Ägypten und Deutschland

„Zusammenarbeit mit Ägypten verletzt die Grundwerte Deutschlands“

Bundeskanzlerin Angela Merkel traf sich mit dem ägyptischen Präsidenten Abd al-Fattah as-Sisi, um womöglich ein Flüchtlingsabkommen zu unterzeichen. Warum damit weitere Fluchtursachen angefeuert und die Werte des deutschen Grundgesetzes missachtet werden, erklärt Fagr Eladly.

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03
2017
Bundeskanzlerin Angela Merkel traf sich mit dem ägyptischen Präsidenten Abd al-Fattah as-Sisi, um womöglich ein Flüchtlingsabkommen zu unterzeichen
Bundeskanzlerin Angela Merkel traf sich mit dem ägyptischen Präsidenten Abd al-Fattah as-Sisi, um womöglich ein Flüchtlingsabkommen zu unterzeichen © Facebook, bearbeitet by IslamiQ.

Vergangene Woche reiste Bundeskanzlerin Merkel nach Kairo, um ein Abkommen mit dem Sisi Regime abzuschließen. Bei dem Besuch handelte es sich nicht um den Anfang der Kooperation zwischen der deutschen Bundesregierung und dem ägyptischen Militärregime. Allerdings nahmen in der letzten Zeit die kritischen Stimmen zu Ex-General Sisi und seinem repressiven Regime zu. Human Rights Watch und Amnesty International prangern das willkürliche Vorgehen des Staates gegen Oppositionelle aller Couleur, die Zensur und die schweren Menschenrechtsverletzungen an. Der Besuch der Kanzlerin erscheint unter diesen Bedingungen widersinnig.

Auf ihrer Reise nach Ägypten schloss Frau Merkel wohl ein umstrittenes Flüchtlingsabkommen. Um es genau zu nehmen, bahnte sich eine engere Zusammenarbeit mit der Militärdiktatur bereits im März 2016 an, als Bundesinnenminister De Maizière und der ägyptische Innenminister Abdel Ghaffar ein Sicherheitsabkommen unterzeichneten.

Das ägyptische Innenministerium ist nicht nur reformunfähig, es ist darüber hinaus wiederholt für gravierende Menschenrechtsverletzungen verantwortlich. Im Rahmen von Massentötungen im August 2013 ist das ägyptische Regime für die Tötung von Tausenden Zivilisten verantwortlich und legitimierte die Massentötungen und -Verhaftungen im öffentlichen Fernsehen.

Seit 2013 werden Zivilisten getötet, darunter Studenten, Parlamentarier, Frauen und Kinder. Journalisten und politische Gegner werden inhaftiert oder getötet. Korruption findet sich in allen Teilen der Gesellschaft. Mit Notstandsgesetzen und dem erlassenen Journalistengesetz sichert die Militärregierung ihre Macht und zensiert jede Kritik an dem Fortbestehen der unter Mubarak herrschenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Umstände und seiner Elite. Die Führer des Militärputsches sind vor europäischen Gerichtshöfen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt.

Offizielle Berichte von Human Rights Watch und Amnesty International belegen die Verbrechen. Die Gefängnisse Ägyptens sind überfüllt mit Demonstranten, die gegen Sisis Regime protestiert haben. Die Todesurteile und teilweise auch vollstreckten Hinrichtungen sind ein drastischer Beleg für die Justizwillkür und dafür, dass Grundprinzipien der Rechtsstaatlichkeit missachtet werden.

Mit der erfolgten Kooperation, den Wirtschaftsdeals und den geplanten Flüchtlingsabkommen zwischen der deutschen Bundesregierung und Ägyptens Militärregime manifestiert sich nicht nur eine massive Verletzung unserer Werte und in dem Grundgesetz verankerter Prinzipien. Fraglich ist auch, ob diese Werte ausschließlich in unserer Innenpolitik verfolgt werden. Fraglich ist auch, dass „unsere“ Werte scheinbar keinen universellen Anspruch haben, da sie sich in der Außenpolitik nicht widerspiegeln.

Wie der Vizepräsident des Bundestags, Johannes Singhammer, der „Welt“ berichtete, habe der Großscheich der ägyptischen Al-Azhar Universität nun auch angeboten, Imame dort auszubilden und nach Deutschland zu schicken. Der Vorschlag scheint angesichts des Wegbrechens der DITIB in erster Linie sinnvoll. Doch auch hier ist die Frage zu stellen, wird mit zweierlei Maß gemessen? Stehen DITIB-Imame nicht deswegen im Kreuzfeuer der Kritik, weil sie Verbindungen zu einem Staat haben, der laut Wahrnehmung der Politiker in Deutschland „demokratiefeindlich“, gar „diktatorisch“ handelt? Es ist allseits bekannt, dass die Al-Azhar Universität regen Kontakt zu Sisi unterhält, der nachweislich Menschenrechtsverletzungen antrieb, doch hier ist das Angebot willkommen. Außerdem gab Singhammer an, dass dieser Vorschlag der Kanzlerin unterbreitet wurde. Wenn man jedoch bedenkt, dass Deutschland Ägypten in puncto „Flüchtlingsproblem“ als Kooperationspartner in Betracht kommt, so scheint der Ausgang dieser Misere sich abzuzeichnen.

Widerspruch und Folgen in der deutschen Bundesregierung

Ägypten erfüllt derzeit nicht die Genfer Flüchtlingskonventionen. Das Auswärtige Amt stufte Ägypten im Rahmen einer Antwort auf eine Anfrage der Grünen-Fraktion, gemäß § 29a Absatz 2 des Asylgesetzes nicht als sicheren Herkunftsstaat ein. Das Flüchtlingsabkommen erscheint angesichts dieser Einstufung geradezu paradox. Wie soll ein Land Opfern Asyl gewähren, wenn es selbst nicht als sicher gilt, wenn Asylsuchende aus genau diesem Land Asyl und Zuflucht in Deutschland gewährt wird?

Das Flüchtlingsabkommen mit einem diktatorischen Regime mögen Politiker als pragmatischen Schachzug der Kanzlerin sehen, um das „Flüchtlingsproblem“ zu lösen. Allerdings ist es wichtig zu betonen, dass das „Flüchtlingsproblem“ in Europa nur kurzfristig durch solche Abkommen gedämpft wird. Die vor Krieg und der Zerstörung flüchtenden Menschen, die hier als Herausforderung für die Gesellschaft angesehen werden, sind langfristig gesehen weiterhin von Elend und Menschenrechtsverletzungen betroffen.

Abkommen dieser Art, die die deutsche Bundesregierung abschließt, behandeln nicht die maßgeblichen Ursachen der Flucht (ungerechte Vermögensverteilung, Armut, Repressionen und Korruption). Vielmehr tragen sie dazu bei, den „Status quo“ aufrechtzuerhalten und die Konflikte „symptomatisch“ zu behandeln. Mit hoher Wahrscheinlichkeit sind solche Abkommen kurzfristig für die Kanzlerin und ihren anstehenden Wahlkampf von Vorteil. Doch im Grunde ist das Abkommen kontraproduktiv, denn nicht nur die Fluchtursachen werden missachtet, vielmehr verstärkt die Kooperation mit einem diktatorischen Regime langfristig gesehen diese Ursachen.Die Belastung Ägyptens mit noch mehr hilfsbedürftigen Menschen führt zu keiner Lösung des Problems, sondern zu einer Verlagerung. Diese Verlagerung könnte sich im Nachhinein auf Europa auswirken, mit einer gewaltigen „Flüchtlingswelle“, nicht nur aus Syrien, sondern auch aus Ländern wie Ägypten.

Terrorismus

Putschgeneral Sisi schafft mit seinem repressiven Staat den Nährboden für Terrorismus. Viele junge Ägypter sind nicht überzeugt von einem demokratischen Übergang, sehen ihre eigenen Rechte verletzt und den Ausweg in der Auswanderung in europäische Staaten bzw. dem Anschließen an bewaffnete und militante Gruppen. Eine anhaltende Repression wird weiterhin eine zunehmende Auswanderung junger Menschen nach Europa fördern. Das angestrebte und kontraproduktive Flüchtlingsabkommen wird dies nicht verhindern. Auch hier ist verwunderlich, dass der Großscheich der Al-Azhar Universität den hiesigen Religionsvertretern unter die Arme greifen will, um die steigende Radikalisierung junger Muslime zu bekämpfen, obwohl genau dies auch Ägypten plagt.

Zu erwarten ist, dass die deutsche Bundesregierung in beiden Fällen ein Abkommen unterzeichnet, das zum Scheitern verurteilt ist. Einerseits wird somit der „pragmatische“ Versuch, „Flüchtlingsströme“ zu verkleinern, scheitern. Andererseits und viel gravierender sind das „Verramschen“ eigener Grundprinzipien und die Mitverantwortung, die die deutsche Bundesregierung für die Repressionen, die Verhaftungen und das willkürliche Töten, bedingt durch die aktuelle und geplante Kooperation, tragen wird.

Zu befürchten ist, dass Deutschland sich seine Rolle als aktiver Unterstützer eines Militärregimes etabliert und letzterem einen „Persilschein“ und die Freifahrt für weitere Verbrechen verleiht.

Leserkommentare

Mareike sagt:
Und in den Gefängnissen der Türkei verrotten die Kritiker des islamistischen AKP-Regimes. Dort gilt ganz im Sinne des NS-Regimes, dass schuldig ist wer verdächtig ist. Das wird von Muslimen aber nicht kritisiert. Warum auch. Die AKP ist ja eine islamistische Partei, die ganz im Sinne des Islam agiert.
13.03.17
18:03
Manuel sagt:
Wenn es nachdem gehen würde, dann müssten wir sofort alle Beziehungen mit der Türkei abbrechen und auch mit div, anderen islamischen Ländern im Nahen Osten dürften mir dann nicht mehr reden!
14.03.17
10:45
Johannes Disch sagt:
@Manuel Richtig. Es ist eben nicht einfach, Diplomatie, politische Sachzwänge und Moral in Einklang zu bringen.
15.03.17
2:41
Manuel sagt:
Und wenn die islamistischen Moslembrüder aus Ägypten eine Gottesstaatsdiktatur gemacht hätten, dann wären natürlich die Menschenrechte überhaupt nicht gefährdet gewesen oder Fr. Fagr Eladly? Mir ist bei aller Kritik ein säkularer Sisi immernoch lieber, als eine islamistische Diktatur, denn da hätte es weitaus mehr Flüchtlinge gegeben!
15.03.17
14:02
Timo sagt:
Mit der Türkei zusammen zu arbeiten verletzt allerdings ebenfalls die Grundwerte Deutschlands. Im Osten der Türkei tobt ein Krieg gegen die Kurden, ein großer Teil des türkischen Parlaments sitzt im Gefängnis, viele Journalisten sitzen im Gefängnis, zahllose Beamte sind entlassen oder suspendiert. Darüber berichtet islamiq bezeichnenderweise nicht.
20.03.17
9:09
Andreas sagt:
@Manuel Wie kommen Sie darauf, dass die Muslimbrüder in Ägypten eine Gottesstaatsdiktatur errichten wollten? Im übrigen finde ich es merkwürdig, dass Ihnen ein Putschist, der in Eilverfahren Todesurteile verhängen läßt lieber ist, als eine doch immerhin demokratisch gewählte Regierung der Muslimbrüder. Von einer "islamistischen Diktatur" war Ägypten noch ziemlich weit entfernt. Trotz fragwürdiger Verfassungspläne der Muslimbrüder.
26.03.17
0:25
Manuel sagt:
@Andreas: Die MB sind islamistische Extremisten und nur weil einer demokratisch gewählt wurde, ist er noch lange keine Demokrat, kennen wir aus unserer eigenen Geschichte. Die MB wollen die Scharia einführen, Alkoholverbote wurden ausgesprochen und den Leuten mit Auspeitschen gedroht, wenn sie Alkohol trinken, die Verfassung war eine islamistische Verfassung, die die Scharia in den Mittelpunkt stellte, also was glauben Sie wohin die Richtung gegangen wäre? Wirklich erschreckend wie Sie Islamisten verteidigen!
28.03.17
13:19
Andreas sagt:
@Manuel Die Nationalsozialisten, auf die Sie anspielen, kamen keineswegs durch demokratische Wahlen an die Macht. Das ist eher mit der Wahl vergleichbar, mit der die ägyptische Militärdiktatur sich hat bestätigen lassen. Da war nichts mehr demokratisch. Mursi hingegen war der erste und bisher einzige demokratisch gewählte Präsident in Ägypten. Ursächlich war u.a., dass die Muslimbrüder nicht mit dem alten Regime verstrickt waren. Leider hat Mursi seinen Wahlerfolg falsch gedeutet und dachte, die Menschen teilten die Gesellschaftsvorstellungen der Muslimbrüder. Für einen großen Teil der Bevölkerung trifft dies sicher zu. Aber ebenso gibt es einen großen Teil der Bevölkerung, auf den das nicht zutrifft. Das haben die Proteste gegen Mursi gezeigt. Dennoch kann ein Militärputsch, der in einer erneuten Diktatur mündet, wohl kaum vorzuziehen sein. Mit Ihrer unerhörten Behauptung, ich würde Islamisten verteidigen, versuchen Sie nichts anderes, als meine Position zu diskreditieren. Das ist das eigentlich erschreckende. Denn während Sie tatsächlich Partei ergreifen für einen Diktator, habe ich keineswegs die Muslimbrüder verteidigt.
29.03.17
15:59
Manuel sagt:
@Andreas: Ich habe keine Partei für einen Diktator ergriffen, wo den bitte schön? Ich habe nur geschrieben, das mir eine weitgehend säkulare Diktatur immernoch lieber ist, als eine islamistische. Die MB sind islamistische Extremisten, mit solchen Leuten kann man keinen Staat machen, genausowenig, wie mit Faschisten. Und Hitler kam ganz legal und demokratisch legitimiert im Sinne der damaligen Weimarer Verfassung ins Amt. Die NSDAP wurde zur stimmenstärksten Partei gewählt!
31.03.17
11:34
Andreas sagt:
@Manuel: Also über die Machtergreiffung der NSDAP sollten Sie noch einmal nachlesen. Richtig ist, dass die Nazis die Möglichkeiten, die ihnen die Weimarer Verfassung bot, nutzten. Demokratisch ging es bei der Wahl trotzdem nicht zu. Wenn Ihnen der eine lieber ist, als der andere, kann man sehr wohl sagen, dass Sie Partei ergreiffen.
31.03.17
23:48
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