Auf dünnem Eis

„Fall Chebli“: Gefährliche Sprachbilder

Nachdem Sawsan Chebli zur Staatssekretärin ernannt wurde, stieß sie in vielen Kreisen auf Ablehnung. Wie die Causa Chebli vor allem die unrechtmäßige Verteilung der Deutungshoheit islamischer Begriffe demaskiert, schreibt Katharina Beneladel.

07
02
2017
Sawsan Chebli
Sawsan Chebli ©Thomas Imo/ photothek.net

Wer dieser Tage dem Islam gegenüber eine offene oder zumindest neutrale Haltung vertreten will, braucht vor allem eines: Standvermögen. Zu sehr ist das öffentliche Meinungsbild von negativen Stereotypen geprägt, die mit jedem Zwischenfall neue Nahrung erhalten.  Jeder Versuch, diese aufzubrechen, gleicht einer Schlitterpartie auf dünnem Eis.

Das musste auch Sawsan Chebli erfahren. Die 38-jährige Politikwissenschaftlerin, Tochter palästinensischer Einwanderer, wurde im Dezember 2016 von Berlins regierendem Bürgermeister Michael Müller zur Staatssekretärin ernannt. Nicht nur in konservativen und neurechten Kreisen stieß diese Entscheidung auf Ablehnung. Auch in Cheblis eigener Partei wurde ihre Berufung scharf kritisiert. Hintergrund war ein Interview der ehemaligen stellvertretenden Außenamtssprecherin mit der „Frankfurter  Allgemeinen Zeitung“ vom August 2016. Auf die Frage der Journalisten Jasper v. Altenbockum und Rainer Hermann, wie es zu erklären sei, dass inzwischen jeder dritte muslimische Jugendliche im Zweifel die Scharia über das Grundgesetz stelle, hatte sie damals geantwortet:

„[…] Alle reden über Scharia, aber kaum jemand weiß, was Scharia bedeutet. Scharia heißt auf Deutsch: Weg zur Quelle, also der Weg zu Gott. Sie regelt zum größten Teil das Verhältnis zwischen Gott und den Menschen. Es geht um Dinge wie das Gebet, um Fasten, um Almosen. Das stellt mich als Demokratin doch vor kein Problem im Alltag, sondern ist absolut kompatibel, wie es für Christen, Juden und andere auch der Fall ist.

Es war vor allem dieser letzte Satz, den man ihr ankreidete. Neuköllns ehemaliger Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) warf ihr in einem Kommentar für die „BILD“-Zeitung „Tarnung“ vor und bezeichnete Cheblis Worte als „Blödsinn“. Senatsmitglied Erol Özkaraca (ebenfalls SPD) drohte gar mit Parteiaustritt und nannte die Kollegin auf seiner Facebook-Seite in Anlehnung an Hamed Abdelsamad ein „trojanisches Pferd“ der Muslimbruderschaft. Es ist nicht das erste Mal, dass sich Chebli Unterwanderungsvorwürfen ausgesetzt sieht. Als Beweis dafür, dass sie einen ultrakonservativen Islam auch in politischen Institutionen hoffähig machen wolle, dient ihren Kritikern u. a. ein gemeinsamer Auftritt mit dem Prediger Abduladhim Kamouss im Rahmen einer Veranstaltung des JUMA-Netzwerks, dessen Gründerin sie ist.

Gefährliche Sprachbilder

Wer die verschiedenen Meinungs- und Medienbeiträge zur Causa Chebli verfolgt, dem drängt sich unweigerlich die Frage auf, wer eigentlich die Deutungshoheit über  die Kernbegriffe des Islams besitzt? Die Muslime selbst sind es scheinbar nicht.

Wie kaum ein anderes Wort vermag der Begriff „Scharia“  Emotionen zu wecken. Meistens sind es negative. Scharia – das steht für Frauenunterdrückung, Homophobie,  Körperstrafen und Willkür im Namen der Religion. Macht sich nicht bestenfalls lächerlich, wer angesichts grausamer Entmenschlichungen, wie sie sich beinahe täglich von Mali bis Afghanistan ereignen, mit etymologischen Spitzfindigkeiten aufwartet? Oder setzt sich, wie im Falle Sawsan Cheblis, des Verdachts der Vernebelungstaktik aus?

„Scharia“ wird zunehmend zum Kampfbegriff, mit dem sich die vermeintlich diametralen Gegensätze zwischen Islam und westlicher Welt, zwischen modernen Errungenschaften wie Menschen- und Minderheitenrechten und Barbarei, immer wieder reproduzieren lassen. Und längst, auch das zeigt der Fall Chebli, sind es nicht mehr ausschließlich islamfeindliche Gruppierungen wie PEGIDA, die ihn für ihre Zwecke instrumentalisieren.

Beinahe schon trivial ist der Hinweis auf die Rolle der Medien. Ob in Timbuktu, im somalischen Kismayo oder der Region um die Stadt Maiduguri im Norden Nigerias – wann immer bewaffnete, radikal-salafistische Gruppen irgendwo die Macht übernehmen und ihren Terror gegen die Zivilbevölkerung beginnen, stets ist die Rede von einer „Einführung der Scharia“. Was dann meist im gleichen Atemzug – falsch – mit „islamischem Strafrecht“ übersetzt wird.

Solche Sprachbilder sind riskant. Denn, so erklärt die Linguistin Elisabeth Wehling , sie konstruieren und aktivieren kognitive Frames, Deutungsrahmen, in die Worte und Ideen beim Lesen, Sprechen oder Hören unterbewusst eingebettet werden. Und je häufiger bestimmte Ideen als zusammenhängend dargestellt werden, umso mehr verfestigen sich die dazugehörenden Deutungsrahmen. Der Begriff „Scharia“ ist, ob gewollt oder nicht, in der öffentlichen Wahrnehmung auf einen tatsächlich winzigen Bereich seiner Extension, die Hadd-Strafen, reduziert worden.

Dies legt den Verdacht nahe, dass Muslimen offenbar die Definitionshoheit über Begrifflichkeiten und Elemente, die ihr eigenes Glaubenssystem betreffen, entzogen werden soll.

Eine aggressive Qualität

Auch das ist im Grunde nichts wirklich Neues. Man kennt es beispielsweise aus der endlosen Kopftuch-Debatte. Bedenklich ist allerdings die aggressive Qualität, in der diese Diskussion mittlerweile geführt wird. Wenn öffentliche Hasskampagnen gestartet werden, die jeden, der sich um eine differenziertere Sichtweise bemüht und sich die allgemeine Kulturkampfrhetorik nicht zu eigen machen möchte, als Apologeten des Terrors  archaischer Regime, ja als Feind der westlichen Demokratie anklagen.  Bedenklich auch, dass inzwischen selbst Vertreter „linker“ (und damit auf den ersten Blick der anti-islamischen Agitation unverdächtiger) Parteien auf den „Takiyya“-Zug samt entsprechendem Vokabular aufspringen, und damit den rechten Rand und einen wachsenden Teil der politischen Mitte zu bedienen versuchen.

Sawsan Chebli hat ihren Job trotzdem angetreten. Gegenüber der ZEIT hat sie ihre Aussagen vom Sommer unlängst präzisiert.  Dies wird die Debatte vermutlich mittelfristig nicht entschärfen. Es wird gerade in Zeiten postfaktischer Nachrichten nicht mehr genügen, auf theologisch korrekte Bedeutungsinhalte zu verweisen. Auch innerhalb der muslimischen Gemeinde muss eine Diskussion darüber stattfinden, wie man sich künftig in dieser Frage positionieren will. Insbesondere gegenüber solchen Gruppierungen, die ebenso wie ihre islamfeindlichen Gegner nur eine „enge Definition“ des Scharia-Begriffs akzeptieren wollen.

Leserkommentare

zwergwels sagt:
Dass viele Nichtmuslime wenig Ahnung von islamischen Begriffen haben, stimmt wohl. Aber auch wenn die Hadd-Strafen nur ein kleiner Teil sind, Frau Chebli hat sie dann doch trotzdem mit befürwortet...?
27.02.17
19:12
Johannes Disch sagt:
@zwergfels Suggestivfrage. Raffiniert und beliebt. Aber trotzdem unredlich. Frau Chebli orientiert sich bei ihren Ausführungen zur Scharia ausschließlich auf den religiösen Bereich, auf die "5 Säulen" des Islam. Vom Hudud-Strafrecht ist bei ihr keine Rede.
28.02.17
12:14
Manuel sagt:
@Johannes Disch: Und wie steht nun ein gläubiger Moslem zu den Hadd-Strafen?
02.03.17
12:53
Hajar sagt:
@zwergenwels: Wie Frau Chebli dazu steht, ist in dem im Artikel erwähnten ZEIT-Interview mit Mariam Lau nachzulesen: Sie distanziert sich von den Hudud-Strafen und hält diese explizit nicht für vereinbar mit dem Grundgesetz. Takiyya wahrscheinlich (Achtung, Ironie!)
02.03.17
13:14
1 2 3 4