele dieser Wähler vorher DIE LINKE. aus einer Protesthaltung heraus gewählt haben und nicht wegen ihrer inhaltlichen Positionen, schon gar nicht wegen ihrer Haltung zu Flüchtlingen. Viele derjenigen, die heute AfD wählen, haben sich auch nicht wirklich mit dem Programm der AfD beschäftigt. Sonst würden sie merken, dass die AfD eine marktradikal ausgerichtete Partei ist und keineswegs die Vertreterin des sogenannten kleinen Leute.
Das Rechte sich scheinbar linker Methoden oder Symbole bedienen, ist nichts Neues. Die Hitlerpartei NSDAP führte nicht zufällig die Begriffe „sozialistisch“ und „Arbeiter“ im Namen und nutzte rote Fahnen. So sollten vormals links stehende Arbeiter in die Irre geführt und für eine nationalistische Politik gewonnen werden. Linke Politik sollte von daher nicht an Methoden, sondern vor allem an Inhalten gemessen werden: am Einsatz für soziale Gleichheit für alle statt nur für bestimmte privilegierte Gruppen, am Eintreten für Frieden und demokratische Rechte.
Das Interview führte Esra Lale.