In Notfallsituationen vertrauen Menschen eher auf Bekanntes – sei es die Sprache, die Kultur oder die Religion. In Kassel wurden deshalb Muslime zu Notfallbegleitern ausgebildet. Sie sollen den Betroffenen in schweren Stunden zur Seite stehen.
Stirbt ein Kind oder gibt es einen Selbstmord in der Familie, kommen Notfallbegleiter und unterstützen die Betroffenen. In Kassel sind nun 14 Muslime für die Aufgabe qualifiziert worden. Sie können die etablierten Dienste unterstützen, um insbesondere andere Muslime nach traumatischen Ereignissen zu betreuen. Die 14 Notfallbegleiter kommen alle aus Kassel, ihre Wurzeln haben sie in Albanien, Ägypten, Kosovo, Somalia, Tunesien, Türkei, Marokko und Mazedonien.
„Ich habe Lebenserfahrung, deshalb ist es für mich sinnvoll, das weiterzugeben“, sagt Sümeyra Koc. „Ich bin in Kassel aufgewachsen, ich möchte etwas zurückgeben“. Die Familientherapeutin und -beraterin hat den Kurs abgeschlossen und wartet nun auf ihren ersten Einsatz. Sinnvoll sei eine muslimische Notfallbegleitung vor allem wegen der Sprache, sagt sie. So werde schneller Vertrauen gefasst. Zu deutschstämmigen Christen gebe es auch kulturelle und religiöse Barrieren. „Da ich die richtigen Zeremonien kenne, kann ich empathisch auf die Menschen zugehen. Jede Kultur bringt den Trauerschmerz anders zum Ausdruck. Das Leid hat eine andere Farbe“, sagt Koc.
„Das ist ein großartiges Projekt“, sagt der in Somalia geborene Vorarbeiter Ali Abokar, der seit 15 Jahren in Deutschland lebt. «Ich mag es, anderen zu helfen.»
Pfarrerin Sabine Kresse ist als Kirchenkreisbeauftragte für Notfallseelsorge im Stadtkirchenkreis Kassel seit Jahren in der Notfallbegleitung und Krisenintervention tätig und hat das Projekt mit durchgeführt. „Inhalte waren psychosoziale Notfallversorgung, Einsatzszenarien oder Gesprächsführung“, erzählt sie. Im Kurs sei auch ein Imam gewesen, der muslimische Theologie vermittelt habe. „Wir wurden vermehrt zu muslimischen Familien gerufen und haben überlegt, wie man sie bestmöglich unterstützen kann“.
Die Notfallbegleitung hat eine Sieben-Tage-Bereitschaft und wird als Teil der Rettungskette von der Rettungsleitstelle mit alarmiert. Das passiere etwa zwei bis drei Mal pro Woche, sagt Kresse. Die muslimischen Notfallbegleiter werden nun im Bedarfsfall hinzugerufen.
Auch in anderen Kommunen gibt es nach Auskunft der Stadt muslimische Notfallbegleiter. In Kassel allerdings seien alle Beteiligten eingebunden worden. „Das ist einmalig“, sagt die städtische Integrationsbeauftragte Katrin Rottkamp. Koordiniert wurde die Fortbildung vom städtischen Zukunftsbüro, finanziert vom Arbeitskreis der Muslimischen Gemeinden in Kassel. An dem Konzept waren auch die Evangelische Landeskirche, das Polizeipräsidium Nordhessen und das Deutsche Rote Kreuz beteiligt.
Es sei die Pflicht eines jeden Muslims, Menschen zu helfen, ob gläubig oder ungläubig, sagt Bekir Kizilkaya vom Arbeitskreis der Muslimischen Gemeinden. Er habe in dem Kurs gelernt, dass man die Menschen in Notfällen nicht mit Religiösem konfrontierten solle. Die Religion sei zwar ein Bindeglied zwischen dem Notfallhelfer und dem Betroffenen, aber: „Das Leiden steht im Vordergrund“.
Die Stadt hat das Projekt mit ihren Partnern allein auf die Beine gestellt. Das hessische Integrationsministerium fördere die muslimischen Notfallbegleiter nicht, teilte eine Sprecherin mit. Es handele sich um ein länderübergreifendes Projekt der christlich-islamischen Gesellschaft. (dpa, iQ)