Vorbilder, die uns positiv stimmen, sind heute wichtiger denn je. In der neuen IslamiQ-Reihe möchten wir unsere Leser zu Autoren machen. Hayrunnisa Ateş schreibt über ihr Vorbild: Imam Gazâlî.
Wer hat die islamische Denkweise sichtbar geprägt? Sicherlich ist einer der ersten, die einem dabei in den Sinn kommen, Imam Gazâlî. Dieser hochgeachtete Gelehrte ist eine Autorität sowohl in der Theologie als auch in der islamischen Philosophie und Mystik. Muslime waren stets bemüht, Gazâlîs Schriften zu verstehen und seine Ansätze weiterzudenken. Auch in der westlichen Welt gab und gibt es ein ungebrochenes Interesse für diesen Universalgelehrten. Doch wer ist Gazâlî und was macht ihn aus?
Abû Hâmid Muhammad Ibn Muhammad al-Gazâlî wurde 1058 n. Chr. in Tus im Nordosten des heutigen Iran geboren. Er durchlief mehrere Phasen in seinem Leben, die ihn nachhaltig prägen sollten. Sein Vater starb sehr früh, weshalb er und sein Bruder in die Obhut eines Bekannten kamen. In Tus durchlief er eine klassische islamische Ausbildung in der Koranwissenschaft, dem islamischem Recht und den Hadithwissenschaften.
Sein Streben nach Wissen führte Gazâlî mit 19 Jahren nach Nischapur an die Nizamiya-Universität, welche zu dieser Zeit ein großer Wirkungsort renommierter Gelehrter war. Zu ihnen gehörte auch Abû al-Maâli al-Dschuwaynî, der Lehrer und Mentor von Gazâlî.
Nizâm al-Mulk, der Herrscher von Bagdad, legte sehr viel Wert auf die Forschung und begeisterte sich für die Literaturwissenschaften. An diesem Ort wurden islamische Themen diskutiert und die Gelehrsamkeit erreichte einen unglaublichen Aufschwung. Diese Tatsache führte zu einer detaillierten Ausarbeitung und zu einer beachtlichen Tiefe in den klassischen Disziplinen der islamischen Theologie.
Aufgrund seines profunden Verständnisses, der Begabung, Sachverhalte zu analysieren und seiner Zielstrebigkeit wurde Gazâlî stets bewundert und geschätzt. Nachdem Nizâm al-Mulk auf seine Werke aufmerksam wurde, ernannte er ihn zum Direktor der Nizamiya-Universität. Zu diesem Zeitpunkt war Gazâlî 34 Jahre alt. Dort bildete er ca. 300 Studenten aus.
In dieser Zeit stiegen sein Ansehen und sein Bekanntheitsgrad sowohl an der Universität als auch im öffentlichen Leben. Doch eine innere Krise Gazâlîs überschattete seine Blütezeit. Aufgrund dieses inneren Zusammenbruchs verließ er die Universität. Er bemerkte, dass seine Berühmtheit ihn von seiner aufrichtigen Absicht, Gottes Wohlgefallen zu gewinnen, entfernte und legte daraufhin seine Ämter nieder. Nachdem er das Amt des Direktors seinem Bruder Ahmad übergab, wanderte er 1095 nach Damaskus aus.
Dies war der Beginn seiner elf-jährigen Askese. In dieser Phase verfasste er sein berühmtes Werk „Al-Munkiz min ad-Dalâl“ (dt. Der Ausweg aus dem Irrtum), in dem er einen autobiographischen Einblick in seine Geisteswelt gibt. Er pilgerte zu verschiedenen Städten – darunter Jerusalem, Me-dina und Mekka. Tagsüber befand er sich meist in der Moschee oder stieg auf eines der Minarette, um in Ruhe nachdenken zu können. Sein bekanntestes und umfangreichstes Werk, „Ihyâ Ulûm ad-Dîn“ (dt. Die Wiederbelebung der religiösen Wissenschaften), verfasste er in diesen Jahren.
Imam Gazâlîs Wirkung, die schon über Jahrhunderte anhält, hat er nicht nur seiner Gotteshingabe zu verdanken. Vielmehr war es seine analytische Vorgehensweise und seine unverfrorene Art, Kritik zu äußern, die ihn zu einem charismatischen Vordenker gemacht haben. Hierbei ist zu beachten, dass er sich vor seiner kritischen Analyse sachlich mit der jeweiligen Thematik befasste. Das ist vor allem heute – in den Zeiten der sozialen Netzwerke und Medien – wichtig anzumerken, da man ständig angehalten ist, über alles und jeden, ohne große Bedenkzeit eine Meinung zu äußern. Auch hierin kann Gazâlî ein Vorbild für uns sein.