Die DITIB ist wegen ihrer strukturellen Verbindung zum türkischen Staat und der Spitzelaffäre stark in die Kritik geraten. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) rief die Soziologin Theresa Beilschmidt zum differenzierten Umgang und einer Fortsetzung des Dialogs mit der DITIB auf.
Frau Beilschmidt, wie sehen Sie die Debatte um die DITIB?
Beilschmidt: Die DITIB ist schon seit ihrer Gründung in den 1980er Jahren mit dem türkischen Staat eng verbunden. Das finanzielle Engagement der Religionsbehörde Diyanet für ihre Moscheegemeinden war der deutschen Regierung sogar willkommen. So musste sie sich nicht selbst um die religiösen Bedürfnisse der Gastarbeiter kümmern. Dass sich nun die Politik Erdogans auf die türkische Religionsbehörde auswirkt und nach Deutschland schwappt, überrascht mich nicht.
Nach den Spitzelvorwürfen gibt es den Vorwurf gegen die DITIB, ein verlängerter Arm der türkischen Regierung und Erdoğans zu sein…
Beilschmidt: Den Vorwurf gibt es ja schon länger, ohne dass es dafür eine Begründung gab. Jetzt sieht das anders aus. Ihre Imame sind Beamte des türkischen Staates und werden von ihm besoldet. Da gibt es natürlich ein Abhängigkeitsverhältnis. DITIB-Vorsitzender ist der Botschaftsrat in Berlin, und der Diyanet-Präsident ist Ehrenvorsitzender. Das ist schon seit über 30 Jahren in der Satzung festgeschrieben.
Wer hat denn das Sagen bei der DITIB?
Beilschmidt: Mächtigstes Gremium ist ein Beirat, dem der Diyanet-Präsident und vier weitere Mitglieder angehören. Diese sind oftmals als Religionsattachees Vertreter der Türkei. Nur vom Beirat vorgeschlagene Personen können in den Vorstand gewählt werden. Die Mitgliederversammlung, Landesverbände oder einzelnen Moscheegemeinden haben da nur begrenzten Einfluss.
Dann ist die Mitgliederversammlung nur ein Abnickgremium?
Beilschmidt: Ganz so einfach ist das nicht. Seit Jahren befindet sich die DITIB in einem Emanzipationsprozess – etwa durch eine Stärkung der Landesebene. Mitarbeiter des Bundesverbandes versuchen, die Verortung in Deutschland voranzutreiben. Zudem gab es lange Jahre nur punktuell Interesse der Türkei, Einfluss zu nehmen. Unter Erdogan hat sich das nun sehr verändert. Und wir sehen, wie groß und problematisch die Macht des Beirats ist.
Gibt es eine Chance, dass die DITIB unabhängig wird?
Beilschmidt: Natürlich. Der Verband kann ja weiterhin theologisch oder spirituell mit der Diyanet verbunden sein, sich aber strukturell von ihr lösen. Allerdings: Die Bezahlung der Imame ist ein großes Problem; sie lässt sich nicht einfach durch die viel zu niedrigen Mitgliedsbeiträge auffangen. In der Regel zahlt eine Person pro Familie einen monatlich vereinbarten Betrag für die Moscheegemeinde.
Der deutsche Staat müsste aber ein Interesse daran haben, dass sich die DITIB mit ihren religiösen Diensten hier verortet und Unterstützung leisten.
Müsste es nicht eine Art Kirchensteuer geben?
Beilschmidt: Da steckt die DITIB in einem Teufelskreis. Weil sie nicht als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt ist, kann sie keine Kirchensteuer erheben. Aber um sich wirklich vom türkischen Staat zu lösen, müsste sie den Körperschaftsstatus haben.
Die DITIB behauptet, konservative wie liberale Strömungen zu integrieren. Stimmt das?
Beilschmidt: Die Ditib-Moscheen haben Menschen angezogen, die einfach im Alltag ihren Glauben leben wollten – ohne sich zu einer ideologischen Bewegung zu bekennen. Da sind verschiedene politische oder theologische Ansichten – und auch Gülen-Anhänger – lange kein Problem gewesen. Die Moscheen waren ein Ort, um Freunde zu treffen und emotional und spirituell die Verbindung zur alten Heimat Türkei zu halten. Die Anerkennung und Wertschätzung der Vielheit im Islam war in den Moscheegemeinden sichtbar. In den vergangenen fünf bis zehn Jahren ist aber unter Erdogan der Einfluss der türkischen Politik immer stärker geworden. Und es ist jetzt fraglich, ob die Maxime des Unpolitischen noch stimmt.
Wenn es um die Muslime und ihren Status in Deutschland geht, ist die DITIB sehr politisch.
Beilschmidt: In puncto Religionspolitik ist die DITIB eindeutig politisch. Ich sehe aber kein Problem darin, wenn sie sich hier für die Anerkennung als Religionsgemeinschaft oder islamischen Religionsunterricht stark macht. Nur sollte der Verband das auch klar sagen und dazu stehen. Hier fehlt Transparenz.
Wie eng ist die Verbindung zwischen dem DITIB-Dachverband und den Gemeinden vor Ort?
Beilschmidt: Nach meinem Eindruck streben die Moscheegemeinden sehr stark nach lokaler Autonomie. Ihnen geht es um ein gutes Miteinander auf kommunaler Ebene. Da spielt die DITIB im fernen Köln kaum eine Rolle. Und die Verbindung zur Diyanet war vielen Moscheebesuchern gar nicht bewusst.
Es heißt, die Diyanet vertritt den Islam der Ankaraner Schule. Was bedeutet das?
Beilschmidt: Diese sehr auf Wissenschaftlichkeit basierende Schule steht für eine Reformtheologie, welche den Koran aus seinem geschichtlichen Kontext heraus interpretiert und eine Verbindung des Islam zur Moderne sucht. Das unterscheidet diese Schule von Ansätzen wie dem fundamentalistischen Salafismus.
Das klingt nach einem aufgeklärten Islam.
Beilschmidt: Das ist ein aufgeklärter und zugleich orthodoxer Islam, der sich um den Dialog mit anderen Religionen bemüht. Er gibt die Dogmen nicht auf, ringt aber um eine zeitgemäße Interpretation. Diyanet und DITIB gehen aber nicht immer konform mit der Ankaraner Schule. Auch sind nicht alle DITIB-Imame Vertreter dieser Reformschule.
Können Sie sich ein Deutschland ohne DITIB vorstellen?
Beilschmidt: Die DITIB ist eine gesellschaftliche Realität. Es muss im Interesse aller sein, dass die dauerhaft in Deutschland lebenden Türken ihre Religion praktizieren können. Deshalb darf die Politik den Verband als Dialogpartner jetzt nicht einfach fallen lassen. In den Gemeinden laufen viele, wenn auch kleine Projekte des Dialogs und der Integration. Die DITIB muss man also differenziert betrachten. Das heißt nicht, dass man sie nicht kritisieren darf und sollte. (KNA, iQ)