Die Schandtaten gegenüber der Rohingya Muslime spitzen sich dramatisch zu. Doch was kann getan werden, um diese Verbrechen zu stoppen? Dieser und vielen anderen Fragen geht Matthew Smith, CEO von Fortify Rights, im IslamiQ-Interview nach.
IslamiQ: Ihre Organisation „Fortify Rights“ beobachtet die Lage der Rohingya in Myanmar sehr genau. Wie ist die Situation zurzeit?
Matthew Smith: In den letzten Monaten hat sich die Lage verschlechtert. Die mehr als 70 von uns dokumentierten Schilderungen von Augenzeugen und Überlebenden sind erschreckend. Und sie stimmen mit dem Anfang des Monats vorgelegten UN-Report überein. Seit Oktober haben wir Gruppenvergewaltigungen von Frauen und Mädchen der Rohingya, die Zerstörung ganzer Dörfer und die Ermordung unbewaffneter Zivilisten durch burmesische Soldaten dokumentiert. Staatliche Sicherheitskräfte haben Männern die Kehlen durchgeschnitten, Menschen bei lebendigem Leibe verbrannt, in manchen Fällen sogar Kinder und Säuglinge getötet.
IslamiQ: Können Sie uns etwas über die Arbeit ihrer Organisation, vor allem über ihren Einsatz für die Rohingya erzählen?
Smith: Wir untersuchen Menschenrechtsverstöße, bilden andere dazu aus und unterstützten sie dabei, dasselbe zu tun. Es gibt vor Ort immer Protest gegen Menschenrechtsverletzungen, und unser Ziel ist es, diesen zu stärken. Unlängst haben wir ein Strategietreffen für Rohingya-Führer und Aktivisten einberufen. Neben unseren unabhängigen Untersuchungen unterstützen wir Gemeinschaften, die angegriffen werden oder sich Misshandlungen widersetzen durch Schulungen, Workshops und andere Maßnahmen.
IslamiQ: Der UN-Bericht enthüllt katastrophale Menschenrechtsverletzungen und Grausamkeiten gegen die Rohingya. Dennoch schweigt die Internationale Gemeinschaft weiterhin zu der anhaltenden Gewalt. Warum?
Smith: Einige Mitglieder der diplomatischen Gemeinde in Yangon haben einfach darin versagt, Stellung zu beziehen. Die Hauptstädte orientieren sich in vielen Fällen an ihren Botschaften in Yangon, und die dortige diplomatische Gemeinde schaut angesichts der Gräueltaten weg, um das Bild eines politischen Gleichgewichts in dem Land aufrechtzuerhalten.
Einige Diplomaten fürchten, ein zu starker Druck in dieser Angelegenheit würde die (demokratische) Transition Myanmars stören. In Wahrheit täuschen Regierung und Militär jedoch andauernd die Internationale Gemeinschaft, und diese scheint bereitwillig zu glauben, die Lage könne sich auch ohne ihr Eingreifen verbessern.
IslamiQ: Was kann außer der Erstellung von Berichten auf internationaler Ebene, z. B. von den Vereinten Nationen, noch getan werden, um diese Verbrechen zu stoppen?
Smith: Derzeit bin ich in Genf und versuche dort, mit den EU-Mitgliedsstaaten über die bevorstehende Sitzung des Menschenrechtsrats zu sprechen. Die EU wird einen Beschlussantrag stellen, um über eine Mandatserneuerung der Sonderberichterstatterin entscheiden zu lassen, was sehr wichtig ist. Aber sie können mehr tun. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte hat sich unlängst für die Einrichtung einer Untersuchungskommission für der Lage im Rakhaing-Staat ausgesprochen. Die Sonderberichterstatterin wird das ebenfalls tun, wenn sie am 13. März dem UN-Menschenrechtsrat ihren Bericht vorstellt.
Die EU-Resolution sollte einen konkreten Aufruf zur Einrichtung einer Kommission zur Untersuchung möglicher Verstöße gegen das internationale Strafrecht im Rakhaing-Staat enthalten, vor allem im Hinblick darauf, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Die Zustimmung Deutschlands hierzu wäre sehr wichtig. Bisher hat sich noch kein EU-Staat dazu geäußert.
Es könnte durchaus sein, dass die EU zwar das Mandat der Sonderberichterstatterin erneuert, ihre prinzipielle Empfehlung, eine Untersuchungskommission einzurichten, aber ablehnt. Es ist absurd, dass diese furchtbaren Verbrechen die Internationale Gemeinschaft nicht in Alarm versetzen.
IslamiQ: Die Internationale Gemeinschaft hat die Friedensnobelpreisträgerin und faktisches Staatsoberhaupt Myanmars, Aung San Suu Kyi, mehrfach zur Intervention aufgerufen. Diese Aufrufe hat Suu Kyi bisher ignoriert. Hat sie wirklich keine Macht über Armee und Regierung, wie gern behauptet wird?
Smith: Hauptverantwortlicher für die Verbrechen an den Rohingya ist eindeutig das Militär, aber auch Suu Kyi trägt Verantwortung. Seit Oktober fährt ihre Regierung eine Propaganda-Kampagne, die jeglichen Missbrauch an den Rohingya leugnet. Eine von ihr einberufene Kommission wird von einem Hardliner des Militärs geleitet, der versucht, den Missbrauch zu vertuschen.
IslamiQ: Wie wird die Rohingya-Frage in der burmesischen Bevölkerung wahrgenommen? Gibt es auch lokale Menschenrechtsorganisationen, die das Problem ansprechen?
Smith: Es gibt einen wachsenden Kreis burmesischer Bürger, die keine Rohingya sind und eine internationalen Untersuchung (der Verhältnisse) im Rakhaing-Staat fordern. Im Januar haben sich 40 zivilgesellschaftliche Organisationen dafür ausgesprochen. Das gab es noch nie. Dutzende anderer Gruppen und sogar Parlamentsabgeordnete haben die Forderung unterstützt, wollten sich aber aus politischen Gründen nicht öffentlich dazu äußern.
IslamiQ: Wie steht es um Rohingya-Flüchtlinge, die in Lagern in den Nachbarländern Bangladesch, Malaysia und Thailand leben?
Smith: Die Rohingya werden in der gesamten Region diskriminiert. Bangladesch verweigert ihnen seit Jahrzehnten angemessene Hilfe. Die Flüchtlingslager in Bangladesch sind die schlimmsten der Welt, und das mit Absicht. Bangladesch lehnt konsequent jedes Angebot der Internationalen Gemeinschaft ab, Hilfsgüter zu schicken. Den Flüchtlingen fehlt es an Essen, angemessener Unterbringung, Gesundheitsversorgung und anderen Grundbedürfnissen. Sie haben keinerlei Existenzgrundlage, sterben an vermeidbaren Krankheiten und sind akut gefährdet, Menschenhändlern in die Hände zu fallen. Bangladesch argumentiert, es wolle nicht noch mehr Rohingya anlocken. Was den Behörden dabei entgeht, ist, dass die Rohingya gar nicht in Bangladesch, sondern in ihrer Heimat Myanmar leben wollen.
Auch in Malaysia haben sie es schwer. Viele erhoffen sich dort ein besseres Leben. Einmal angekommen merken sie aber, dass es auch in Malaysia nicht leicht ist. Malaysische Sicherheitskräfte erpressen die Rohingya-Flüchtlinge routinemäßig, und sie beuten ihre Arbeitskraft aus.