Ex-Bundespräsident Christian Wulff zeigt sich besorgt über die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Deutschland und erinnert an die Erfahrungen der NS-Zeit. Muslime dürften nicht ausgegrenzt werden, wie man einst Juden in Deutschland ausgrenzte.
Der frühere Bundespräsident Christian Wulff ist besorgt über den Zustand der Demokratie in Deutschland. Zwar verböten sich Vergleiche mit dem Nationalsozialismus, sagte er am Mittwoch im Essener Dom. Doch die Gegenwart zeige Parallelen zum Untergang der Weimarer Republik in den 1930er Jahren.
Dieser „erste hoffnungsvolle Beginn des Parlamentarismus“ sei an fehlender demokratischer Identität in Deutschland und einer gewissen Sorglosigkeit gegenüber antidemokratischen Fehlentwicklungen gescheitert, so Wulff. „Wenn viele in der Demokratie schlafen, kann es passieren, dass sie in der Diktatur aufwachen.“ Er äußerte sich beim Sozialpolitischen Aschermittwoch des Bistums Essen und der Evangelischen Kirche im Rheinland.
Die Menschen heute dürfen laut Wulff nicht einem „Klima der Angst“ erliegen, das gerade in der digitalen Welt geschürt werde. „Es ist spürbar, dass die Gesellschaft seit einiger Zeit durch Egoismus, Nationalismus, Populismus, Protektionismus, Isolationismus, Autokratie, Angst, Hass und Missbrauch getragen wird“, so der frühere niedersächsische Ministerpräsident (CDU). Umso wichtiger sei es, dass die Bürger nicht abstumpften und Freiheit und andere demokratische Werte als selbstverständlich hinnähmen.
In der NS-Zeit habe es geheißen, die Juden gehörten nicht zu Deutschland, gab Wulff zu bedenken. „Heute heißt es, die Muslime gehören nicht zu Deutschland“, nahm er Bezug zu seinem vielzitierten Wort vom 3. Oktober 2010, dass der Islam zu Deutschland gehöre. Christen sollten sich dafür einsetzen, dass die Muslime in Deutschland ihre Religion pflegen, Moscheen betreiben und ihre Kinder islamischen Religionsunterricht erhalten können. Voraussetzung sei, dass die Muslime demokratische Grundrechte wie Gleichberechtigung, Meinungs- und Religionsfreiheit anerkennten.
Angesichts der politischen Lage sieht Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck die Christen herausgefordert, Verantwortung wahrzunehmen. Wegen „der verschiedenen Vereinfacher und Populisten dieser Tage“ scheine es nötig, „dass wir uns neu bekennen und für die Freiheit Haltung zeigen“, sagte er in seinem Grußwort. EKiR-Präses Manfred Rekowski plädierte für mehr Engagement für den Frieden. „Spätestens seit dem letzten Jahrhundert wissen wir: Wenn mehr als ein Volk sagt ‚Wir zuerst‘, wird man sich über kurz oder lang auf Soldatenfriedhöfen treffen“, sagte er. Bei dem ökumenischen Gottesdienst entzündeten Overbeck und Rekowski vor dem Altar eine Kerze als Zeichen der ökumenischen Verbundenheit. (KNA/iQ)