Berlin

Status Quo der Religionsgemeinschaften

Beim Jahresempfang der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) in Berlin kamen Politiker und Religionsvertreter zusammen und diskutierten über den Status der islamischen Religionsgemeinschaften in Deutschland.

20
02
2017
Status Quo der islamischen Religionsgemeinschaften im Gespräch Bekir Altaş und Cem Özdemir

Am Donnerstagabend kamen Politiker und Vertreter der Religionsgemeinschaften beim Jahresempfang der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) in Berlin zusammen. Die Debatte um die islamische Religionsgemeinschaft DITIB stand auch an diesem Abend im Mittelpunkt. Der Grünen-Spitzenkandidat Cem Özdemir kritisierte die Funktionäre der DITIB, da sie Beamte des türkischen Staats seien.

Damit die Religionsgemeinschaften in Deutschland anerkannt werden können, müssten sie sich zu inländischen Organisationen entwickeln – so wie dies etwa die Ahmadiyya oder die Aleviten in den vergangenen Jahren bereits getan hätten.

Zudem forderte Özdemir die Moscheeverbände auf, sich auch an den Debatten um Sterbehilfe oder Abtreibungen zu beteiligen. Es könnte ferner zur Glaubwürdigkeit dieser Organisationen beitragen, wenn sie sich etwa kritisch zur Situation religiöser Minderheiten in der Türkei äußern würden.

Verfassungsrechtliche Fehler vorhanden

Der Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG), Bekir Altaş, kritisierte den Umgang der Politik mit den islamischen Religionsgemeinschaften. „Nachdem das Bundesverwaltungsgericht in ihrem Urteil vom 23.02.2005 –festgestellt hatte, dass auch islamische Dachverbände Religionsgemeinschaften im Sinne des Grundgesetzes sein können, wurden kontroverse Diskussionen in der Rechtswissenschaft und der Religionspolitik geführt“, erklärte Bekir Altaş.

Trotz dieses Urteils erneuerten Parteien ihre Behauptung dass dıe „vier großen islamischen Verbände“ keine Religionsgemeinschaften seien, so auch die Partei BÜNDNIS 90/Die Grünen auf ihrer 40. Ordentlichen Bundesdelegiertenkonferenz. Der Beschluss der Grünen beinhalte gravierende verfassungsrechtliche Fehler.

„Die vier islamischen Dachverbände sind Religionsgemeinschaften im Sinne des Grundgesetzes“. Die hiergegen vorgebrachten Vorwände von Bündnis 90/die Grünen sind nicht einmal im Ansatz geeignet, dieser Realität etwas entgegenzusetzen“, kritisierte Altaş.

Die Definition der Religionsgemeinschaft im Grundgesetz verlange auch nicht, dass die Organisation einer Religion frei von jeglichem ausländischen Einfluss sein muss.

Ausdruck der Religionsfreiheit

Bei der Kontroverse um die islamischen Religionsgemeinschaften werde zudem nicht beachtet, dass es letztendlich um die Belange und Rechte der ihnen angehörigen Gläubigen geht. „Der Zusammenschluss zu den Religionsgemeinschaften ist nämlich der Ausdruck ihrer Religionsfreiheit. Wird also den islamischen Gemeinschaften der Status als Religionsgemeinschaft abgesprochen, so negiert dies zugleich die Religionsfreiheit ihrer Mitglieder“, betonte Altaş.

Das Angebot des islamischen Religionsunterrichts ohne Kooperation mit den muslimischen Religionsgemeinschaften sei eine Nichteinhaltung des Grundgesetzes. (KNA, iQ)

Leserkommentare

Josef Gelb sagt:
Ich muss B. Altas beipflichten. Die Politik hat die letzten 40 Jahre religionspolitisch verschlafen. Während die damaligen Gastarbeiter fast im Alleingang bis heute ein riesiges Netzwerk mit Dachverbänden, Gemeinden, Vereinen etc. auf Grundlage des Grundgesetzes aufgebaut haben und somit den Bedürfnissen der muslimischen Steuerzahler nachgekommen sind, hat sich keiner so richtig darum geschert woher die Prediger kommen und wie die Gemeinden das alles bewerkstelligen. Jetzt wird gemeckert... Da scheinen es sich manche es zu einfach zu machen.
20.02.17
15:35
Ute Fabel sagt:
Der öffentich-rechtliche Körperschaftsstatus für ausgewählte Relgionsverbände ist ein sachlich nicht gerechtfertigtes Privelleg, welches nicht ausgebaut sondern komplett beseitigt werden sollte. Selbst die politischen Parteien sind "nur" Vereine. Warum soll diese Rechtsform dann nicht auch der katholischen und evangelischen Kirche sowie Islamverbänden zumutbar sein? Der positiven wie negativen Religions- und Weltanschauungsfreiheit entspricht es am besten, wenn Vereinsrecht für alle gilt. Der Ethikunterricht sollte - wie in Berlin - in der gesamten Bundesrepublik gestärkt und zum Pflichtfach für alle werden. Er hat viel größeres integretaves Potential wie der konfessionelle Religionsunterricht, in dem religionunmündige Minderjährige nach der Konfession ihrer Eltern getrennt werden und welcher daher nur Machtinteressen der Religionsverbände befriedigt.
21.02.17
7:43
Holger Berger sagt:
Religionsfreiheit ja - nur muß diese dort enden, wo schon im islamischen Religionsunterricht auf eine Islamisierung des Landes hingearbeitet wird. Herrscher Erdogan praktiziert gerade genau das, indem er mit seinem Türkenvolk schon in den Schulen eine islamistische Präsidialdiktatur einläutet und vorbereiten will.
21.02.17
12:45
Johannes Disch sagt:
Juristisch betrachtet hat Herr Altas völlig Recht. Es ist aber problematisch und nicht grade vertrauensbildend, wenn Dinge passieren wie kürzlich bei der DITIB, dass einzelne Imame Spionage für den türkischen Staat betreiben. Das fällt nicht mehr unter Religionsfreiheit.
21.02.17
14:33
Johannes Disch sagt:
Es ist völlig okay, wenn die DITIB religiöse Anliegen der hier lebenden Türken vertritt. Nicht okay ist es, wenn sie in Deutschland türkische Innenpolitik betreibt. Sorry, man kann es drehen und wenden wie man möchte: der DITIB traut in Deutschland kaum noch einer über den Weg. Und das ist einzig und allein schuld der DITIB.
22.02.17
4:05
Johannes Disch sagt:
@Ute Fabel -- "Der öffentlich-rechtliche Körperschaftsstatus für ausgewählte Religionsverbände ist ein sachlich nicht gerechtfertigtes Privileg, welches nicht ausgebaut, sondern komplett beseitigt werden sollte." (Ute Fabel, 21.02.2017, 7:43) Der öffentlich-rechtliche Körperschaftsstatus für Religionsverbände ist ein verfassungsgemäß verbrieftes Grundrecht. Religionsfreiheit nach Art. 4 GG ist ein individuelles und kollektives Grundrecht. Es ist jeder Religion gestattet, sich zu organisieren und mit dem Staat Verträge zu schließen. Sie wollen mal wieder ein Grundrecht beseitigen
22.02.17
16:18
Ute Fabel sagt:
@Johannes Disch: Die positive und negative Religions- und Weltanschauungsfreiheit ist ein Individualrecht der Bürger, Bürger können sich religiös und weltanschaulich organisieren, indem sie Vereine gründen können. Dafür trifft bereits unser Vereinsrecht ausreichend Vorsorge. Höchst problematisch und die Religionsfreiheit stark verfälschend ist der Umstand, dass Deutschland und Österreich bisher vor allem zwei Religionsgemeinschaften (katholische und evangelische Kirche) eine rechtliche Sonderstellung einräumen und jetzt angedacht wird ausgewählten Islamverbänden durch Verträge eine andere Sonderstellung zu gewähren. Das schafft weitere Ungleichgewichte und Verzerrungen. Rechstreitigkeiten sind vorprogrammiert. In Österreich haben die Zeugen Jevohas jahrelang - letztlich erfolgreich - um Gleichstellung mit der katholischen und evangelischen Kirche gekämpft. Ist das wirklich wünschenswert?. Sind Scientology vielleicht die nächsten Kläger, die in den USA als Religionsgemeinschaft anerkannt sind und Steuervorteile genießen und sich darüber immer beklagen, dass sie in Europa diskriminert werden. Kann sich auch die religionskritische Giordano-Bruno-Stiftung um eine Körperschaftsstellung öffentlichen Rechts oder einen "Staatsvertrag" bemühen? Warum eigentlich nicht? Die saubere Lösung: Vereinsrecht für alle, ein einheitliches Religionen- und Weltanschauungsrecht mit gleichen Rechten und Pflichten für alle.
23.02.17
9:29
Johannes Disch sagt:
@Ute Fabel Bei den Verträgen zwischen dem Staat und Religionsgemeinschaften handelt es sich um ein Grundrecht. Diese Dinge sind in Deutschland im Religionsverfassungsrecht geregelt (§ 4 GG und § 140 GG).
27.02.17
12:52
Johannes Disch sagt:
@Ute Fabel -- "Religionsfreiheit ist ein Individualrecht..." (Ute Fabel) Das ist schlicht falsch. Grundrechte sind sowohl individuelle als auch kollektive Rechte. Das GG gestattet es Religionsgemeinschaften, sich zu organisieren und so ihre Interessen zu vertreten. Siehe das Religionsverfassungsrecht Art. 140 GG.
27.02.17
12:54