In der Debatte über eine deutsche Leitkultur kann Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) mit Rückhalt in der Bevölkerung rechnen. Einer aktuellen Umfrage zufolge ist jeder Zweite davon überzeugt, dass Deutschland eine Leitkultur braucht. In einer Insa-Umfrage für den „Focus“ (Samstag) stimmten 52,5 Prozent der 1.000 Befragten dieser Aussage zu. Jeder Vierte (25,3 Prozent) sprach sich dagegen aus.
Als wichtigste Elemente einer Leitkultur nannten die Befragten die deutsche Sprache, das Bekenntnis zum Grundgesetz, Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie die Ablehnung radikaler, der demokratischen Grundordnung widersprechender Positionen.
De Maiziere hatte am Wochenende einen Zehn-Punkte-Katalog für eine deutsche Leitkultur veröffentlicht. Darin beschreibt er unter anderem Religion als „Kitt und nicht Keil der Gesellschaft“. Weiter heißt es unter anderem, Deutschland sei eine offene Gesellschaft: „Wir zeigen unser Gesicht. Wir sind nicht Burka.“
Ex-Bundespräsident Christian Wulff sprach sich für eine „freiheitlich-demokratische Leitkultur“ aus. Diese dürfe aber nicht die große Weltoffenheit gefährden und müsse auch die freie Religionsausübung für Muslime sichern, schreibt Wulff im „Focus“. Offene Grenzen in der EU und die Beseitigung von Handelsbarrieren seien zentral wie die Offenheit „gegenüber anfangs Fremden und Fremdem“. Zuwanderung habe das Land „positiv verändert“.
Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner glaubt nicht an das Konzept einer Leitkultur. „Ich finde das Bekenntnis zur Werteordnung unseres Grundgesetzes mit Freiheit und Würde des Einzelnen elementar“, sagte er dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ (Freitag). Leitkultur mache sich „jedenfalls nicht an Opernhaus, Oktoberfest und Sauerkraut fest“. Innerhalb der Verfassungswerte dürfe jeder sein, wie er wolle – „egal ob er abends lieber im Koran oder im Kriminalroman liest“. Der beste Beitrag der Politik zur „Verfassungskultur“ sei, Menschen die Angst vor Bedrohungen der Werteordnung zu nehmen.
Der Grünen-Politiker Volker Beck richtete den Blick auf die katholische Kirche. Wem es um eine Gleichberechtigung der Geschlechter gehe, müsse auch die Kirche kritisieren, weil dort Frauen keine Priesterweihe empfangen dürften, sagte er.
„Die Thesen von Bundesinnenminister Thomas de Maizière markieren einen neuen Tiefpunkt in der ewiggestrigen Leitkultur-Debatte. Unsere Gesellschaft wird nicht von Regeln getragen, die in Boulevardblättern formuliert werden, sondern von Werten, die in unserer Verfassung stehen“, erklärt Bekir Altaş, Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG). Unter anderem sei das Freiheitlichkeit. Sie garantiere jedem Einzelnen die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, so der IGMG-Generalsekretär in einer Pressemitteilung weiter. Außerdem sei „unsere Gesellschaft (…) stark und selbstbewusst genug, sich keine vorformulierte Leitkultur überstülpen zu lassen,“ so Altaş.
Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, schreibt in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (Samstag), er habe kein Problem damit, über Leitkultur zu debattieren. Diese solle man aber nicht an Äußerlichkeiten festmachen. Wichtiger sei, die Bedeutung von „Einigkeit und Recht und Freiheit“ zu verstehen. Die Debatte dürfe nicht dazu führen, dass eine „deutsche Vergangenheit, die es so nie gegeben hat“, als romantisches Vorbild gesehen werde. So etwas führe zu einer gefährlichen „Ausgrenzungssemantik“.
Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) hält die Leitkulturdebatte für wichtig. „Es muss nicht jeder einen Christbaum aufstellen. Aber verstehen und akzeptieren, dass der Jahresrhythmus bei uns von christlichen Feiertagen geprägt ist, das darf man schon verlangen“, sagte er der „Passauer Neuen Presse“ (Freitag). (KNA, iQ)