IQ-WAHLPRÜFSTEIN Nordrhein-Westfalen

„Angriffe auf Moscheen, sind Angriffe gegen den Rechtsstaat“

Am 14. Mai finden die Landtagswahlen in NRW statt. Was steht in den Parteiprogrammen zu Islam und Muslimen? IslamiQ liefert die Antworten. Heute Bündnis 90/Die Grünen. Wähl mit iQ!

09
05
2017
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NRW Banner - Wähl mit iQ © IslamiQ
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IslamiQ: Seit 2012 gibt es islamischen Religionsunterricht als etabliertes Schulfach an einigen Schulen in NRW. Was sind Ihre politischen Ziele in diesem Bereich?

Bündnis 90/Die Grünen: Der Islam gehört zu Nordrhein-Westfalen wie andere Religionen und Weltanschauungen auch. Wir wollen allen Menschen in NRW gleiche Rechte garantieren. Deshalb haben wir als Schritt hin zu mehr Gleichberechtigung den Islamischen Religionsunterricht eingeführt, in dem Schüler*innen von in Deutschland ausgebildeten Lehrkräften in deutscher Sprache und mit vom Schulministerium erstellten Lehrplänen unterrichtet werden. NRW ist damit bundesweiter Vorreiter. Für die Lehrer*innenausbildung in diesem Fach haben wir einen eigenen Lehrstuhl in Münster geschaffen. Wir wollen einen weiteren Lehrstuhl für islamische Religion in NRW sowie einen für alevitische Religionslehre einrichten, um dem wachsenden Bedarf an islamischen Religionslehrerinnen und –lehrern dauerhaft gerecht zu werden.

Da es bislang keine anerkannte islamische Religionsgemeinschaft in NRW gibt, wurde für den islamischen Religionsunterricht ein Beiratsmodell als Übergangslösung gefunden. Das Beiratsmodell wurde nach ausführlicher parlamentarischer Beratung in ein Gesetz gefasst und ist bis 2019 befristet. Damit war es möglich, den Religionsunterricht einzuführen, ohne das lange und komplizierte Anerkennungsverfahren abwarten zu müssen. Der Beirat besteht aus acht Personen, die hälftig von islamischen Verbänden und vom Ministerium berufen werden. Die Mitgliedschaft des Vertreters der DITIB ruht auf Bitten des Ministeriums derzeit bis zur Klärung der Spitzelvorwürfe.

IslamiQ: In Niedersachsen, Hamburg oder Bremen gibt es bereits Staatsverträge mit islamischen Religionsgemeinschaften oder werden welche ausgehandelt, um die Kooperation mit den islamischen Religionsgemeinschaften zu stärken. Wie wollen Sie die Zusammenarbeit mit den Muslimen stärken?

Bündnis 90/Die Grünen: Der Staat kann und sollte unter Wahrung des Neutralitätsgebotes den Herausbildungs- und Gründungsprozess von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften im Rahmen des Religionsverfassungsrechts unterstützen, etwa indem er bei Beratungs- und Informationsangeboten organisatorisch hilft. Das gilt zum Beispiel für Anerkennungsbestrebungen von Muslimen, von Aleviten oder Humanisten. Wir setzen auf einen breiten, inklusiven Diskussionsprozess in den muslimischen Communities. In diesem muss es unter anderem darum gehen, welche Schritte nötig wären, um eine Religionsgemeinschaft im Sinne des Grundgesetzes zu etablieren. Die vier großen muslimischen Verbände (DITIB, Islamrat, Zentralrat der Muslime, VIKZ ) erfüllen aus unserer Sicht zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht die vom Grundgesetz geforderten Voraussetzungen an eine Religionsgemeinschaft im Sinne des Religionsverfassungsrechts. Das betrifft die Fragen der Bekenntnisförmigkeit, der Klarheit über Mitgliedschaft und der Gewährleistung „allseitiger Religionspflege“. Sie sind religiöse Vereine. Zudem ist es nicht nur religionspolitisch bedenklich, dass die DITIB strukturell der staatlichen Religionsbehörde der Türkei, und damit der dortigen jeweiligen Regierungspolitik, untersteht.

Eine bekenntnisförmige Neuorganisation der Muslim*innen würde aus ihren Organisationen keine Kirchen, aber islamische Glaubensgemeinschaften in Deutschland machen. Sie hätten einen Anspruch auf rechtliche Gleichstellung. Damit würde der Islam in Deutschland auch institutionell verankert. Die Muslim*innen und ihre Organisationen müssen dabei selbst entscheiden, ob und wie sie in der Vielfalt muslimischen Lebens die Voraussetzungen für ein institutionalisiertes Kooperationsverhältnis mit dem Staat erreichen wollen. Auf dem Weg zur Gleichstellung kann es Übergangs- und Zwischenlösungen geben. Das betrifft Bereiche wie Schule und Hochschule, gesellschaftliche Teilhabe – etwa in Rundfunk und Fernsehräten – oder auch die Wohlfahrtspflege. Neben der Ausbildung von Lehrkräften an deutschen Hochschulen muss auch die Ausbildung von Imamen nach wissenschaftlichen Standards in Deutschland gewährleistet sein.“

IslamiQ: Mehrere Studien attestieren eine zunehmende Islamfeindlichkeit in Deutschland. Wie möchte Ihre Partei dieser Entwicklung entgegenwirken?

Bündnis 90/Die Grünen: Die zunehmende Islamfeindlichkeit bereitet auch uns GRÜNEN große Sorgen. Sie ist nicht nur in den Studien zu menschenfeindlichen Einstellungen in der Gesellschaft sichtbar, sondern zeigt sich auch immer häufiger in tätlichen Angriffen sowohl gegen Personen als auch gegen Moscheen und andere muslimische Einrichtungen. Insbesondere rechtspopulistische Parteien machen bewusst Stimmung mit antimuslimischen Ressentiments, um Zuspruch in bürgerlichen Milieus zu bekommen und machen diese Ressentiments gleichzeitig noch weiter salonfähig. Wir Grüne haben uns immer entschieden gegen jede Form von Rassismus positioniert und werden dies auch in Zukunft tun – sei es in politischen Debatten oder auf Demonstrationen gegen Rechts. Unser Engagement gegen Rechtsextremismus und Rassismus haben wir auch in konkretes Regierungshandeln übersetzt. Wir haben die spezialisierten Beratungsstellen für Opfer rechter und rassistischer Gewalt eingerichtet und für eine landesseitige Finanzierung der Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus und der zivilgesellschaftlichen Aussteigerberatung NinA NRW gesorgt. Außerdem haben wir die Mittel für die Antidiskriminierungsbüros in NRW aufgestockt. Die Stärkung dieser Beratungsstruktur geht auf die Initiative der Grünen Landtagsfraktion zurück.

Auch das integrierte Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus und Rassismus wurde von uns Grünen in die Koalitionsverhandlungen im Jahr 2012 eingebracht. Dieses Handlungskonzept wurde nach einem breiten Beteiligungsprozess mit der Zivilgesellschaft im letzten Jahr vorgestellt und es wurde zusätzlich ein Förderprogramm für kommunale Handlungskonzepte gestartet. Das kommunale Förderprogramm und das integrierte Handlungskonzept des Landes wollen wir in der nächsten Legislaturperiode weiterentwickeln hin zu einem Landesförderprogramm für zivilgesellschaftliche Initiativen und Projekte. Daneben wollen wir ein Antidiskriminierungsgesetz auf Landesebene einführen, das die europäische Antirassismusrichtlinie umsetzt und ein Verbandsklagerecht zulässt.

Wir GRÜNE begrüßen außerdem, dass das Bundesverfassungsgericht das Kopftuchverbot an Schulen aufgehoben hat, weil dieses eine Ungleichbehandlung der verschiedenen religiösen Bekleidungen darstellte und somit einseitig Musliminnen diskriminierte. Nach diesem Urteil haben wir das Schulgesetz entsprechend angepasst.

IslamiQ: In den letzten Jahren kommt es immer häufiger zu Angriffen auf Moscheen und muslimische Einrichtungen. Was kann und sollte unternommen werden, um diese zukünftig besser zu schützen?

Bündnis 90/Die Grünen: Alle Menschen müssen ihre Religion in Frieden und frei leben und ausüben können. Die Religionsfreiheit ist fest im Grundgesetz verankert und wir GRÜNE verteidigen das Grundgesetz gegen jeden Angriff. Angriffe auf Gottes-, Gebets- und Gemeindehäuser jeder Religion sind gleichzeitig auch Angriffe gegen den demokratischen Rechtsstaat und unsere vielfältige Gesellschaft. Allein im letzten Jahr bisher 88 Angriffe gegen Moscheen erfasst worden, 21 davon haben in NRW stattgefunden. Im Jahr 2015 80 Straftaten bundesweit und 32 in NRW, während es im Jahr 2014 noch 45 Straftaten bundesweit und 8 Straftaten in NRW waren. Die bisher vorliegenden Zahlen beziehen sich nur auf Angriffe gegen Moscheen, Angriffe gegen Personen oder andere muslimische Organisationen sind bisher nicht abgebildet. Der massive Anstieg der Straftaten muss auch als eine Folge der Mobilisierung rechtspopulistischer Kräfte im Zuge der sogenannten Pegida-Demonstrationen und der Radikalisierung der AfD gewertet werden. Wir haben uns lange dafür eingesetzt, dass antimuslimische Straftaten in der Statistik zur politisch motivierten Kriminalität gesondert erfasst werden. Im Jahr 2014 hat die Grüne Landtagsfraktion gemeinsam mit der Fraktion der SPD die Landesregierung dazu aufgefordert, sich auf Bundesebene für eine bessere Erfassung politisch motivierter Straftaten einzusetzen und selbst eine solche Statistik einzuführen, wenn auf Bundesebene keine Einigung hierzu gelingt. Auch auf Druck aus NRW hat die Innenministerkonferenz im Sommer 2016 beschlossen, dass antimuslimische, antiziganistische und christenfeindliche Straftaten ab dem 1.1.2017 gesondert erfasst werden. Mit diesen Daten kann das Phänomen antimuslimischer Straftaten besser analysiert und entsprechende Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Eine mögliche Maßnahme wären Sicherheitskonzepte für Moscheen und muslimische Einrichtungen, die gemeinsam mit der Polizei erarbeitet werden.

IslamiQ: Die Deutsche Islamkonferenz befasst sich aktuell mit dem Thema islamische Wohlfahrtspflege und Seelsorge aufgrund der steigenden Nachfrage – auch in NRW. Wird Ihre Parte die Etablierung einer islamischen Wohlfahrtspflege unterstützen? (bitte begründen)

Bündnis 90/Die Grünen: Wohlfahrtspflege und Daseinsvorsorge sind staatliche Aufgaben, die gemeinnützige und privatwirtschaftliche Organisationen übernehmen. Das soziale Engagement von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in diesem Bereich ist wertvoll für die Gesellschaft, egal von welcher Gemeinschaft es ausgeht. Religiöse Monopole auf dem Wohlfahrtsmarkt, wie es sie in manchen Regionen Deutschlands gibt, können Beschäftigungschancen von Menschen in sozialen Berufen schmälern. Auch viele konfessionsfreie oder andere Angehörige nicht-christlicher Glaubensgemeinschaften schätzen freilich die Angebote kirchlicher Träger. Allerdings gibt es auch Menschen, die sich nicht wohl dabei fühlen, wenn es bei ihnen vor Ort oft keine Alternative zur Betreuung in einer christlich geprägten Umgebung gibt. Wir begrüßen und unterstützen daher alle Konzepte zur kultursensiblen und pluralistischen Fortentwicklung von Angeboten und treten dafür ein, dass den Menschen möglichst plurale Angebote zur Verfügung stehen. Daher unterstützen wir auch die Etablierung einer islamischen Wohlfahrtspflege.