Österreich diskutiert über das Gutachten der IGGÖ, indem das Tragen eines Kopftuchs als „islamisches Gebot“ beschrieben wird. Während die Politik einen „Kopftuchzwang“ wittert, sehen viele Muslime einen Zwang zur Problematisierung der bestehenden Normengesamtheit im Islam. Ein Kommentar.
Deutsch, die Sprache Goethes, romantisch, poetisch, aber auch die Sprache Freuds, analytisch, konkret, und die Sprache Gadamers, methodisch, scharf analysierend. Die Art und Weise, in der die deutsche Sprache gerade in letzter Zeit in der Politik, insbesondere in den Diskussionen über das Kopftuch, eingesetzt wird, zeigt, dass Sprache auch ausgrenzend und herabwürdigend sein kann.
Die Gretchenfrage an den religiös pluralen Staat lautet: „Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?“ oder besser: mit religiösen Symbolen? Für den Staat stellt das Kopftuch ein islamisch-religiöses Symbol dar, ähnlich wie das Kreuz als Symbol für das Christentum steht. Weil sich der österreichische Staat jedoch als weltanschaulich neutral definiert, untersagt er im neuen Integrationsgesetz das Tragen sichtbarer politischer oder religiöser Symbole für Richter, Staatsanwälte und Polizisten. Nur Kreuze verbietet er nicht, denn dieses ist zwar ein religiöses Symbol, aber ein Symbol, dass der Staat anscheinend lieb gewonnen hat. Laut Verfassungsgerichtshof handelt es sich beim Kreuz nicht nur um ein religiöses, sondern auch um ein „Symbol der abendländischen Geschichte“, und dazu bekennt sich Österreich. Auch die Bildungsministerin Hammerschmid stellt klar: „Das Neutralitätsgebot, wie es im Arbeitsprogramm der Bundesregierung formuliert ist, betrifft das Kreuz im Klassenzimmer nicht. Die Kreuze werden weiterhin im Klassenzimmern hängen.“ Natürlich auch in Gerichtssälen.
Aufgrund der recht harschen Diskussion sah sich die IGGÖ gezwungen, eine theologische Stellungnahme zum Thema Kopftuch zu veröffentlichen. Aus ihrer Sicht stellt ein um den Kopf getragenes Tuch kein religiöses Symbol dar, sondern die Ausübung einer religiösen Glaubenspraxis, die durch die Menschenrechte geschützt ist. Eine Welle der Empörung schwappte über die IGGÖ hinweg. Stein des Anstoßes war vor allem die Definition der Bedeckung bestimmter Körperteile als „religiöses Gebot“. Die nichtmuslimische Öffentlichkeit, Integrationsminister und Staatssekretärin zeigten sich gleichermaßen besorgt über einen angeblich latenten „Kopftuchzwang“, vor dem es Frauen zu schützen gelte. Eigentlich ein archetypisches Phänomen. Es folgte die drohende Aufforderung an die Glaubensgemeinschaft, ihre Stellungnahme zu überdenken. Integrationsminister Sebastian Kurz zeigte sich alarmiert: „Ich mische mich zwar nicht in die inneren Angelegenheiten einer Religionsgemeinschaft ein, aber als Integrationsminister muss ich klar sagen, was wir für richtig halten und was für falsch: Eine Verpflichtung zum Kopftuch lehnen wir jedenfalls klar ab! Ich fordere die IGGÖ auf, offen zu sagen, wie sie zu der Empfehlung auf ihrer Website steht und ob sie dabei bleibt.“
Hier stellt sich die Frage: Warum darf ein rund 1500 Jahre altes Gebot nicht mehr als solches bezeichnet werden?
Die Selbstverpflichtung zur religiös-weltanschaulichen Neutralität verwehrt es dem Staat, Glaube und Lehre einer Religionsgemeinschaft zu bewerten oder zu hinterfragen, wie auch das Islamgesetz festhält:
„§ 2. (1) Islamische Religionsgesellschaften ordnen und verwalten ihre inneren Angelegenheiten selbständig. Sie sind in Bekenntnis und Lehre frei und haben das Recht der öffentlichen Religionsausübung.“
Doch Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften hin oder her, der zweite Absatz stellt die Rute ins Fenster:
„(2) Islamische Religionsgesellschaften genießen denselben gesetzlichen Schutz wie andere gesetzlich anerkannte Religionsgesellschaften. Auch ihre Lehren, Einrichtungen und Gebräuche genießen diesen Schutz, sofern sie nicht mit gesetzlichen Regelungen in Widerspruch stehen. Religionsgesellschaften, Kultusgemeinden oder andere Untergliederungen sowie ihre Mitglieder können sich gegenüber der Pflicht zur Einhaltung allgemeiner staatlicher Normen nicht auf innerreligionsgesellschaftliche Regelungen oder die Lehre berufen, sofern das im jeweiligen Fall anzuwendende staatliche Recht nicht eine solche Möglichkeit vorsieht.“
Wenn wir nun, ähnlich wie das Christentum, unter dem Symbolbegriff auch Glaubensbekenntnisse fassen, also den öffentlichen Ausdruck des Glaubens, die Bekundung der persönlichen Überzeugung (und nichts anderes ist das Kopftuch!), wären wir wieder beim Schutz der Religionsfreiheit jedes Einzelnen wie auch beim Recht, Religion im Kollektiv ausüben, verwalten und lehren zu dürfen.
Religion, vom Lateinischen religio, „gewissenhafte Berücksichtigung“, „Sorgfalt“ oder relegere, „bedenken“, „achtgeben“, meint ursprünglich „die gewissenhafte Sorgfalt in der Beachtung von Vorzeichen und Vorschriften.“
So ist es Gläubigen wichtig, die Vorschriften Gottes sorgfältig und gewissenhaft zu leben. Die diesbezüglichen Vorschriften (Gebote und Verbote) setzt im Islam Gott alleine, der zudem jedem seiner Geschöpfe einen Verstand gab, um seine Vorschriften zu verstehen, aber auch die Freiheit, diesen zu folgen oder nicht. Die Befolgung religiöser Vorschriften hängt einzig von der persönlichen Prioritätensetzung ab. Aus religiöser Sicht trägt jeder die Verantwortung für diese Entscheidung selbst. Diese persönlichen Entscheidungen verändern die religiöse Praxis des Einzelnen, nicht aber die Normengesamtheit der Religion selbst.
Eine Religionsgesellschaft ist im Rahmen der Religionsfreiheit mit der Religionspflege betraut, und vertritt die Interessen der Gläubigen. Die öffentliche Empörung darüber, dass die IGGÖ es „wagt“, Gebote und Verbote des Islam, über die seit Jahrtausenden weitgehend Konsens unter Gelehrten besteht, erklärend zu beschreiben, ist befremdlich. Oder will man MuslimInnen entgegen ihrer Überzeugung etwas anderes diktieren?