Berlin

Kirchen begrüßen neues Kopftuch-Urteil

Die beiden großen Kirchen haben das Kopftuch-Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg begrüßt. Es sei als eine Aufforderung zu mehr religiöser Toleranz zu werten.

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02
2017
Berlin nach Sonnenuntergang. © Alexander Steinhof auf flickr, bearbeitet by IslamiQ

Die beiden großen Kirchen haben das Kopftuch-Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg begrüßt. Der Generalvikar des Erzbistums Berlin, Manfred Kollig, und der Konsistorialpräsident der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO), Jörg Antoine, werteten die Entscheidung am Freitag als Aufforderung zu mehr religiöser Toleranz des Staates.

Das Gericht hatte am Donnerstag einer abgelehnten muslimischen Lehramtsbewerberin mit Kopftuch bei einer Entschädigungsklage recht gegeben. Zugleich forderte es, das Berliner Neutralitätsgesetz müsse anders ausgelegt werden als bisher. So dürfe der Staat Lehrkräften nur bei einer konkreten Gefährdung des Schulfriedens verbieten, auffällige religiöse Kleidungsstücke zu tragen, so das Gericht. Es berief sich dabei auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.

Kollig nannte die Entscheidung „ein gutes Zeichen, dass staatliche Neutralität und persönliche Überzeugung sich nicht ausschließen“. Das bestätigten auch Erfahrungen in den katholischen Schulen oder im Religionsunterricht. Wo „religiöse Überzeugungen offen gezeigt werden dürfen, wo jemand seinen Standpunkt vertreten darf, regt das zu Fragen und Diskussionen an“, so der Verwaltungschef des Erzbistums. „Es diskriminiert nicht und schließt nicht aus. Es führt dazu, andere Überzeugungen besser zu verstehen, ohne sie übernehmen zu müssen.“ Ein Verbot könne nicht die bessere Lösung sein, betonte Kollig.

Das Neutralitätsgesetz hatte die damalige Berliner Koalition von SPD und Linkspartei/PDS im Jahr 2005 verabschiedet. Die seit vergangenem Jahr regierende rot-rot-grüne Koalition ist in der Bewertung des Urteils uneins. Bildungssenatorin Sandra Scheeres und Innensenator Andreas Geisel (beide SPD) erklärten, das Neutralitätsgesetz habe sich bewährt, und es gebe keine Pläne, es zu ändern. Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) bezeichnete das Urteil dagegen als Anfang vom Ende des Neutralitätsgesetzes. Auch die Linkspartei forderte, das Neutralitätsgesetz und die Einstellungspraxis bei Lehrkräften zu überprüfen. (KNA, iQ)

Wie kam es überhaupt bis zu diesem Punkt? Wir haben den jahrzehntelangen Kopftuchstreit in einem Video zusammengefasst. Klicken Sie auf das Bild, um zum Video zu gelangen.

Kopftuchkarte2

Leserkommentare

Johannes Disch sagt:
-- Zum Thema "Öffentlicher Raum." (1)- Staat: Der Staat macht sich das religiöse Symbol nicht zu eigen. Der Staat hat keine Religion. Das religiöse Symbol (bsp. Kopftuch oder Kreuz) bleibt ein persönliches Symbol der Trägerin. Erst wenn die Religion die Arbeit der Staatsbediensteten KONKRET beeinflusst ist ein Verbot möglich. Das muss aber im Einzelfall nachgewiesen werden. Bisher ist so ein Fall nicht bekannt. Es gilt: Das KONKRETE Recht auf Religionsfreiheit hat zurückzustehen vor dem ABSTRAKTEN Recht, nicht von einer Religion belästigt zu werden, so das Urteil kürzlich zu Gunsten einer Referendarin mit Kopftuch. (2) Private Unternehmen. Private Unternehmen sind nicht der weltanschaulichen Neutralität verpflichtet. Und sie können diese weltanschauliche Neutralität auch nicht einfach so verfügen, weil es Ihnen grade in den Kram passt oder sie Lust dazu haben. Private Unternehmen können nicht pauschal über Grundrechte verfügen und diese nicht pauschal einschränken. Es muss eine konkrete Gefährdung des Betriebsfriedens vorliegen, um ein Kopftuch verbieten zu können. Oder es müssen sachliche Gründe vorliegen, die in der Tätigkeit der Arbeitnehmerin begründet sind. Grundsätzlich darf ein Kopftuch am Arbeitsplatz getragen werden. Gründe für die Einschränkung müssen sachlicher Natur und juristisch tragfähig sein. Und Sie dürfen nicht auf Vorurteilen gegenüber einer Religion beruhen. Es muss also immer im konkreten Einzelfall entschieden werden. Und jeder betroffene Arbeitnehmer hat die Möglichkeit, eine solche Verfügung auf ihre sachliche Tragfähigkeit prüfen zu lassen. Was in der Praxis stattfindet, das ist ein Interessenausgleich zwischen den Interessen des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers. Es kommen sachliche "Abwägungskriterien" zum Tragen, so der Fachbegriff. Der Arbeitgeber muss dafür sorgen, dass der Arbeitnehmer in seinem Grundrecht auf Religionsfreiheit nicht unnötig eingeschränkt wird. Und auch das hat nichts mit "Sonderrechten" oder einer "Sonderbehandlung" für Musliminnen zu tun, sondern sind Kriterien, die für jeden Arbeitnehmer Anwendung finden, egal welcher Herkunft und welchen Glaubens er ist. Normalerweise und im Großteil der Fälle braucht man für solche Dinge kein Gericht, sondern es kann von betrieblichen Einrichtungen (Personalrat / Betriebsrat) zusammen mit der Geschäftsleitung und den betroffenen Arbeitnehmern im Konsens gelöst werden.
13.02.17
21:39
Johannes Disch sagt:
@Korektur zum letzten P: Es muss heißen: Das KONKRETE Recht auf Religionsfreiheit hat Vorrang vor dem ABSTRAKTEN Recht, nicht von einer Religion behelligt zu werden ("negative Religionsfreiheit"). So das jüngste Urteil zugunsten einer Referendarin mit Kopftuch.
13.02.17
21:43
Johannes Disch sagt:
@Marcel -- "Die Religionshasser wollen alles Religiöse aus der Öffentlichkeit verbannen und nennen das dann "neutral." ("Marcel). Ja. Und das wäre dann "Diskriminierung für alle." Diese Klientel hat aber leider Pech. Unsere säkulare Rechtsordnung garantiert nun mal das Religiöse auch im öffentlichen Raum.
13.02.17
22:08
Ute Fabel sagt:
@Marcel: Ich bin auch strikt dagegen, dass atheistische Lehrer, wie Philipp Möller, im Unterricht "Gottlos Glücklich"-Shirts im Unterricht tragen. Ich lehne es auch vollkommen ab, dass Lehrer, Richter und Polizisten im Dienst Abzeichen von politischen Parteien tragen. Bin ich deshalb ein Parteienhasser? Stelle ich damit die Weltanschaungsfreiheit oder die politischen Freiheitsrechte in Frage? Nein, natärlich nicht!
14.02.17
7:25
Johannes Disch sagt:
@Ute Fabel -- "In NRW dürfen Lehrerinnen und Lehrer gemäß des Schulgesetzes in der geänderten Fassung von 2006 keine religiösen oder weltanschaulichen Bekundungen abgeben....Die Darstellung christlicher und abendländischer Kulturwerte widerspricht diesem Verhaltensgebot nach dem Wortlaut des Gesetzes ausdrücklich nicht." (Ute Fabel, 13.02.2017, 13:19) Sie haben die letzten 10 Jahre verpasst. Der Landtag von NRW hat das Kopftuchverbot im Jahre 2015 gekippt. Der Grund dafür war das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2015, das ein pauschales Kopftuchverbot für nicht mit unserer Verfassung vereinbar erklärte. Das Christentum darf nicht mehr bevorzugt werden, da der Staat laut Verfassung alle Religionen gleich zu behandeln hat, so das Bundesverfassungsgericht. Damit war das NRW-Schulgesetz in seiner vorherigen Form verfassungswidrig und die Regierung von NRW gezwungen, es zu ändern. Und nicht anders verhält es sich mit dem Berliner Neutralitätsgesetz, dem auch nichts anderes übrig bleiben wird, als es zu ändern und dadurch verfassungskonform zu machen.
14.02.17
8:14
Ute Fabel sagt:
In Artikel 5 Grundgesetz ist die Meinungsfreiheit verankert: Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Daraus ist allerdings auch nicht abzuleiten, dass Lehrer in öffentlichen Schulen oder Arbeitnehmer in privaten Betrieben unter Berufung auf diese Meinungsfreiheit nach eigenen Gutdünken Flugzettel verteilen dürfen um auf diese Weise im Sinne des Grundgesetzes ihre Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Religionsfreiheit, Weltanschauungsfreiheit und Meinungsfreiheit sind Rechte des Bürgers gegenüber dem Staat und beziehen sich auf das Privatleben, aber keine Ansprüche von Arbeitnehmern in Arbeitsverhältnissen gegenüber ihren Arbeitgeber während der Arbeitszeit!
14.02.17
10:19
Manuel sagt:
@Johannes Disch: Wieso finden Sie es so toll, wenn die Religionen ständig in den Staat hineinregieren?
14.02.17
11:50
Johannes Disch sagt:
@Manuel Religionen regieren nicht in den Staat hinein, sondern haben ein Mitspracherecht. Säkularismus bedeutet, Trennung von Staat und kirchlicher / religiöser Macht und nicht Trennung von Religion und Politik. Religionen dürfen sich hier organisieren (Religionsfreiheit nach Art. 4 GG ist ein individuelles und kollektives Grundrecht) und ihre Anliegen in die öffentliche Diskussion einbringen. Und der Staat hat die Religionsinhalte auch nicht zu bewerten oder eine bestimmte zu bevorzugen. Der Staat ist hier zur Neutralität verpflichtet. Deshalb gehen auch alle Hinweise fehl, der Staat würde mit DITIB die falschen Diskussionspartner auswählen. Die Inhalte einer Religion hat der Staat nicht zu bestimmen. Das obliegt den Religionsgemeinschaften selbst. Der Staat hat nur darauf zu achten, dass das Ausüben der Religionsfreiheit der Verfassung entspricht.
15.02.17
1:06
Ute Fabel sagt:
Das Berliner Neutralitätsgesetz aus dem Jahr 2005 ist fortschrittlich und fair. Es kann und soll daher so bleiben wie es ist. Es wurde wohlüberlegt von Rot-Rot nach dem Vorbild der in Frankreich seit 1905 (!) geltenden religiösen (und weltanschaulichen) Neutralitätspficht für Pädagogen im öffentichen Schulsystem erlassen, das sich in Frankreich nun schon seit hundert Jahren (!) bewährt. Selbst die Ausweitung dieser Neutralitätspflicht in Frankreich auf die Schüler im Jahr 2004 erhielt das ausdrückliche Gütesiegel des Europäischen Gerichshof für Menschrechte (Urteile Dogru und Kervanci gegen Frankreich/ EGMR-Beschwerden Nr 27058/05 und 31645/04, beide vom 4. 12. 2008). Die innerstaatlichen Entscheidungsträger würden gerade in derart kontroversen Bereichen über einen erheblichen Entscheidungsspielraum verfügen, erkannte der EGMR ohne Wenn und Aber. Staatliche Säkularität hat gerade in der Türkei eine jahrzehntelange Tradition. Die konsequente Verwirklichung des Laizismus in Deutschland ist auch vielen unserer Mitbürger mit türkischem Migrationshintergrund ein großes Anliegen.
15.02.17
12:37
Dilaver sagt:
Es ist erwiesen, dass Kopftuchverbote, egal wo, nichts anderes sind und sein werden als Ausdruck von Religionsfeindlichkeit im Allgemeinen und Islamophobie im Besonderen. Alle anderen Begründungen und Argumente sind nur vorgeschoben und werden auch solche bleiben. Kopftuchverbote, egal wo, müssen endgültig der Vergangenheit angehören.
15.02.17
20:30
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