Der Aufstieg des Rechtspopulismus ist ein Thema der europäischen Gemeinschaft und somit auch bei türkeistämmigen Muslimen. Dabei ist der erste und wichtigste Schritt „den eigenen Populismus“ zu überwinden. Ein Beitrag von Elif Zehra Kandemir.
Der Begriff „Populismus“ wird derzeit inflationär gebraucht, meist um die Positionen politischer Gegner zu diskreditieren. Der Vorwurf lautet, der Populismus versuche komplexe Fragen mit einfachen Lösungen zu beantworten. Während manche den Populismus als Gefahr für die Demokratie betrachten, sehen andere in einigen Elementen populistischer Rhetorik durchaus positive Impulse.
Der bekannten Definition des niederländischen Politikwissenschaftlers Cas Mudde zufolge stehen sich in der populistischen Ideologie „das einfache Volk“ und „die korrupte Elite“ innerhalb der Gesellschaft antagonistisch gegenüber. Die Ideologie des Populismus beruht auf keiner eindeutigen Lehre. Darin gleicht sie einem Chamäleon, das in Abhängigkeit der gegebenen sozialen Bedingungen die „Farbe“ wechselt. Feindbilder werden je nach Zeit und Ort variiert.
Der heutige Rechtspopulismus ergänzt den anti-elitären Aspekt um ein zusätzliches xenophobes Element. „Das Volk“ wird nicht nur gegen „die Elite“, sondern auch gegenüber „fremden“ Bevölkerungsteilen abgegrenzt. Als Quelle sozialer Probleme werden also Minderheiten, Ausländer oder Einwanderer ausgemacht. Die „Lösung“ besteht in deren sozialer und politischer Ausgrenzung.
Die muslimische Gemeinschaft in Europa beklagt den Aufstieg rechtspopulistischer Parteien und eine Annäherung der politischen Mitte und linker Parteien. Dabei gerät das Populismus-Problem in den eigenen Reihen aus dem Blick. Gerade in der türkischen Gemeinde Europas herrscht die Ansicht, die „Krankheit“ des Populismus habe ausschließlich die europäische Mehrheitsgesellschaft befallen. Das greift zu kurz. Auch innerhalb der türkeistämmigen Gemeinde lassen sich populistische Tendenzen erkennen.
Dies zeigt sich etwa am Beispiel der in Deutschland lebenden Türkeistämmigen, die zwar die allgegenwärtige antiislamische Stimmungsmache beklagen, gleichzeitig aber unverhohlen negative Vorurteile gegen Armenier, Griechen, Juden und Kurden in der Türkei hegen. Oder aber in Österreich pauschale Abschiebeankündigungen ängstlich verfolgen, Flüchtlinge in der Türkei jedoch mit dem Hinweis auf deren „Unvereinbarkeit“ nicht dulden möchten. Türkeistämmige Franzosen fühlen sich diskriminiert, wenn sie im Rahmen der Anti-Terror-Maßnahmen thematisiert werden. Doch gleichzeitig kommt es vor, dass sie die Todesstrafe für Verantwortliche des Putsches fordern. Auch das ist Populismus. Und der ist ebenso gefährlich wie der Rechtspopulismus in Europa.
Wer ausschließlich den Populismus der Gegenseite kritisiert, verschließt allzu leicht die Augen vor populistischen Ideen in den eigenen Reihen. Dabei ist zu beachten, dass ein „Türke“ in seiner „Minderheitenrolle“ im europäischen Kontext den Populismus verurteilt, gleichzeitig aber in einer anderen Gesellschaft, in der er nicht mehr einer Minderheit angehört, sondern ein Teil der Mehrheitsgesellschaft wird, die populistische Rhetorik selber reproduziert.
Um „unseren eigenen Populismus“ zu analysieren, müssen wir uns fragen: Fühlen sich diejenigen, die die Redensweise eines Trump, Wilders, Strache aufschreckt, auch bei Politikern aus der Türkei mit einem ähnlichen Sprachstil unwohl? Oder ist Populismus nur dann ein Problem, wenn er sich gegen „uns“ selbst richtet?
Der Aufstieg des Rechtspopulismus in Europa ist für Muslime aus der Türkei eine doppelte Prüfung: Wir müssen als betroffene Minderheit sowohl Rechtspopulisten und auch den Populismus in unseren eigenen Reihen bekämpfen. Erste Voraussetzung dafür ist, es nicht nur bei Lippenbekenntnissen zu belassen. Erst wenn wir dies geschafft haben, werden wir als Muslime in Europa den Aufstieg von rechtspopulistische Parteien verhindern können.