Kommentar

Unser „eigener“ Populismus

Der Aufstieg des Rechtspopulismus ist ein Thema der europäischen Gemeinschaft und somit auch bei türkeistämmigen Muslimen. Dabei ist der erste und wichtigste Schritt „den eigenen Populismus“ zu überwinden. Ein Beitrag von Elif Zehra Kandemir.

27
02
2017
Unser eigener Populismus
Unser eigener Populismus © Gary Lund auf Flickr (CC BY 2.0), bearbeitet iQ.

Der Begriff „Populismus“ wird derzeit inflationär gebraucht, meist um die Positionen  politischer Gegner zu diskreditieren. Der Vorwurf lautet, der Populismus versuche komplexe Fragen mit einfachen Lösungen zu beantworten. Während manche den Populismus als Gefahr für die Demokratie betrachten, sehen andere in einigen Elementen populistischer Rhetorik durchaus positive Impulse.

Der  bekannten Definition des niederländischen Politikwissenschaftlers Cas Mudde zufolge stehen sich in der populistischen Ideologie „das einfache Volk“ und „die korrupte Elite“ innerhalb der Gesellschaft antagonistisch gegenüber. Die Ideologie des Populismus beruht auf keiner eindeutigen Lehre. Darin gleicht sie einem Chamäleon, das in Abhängigkeit der gegebenen sozialen Bedingungen die „Farbe“ wechselt. Feindbilder werden je nach Zeit und Ort variiert.

Der heutige Rechtspopulismus ergänzt den anti-elitären Aspekt um ein zusätzliches xenophobes Element. „Das Volk“ wird nicht nur gegen „die Elite“, sondern auch gegenüber „fremden“ Bevölkerungsteilen abgegrenzt. Als Quelle sozialer Probleme werden also Minderheiten, Ausländer oder Einwanderer ausgemacht. Die „Lösung“ besteht in deren sozialer und politischer Ausgrenzung.

Die muslimische Gemeinschaft in Europa beklagt den Aufstieg rechtspopulistischer Parteien und eine Annäherung der politischen Mitte und linker Parteien. Dabei gerät das Populismus-Problem in den eigenen Reihen aus dem Blick. Gerade in der türkischen Gemeinde Europas herrscht die Ansicht, die „Krankheit“ des Populismus habe ausschließlich die europäische Mehrheitsgesellschaft befallen. Das greift zu kurz. Auch innerhalb der türkeistämmigen Gemeinde lassen sich populistische Tendenzen erkennen.

Dies zeigt sich etwa am Beispiel der in Deutschland lebenden Türkeistämmigen, die zwar die allgegenwärtige antiislamische Stimmungsmache beklagen, gleichzeitig aber unverhohlen negative Vorurteile gegen Armenier, Griechen, Juden und Kurden in der Türkei hegen. Oder aber in Österreich pauschale Abschiebeankündigungen ängstlich verfolgen, Flüchtlinge in der Türkei jedoch mit dem Hinweis auf deren „Unvereinbarkeit“ nicht dulden möchten. Türkeistämmige Franzosen fühlen sich diskriminiert, wenn sie im Rahmen der Anti-Terror-Maßnahmen thematisiert werden. Doch gleichzeitig kommt es vor, dass sie die Todesstrafe für Verantwortliche des Putsches fordern. Auch das ist Populismus. Und der ist ebenso gefährlich wie der Rechtspopulismus in Europa.

Wer ausschließlich den Populismus der Gegenseite kritisiert, verschließt allzu leicht die Augen vor populistischen Ideen in den eigenen Reihen. Dabei ist zu beachten, dass ein „Türke“ in seiner „Minderheitenrolle“ im europäischen Kontext den Populismus verurteilt, gleichzeitig aber in einer anderen Gesellschaft, in der er nicht mehr einer Minderheit angehört, sondern ein Teil der Mehrheitsgesellschaft wird, die populistische Rhetorik selber reproduziert.

Um „unseren eigenen Populismus“ zu analysieren, müssen wir uns fragen: Fühlen sich diejenigen, die die Redensweise eines Trump, Wilders, Strache aufschreckt, auch bei Politikern aus der Türkei mit einem ähnlichen Sprachstil unwohl? Oder ist Populismus nur dann ein Problem, wenn er sich gegen „uns“ selbst  richtet?

Der Aufstieg des Rechtspopulismus in Europa ist für Muslime aus der Türkei eine doppelte Prüfung: Wir müssen als betroffene Minderheit sowohl Rechtspopulisten und auch den Populismus in unseren eigenen Reihen bekämpfen. Erste Voraussetzung dafür ist, es nicht nur bei Lippenbekenntnissen zu belassen. Erst wenn wir dies geschafft haben, werden wir als Muslime in Europa den Aufstieg von rechtspopulistische Parteien verhindern können.

Leserkommentare

Bernd sagt:
Klasse Artikel. Trifft es auf den Punkt. Danke
27.02.17
21:17
Manuel sagt:
Wieso darf man nicht schreiben, dass Erdogan ein Rechtspopulist ist?
01.03.17
12:50
nic sagt:
Danke für diesen Artikel. Hervorragend! Populismus gibt es überall. Wenn man sich den Spruch "ein jeder kehr vor seiner Tür, da hat er Dreck genug dafür" auf die Innenseite seiner Augendeckel tätowiert, fährt bestimmt am besten. Die Welt wird nur besser, wenn man das einzige ändert, was man ändern kann - sich selbst.
01.03.17
12:52
Mareik sagt:
@Manuel: Weil Erdogan ein Islamist ist. Das ist doch schon schlimm genug. Oder? Dummerweise gehen die Muslime ihm in die Falle, weil sie glauben, es ginge um Religion, wo es doch um Politik geht.
02.03.17
15:49
Johannes Disch sagt:
@Manuel Erdogan ist kein Rechtspopulist, sondern ein Autokrat. Der türkische Islam (und auch der Islam der AKP) ist ein recht moderater. Wie Mareik richtig sagt, geht es Erdogan nicht um Religion, sondern um Politik. Es ist schade, dass sich der einstige Reformer und Modernisierer Erdogan zu einem Autokraten gewandelt hat. Man kann nur hoffen, dass das türkische Volk ihn stoppt und gegen das Referendum stimmt.
03.03.17
14:03
Manuel sagt:
@Johannes Disch: Erdogan ist ein Islamist und ein Rechtspopulist, ich sehe keinen Unterschied zur AfD oder zur FN?
04.03.17
10:08
Charley sagt:
Populismus entsteht aus undifferenzierten Denken, welches einhergeht mit mangelndem Individualitätsbewusstsein. Deshalb Gruppenidentifikationen: wir - die, das Volk -die Fremden, usw. Dabei hat "wir", "das Volk" usw immer nur eine "gefühlte" Definition. Für mehr bräuchte es Denken, welches fehlt und dadurch würde jedes "wir" bei genauerem Hinsehen zerbröckeln. Leider arbeiten alle "Führer" genau mit dieser Anspruchslosigkeit. Wer mit der Dummheit buhlt, lädt den Faschismus ein.
10.03.17
6:27
Hans Wurst sagt:
in einem autokratischen Land sind freie Wahlen und Opposition unvorstellbar. Erdogan hat zwar autokratische Charakterzüge, aber das macht ihn lange nicht zu einem Autokraten. Ansonsten wäre Can Dündar nicht auf freiem Fuß. Nazi-Vergleiche, Diktatur usw. diese Begriffe dürfen nicht inflationär verwendet werden. Wenn man Erdogan als Autokraten bezeichen, müssen wir mit "Nazi-Vergleichen" leben und sogar akzeptieren. Jedes Jahr finden über 1000 Anschläge auf Flüchtlingsheime statt, (fast 500 Angriffe auf Moscheen registiriert)---> Zuletzt gab es diese pogromähnliche Zustände während der NS-Zeit. Also man kann mit Tatsachen NS-Vergleiche machen, was aber die Gefühle der Deutschen verletzt. Umgekehrt muss man auch Empathie gegenüber Türken zeigen. Wir brauchen jetzt mehr Dialog.
10.03.17
9:19
Manuel sagt:
@Hans Wurst: Wo leben Sie eigentlich? In der Türkei werden Menschen, die Erdogan oder seine AKP-Islamisten kritisieren eingesperrt, Zeitungen die nicht auf AKP-Linie sind verboten, das Land islamisiert, jetzt soll sogar auch noch Darwin und die Evolutionstheorie aus den Schulbüchern, Begriffe wie Laizismus und Atheismus werden als unerwünscht eingestuft, jeder der bei der Abstimmung mit NEIN stimmt, wird als Terrorist gebrandmarkt, Teile der oppostioniellen HDP sitzen in Gefängnissen, Demos gegen Erdogan werden mit Polizeigewalt zerschlagen, die Justiz ist nicht mehr unabhängig, sondern auch auf AKP-Kurs, die Macht Erdogan wird wird extrem ausgebaut, die weder mit dem Systemen in den USA noch Frankreich vergleichbar sind. Die Türkei bewegt sich in eine islamistische Diktatur, nur weil jemand gewählt wird, muss er noch lange kein Demokrat sein, Erdogan hat nicht nur autokratische Züge, sondern er ist ein islamistischer Autokrat. Wenn schon, dann erinnert mich das alles an eines der dunkelsten Gebieten unserer Geschichte, es ist also genau umgekehrt, also was wollen Sie uns hier weißmachen?
10.03.17
11:47
Charley sagt:
@ Hans Wurst: Scheinbar bezweifeln Sie die Autoritatismus von Erdogan und sehen in seinem derzeitigen Regime tatsächlich ein demokratisch funktionierendes. Erstaunlich! - Wo ist jemals die Schuld oder überhaupt Eingebundenheit der Gülen-Bewegung in den Putsch nachgewiesen worden. Gleichzeitig werden aber Menschen allein aufgrund der Verdächtigung, damit im Zusammenhang zu stehen, verhaftet und keiner Anklage, die irgendwie einer Rechtsstaatlichkeit entsprechen würde, unterworfen. Ja, sogar Sippenhaft ist die Realität. Can Dündar ist auf freiem Fuß, weil er in Deutschland lebt. Er würde in seiner Person noch viel mehr Nicht-Rechtsstaatlichkeit erfahren als jetzt schon Journalisten in der Türkei erleben können, denen weniger vorzuwerfen ist. Sodann gehört zu einer Demokratie eine funktionierende Opposition. Die Art und Weise, wie diese "rechtsstaatlich" abgeschafft wurde, ähnelt der Art und Weise, wie sich die Nazis ihrer Opposition entledigten. Ich staune sehr, dass Sie sich angesichts der offenkundigen Unterdrückung von freier Presse und Meinungsfreiheit in der Türkei so weit aus dem Fenster lehnen! - Populismus erscheint auch in der Simplifizierung von Urteilen und "Gruppenverteufelungen", davon hat die Türkei derzeit mehr als genug. - Und, bitteschön, wieso muss man den Nazi-Vergleich akzeptieren, wenn man Erdogan als Autokraten bezeichnet??? Der Nazivergleich passt auf Erdogan besser als auf Deutschland!
13.03.17
12:04
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