Sie wollen einen starken, autoritären Staat und eine „Kulturrevolution von rechts“. So beurteilt der Historiker Volker Weiß die „Neue Rechte“. Er attestiert dieser Strömung wachsende Kraft – aber eher durch äußere Einflüsse als durch innere Stärke.
Über Jahrzehnte hat die sogenannte Neue Rechte ihre Ideen zu Familie, Gesellschaft und Staat gepflegt. Jetzt erlangt sie neue Wirksamkeit, wie der Historiker und Publizist Volker Weiß sagt. Die rückwärtsgewandte politische Strömung habe ein «umfassendes Programm» entwickelt. Jetzt springe sie auf die großen Debatten etwa um Flüchtlinge und Migration auf, erläuterte Weiß im dpa-Interview. Dabei gebe es durchaus Ähnlichkeiten zu Entwicklungen im islamischen Kulturraum. Für sein Buch «Die autoritäre Revolte» tauchte er tief in die Geschichte der „Neuen Rechten“ ein.
Frage: Können Sie erklären, wer oder was die „Neue Rechte“ ist?
Antwort: Die „Neue Rechte“ ist eine politische Strömung am rechten Rand der politischen Landschaft, die sich in den 70er Jahren gebildet hat, als die sogenannte alte Rechte, die man gemeinhin mit dem Nationalsozialismus und seinen Restbeständen in der Nachkriegszeit verbindet, am Ende angekommen war. Die «Neue Rechte» war der Versuch einer auch intellektuellen Wiederbegründung rechten Denkens in Deutschland und in Europa. Das ist ein Projekt, das nicht alleine deutsch ist, sondern beispielsweise sehr starke Einflüsse auch aus Frankreich bekommen hat. Es ist der Versuch, gewissermaßen unter Umschiffung des Themas Nationalsozialismus, Judenvernichtung, Zweiter Weltkrieg, rechtes Denken wieder zu begründen, hauptsächlich unter Rückgriff auf Theoretiker aus den 20er Jahren, aber bis hin ins 19. Jahrhundert.
Frage: Warum ist die „Neue Rechte“ gerade jetzt so präsent?
Antwort: Die „Neue Rechte“ ist auf den Zug aufgesprungen, der sich im Zuge der Flüchtlingskrise, im Rahmen der Gründung der AfD, im Rahmen von Pegida und Co. politisch formiert hat.
Frage: Geht es nur um die Flüchtlingskrise oder mehr?
Antwort: Es geht um wesentlich mehr. Die „Neue Rechte“ bietet ein umfassendes Programm zu einer, wie sie es nennen, „Kulturrevolution von rechts“. Die Flüchtlingskrise oder auch die Einwanderungsthematik ist nun der Punkt, an dem sie ihre jahrzehntelang gebildeten Thesen und Stichworte in der Gesellschaft unterbringen können. Es geht aber generell um ein Zurück zu den Dingen, die man als eigentlich deutsch empfindet. Und dieses eigentlich Deutsche hat sehr wenig zu tun mit dem, was wir in der Bundesrepublik in der Nachkriegszeit und vor allem seit den 60er Jahren als politische Kultur und als Gesellschaft kennen. Es ist ein dezidiert antiliberaler bis tief auch ins antidemokratische Denken hinein weisender Ansatz.
Frage: Sie sagen antidemokratisch. Worin äußert sich das?
Antwort: Das sind grundlegend autoritäre Vorstellungen, die dort artikuliert werden. Und wenn man sich dann den theoretischen Kanon anschaut, auf den sich diese Leute beziehen, das sind führende antidemokratische, antiliberale, antimarxistische Denker aus den 20er Jahren. Denen ging es um den Kampf gegen die Republik, in dem Fall konkret um den Kampf gegen die Weimarer Republik natürlich. (…) Ziel ist ein autoritär gegliedertes Staatswesen, das mit den Vorstellungen, die wir heute von Demokratie haben, nichts mehr zu tun hat. Das Stichwort in den 20er Jahren wäre der Ständestaat.
Frage: Ihr Buch zeigt komplexe Vernetzungen von Individuen, Gruppen, Organisationen und Medien innerhalb des rechten Spektrums. Hat die „Neue Rechte“ mehr Einfluss, als man denkt?
Antwort: Sie ist heute wirkungsmächtiger. Sie hat eine größere Reichweite, eben durch die äußeren Prozesse. (…) Sie ist auf eine Bewegung aufgesprungen und hat versucht, sich da an die Spitze zu stellen. Das ist ihr gelungen, weil sie eben schon über die Strukturen verfügte.
Frage: Sehen wir gerade eine Normalisierung der „Neuen Rechten“, oder ist das ein vorübergehendes Phänomen?
Antwort: Also eine Normalisierung gibt es gesamtgesellschaftlich auf jeden Fall, und das nicht nur in Deutschland. Wir haben im Moment natürlich in Europa einen starken Boom rechtspopulistischer Parteien (…), und sie nehmen jetzt im Rahmen der europäischen Krise auch immer mehr Raum ein. (…) Diese globale «konservative Revolution», die ist eben nicht nur auf solche Strömungen beschränkt. Wir können in die USA schauen, wir haben hier eine ähnliche Entwicklung, die mittlerweile bis hin ins Präsidentenamt hinein geführt hat. Und wir können den gesamten sogenannten islamischen Kulturraum anschauen. Der Islamismus ist letztendlich deren Fassung davon.
Frage: Sie argumentieren, der politische Islam und die Rechte haben einiges gemeinsam. Warum bekämpfen sie sich dann so?
Antwort: Bekämpft wird Einwanderung, bekämpft werden Einflüsse, die als fremd empfunden werden, gewissermaßen als kulturfremd, weil im Denken dieser Leute die Erde in klar definierte Räume aufgeteilt ist. Und in diesem Denken hat der Islam in Europa (…) nichts verloren, weil man sagt, hier ist christliches Abendland. (…) Die gesellschaftlichen oder gesellschaftspolitischen Vorstellungen, die teilt man eigentlich. Also, wenn wir beispielsweise Rollenbilder anschauen, die Vorstellung von Autorität, von Respekt, wie eine Familie gegliedert zu sein hat, wie Gesellschaft überhaupt funktioniert. (…) Der Kampf gegen den Islam ist eigentlich ein Kampf gegen Migration und nichts anderes.
ZUR PERSON: Volker Weiß (Jahrgang 1972) ist ein in Hamburg lebender Historiker und Publizist. Er gilt als Kenner der neurechten Szene. Sein Buch „Die autoritäre Revolte. Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes“ war 2017 unter den Nominierten für den Preis der Leipziger Buchmesse. (dpa, iQ)