Muslimische Frauen erfahren nicht nur Diskriminierungen und Pöbeleien, sondern werden auch massiv angegriffen. Welche folgen islamfeindliche Straftaten für die Gesellschaft haben und warum sie als solche erfasst werden müssen, erklärt Zarqa Butt.
„Mann beschimpft Frau und zieht am Kopftuch“ fnp.de
„Faust in Kinderwagen geboxt Brutalo-Nazi will Frau mit Baby (1) töten“ berliner-kurier.de
„Neunjährige rassistisch beleidigt und bespuckt“ tagesspiegel.de
„Kaffee – einmal ohne Kopftuch, bitte!“ taz.de
„Hetze an der Haltestelle“ tagesspiegel.de
„Angriff auf Muslimin: Tatverdächtiger eingewiesen“ ndr.de
Mädchen angegriffen, Tuch runter gezerrt, beleidigt… focus.de / noz.de
Eine Anfang April durchgeführte einfache Google-Recherche über den Zeitraum 2015 bis 2017 in Deutschland mit den Stichworten „Angriff“, „Muslim“ und „frau“ ergibt um die 50 in den Medien aufgegriffene Fälle, in denen vermittelt bzw. polizeilich ermittelt werden musste –neben den juristisch begleiteten Fällen.
Es sind Angriffe gegen Frauen, die ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland sehen, ihrer Arbeit nachgehen, studieren oder noch zur Schule gehen, Kindergarten- und Schulfeste zusammen mit ihren muslimischen und nichtmuslimischen Bekannten und Freunden gestalten und so kulturelle Vielfalt bereichern, – nicht nur mit exotischen Delikatessen – bemüht sind, mit Freunden und Kindern eine Balance zwischen verschiedenen Kulturen zu leben. Gerade diejenigen, die die Pluralität der Gesellschaft engagiert repräsentieren, erfahren nicht nur Zurückweisungen, Diskriminierungen, Pöbeleien; sie werden zum Teil massiv attackiert.
Die feigen Angriffe, insbesondere gegen Kinder, offenbaren nicht nur Indizien einer gesellschaftlich zerstörerischen Geisteshaltung der Täter, sondern sind, wenn sie sich wiederholt äußern, Potentiale eines grundsätzlichen Konflikts in der Gesellschaft, der bei strafwürdigen Fakten nicht nur strafrechtlich verfolgt werden muss, sondern darüber hinaus einer gründlichen Analyse bedarf, die eine entsprechende gesellschaftspolitische Veränderung anvisiert. In Verantwortung stehen hier neben gesellschaftspolitischen Akteuren ebenso die Medien, die einen erheblichen Anteil an der negativen Haltung gegenüber Muslimen haben und für die Verfestigung dieser Negativeinstellung Mitverantwortung tragen.
Presseberichte stützen sich auf Meldungen der Opfer oder Daten der Polizei oder des Verfassungsschutzes. Wenn aber die Presse offensichtliche rassistische Slogans – wie zum Beispiel „Scheiß Muslima“ – in ihrem Bericht zu beschwichtigen versucht, indem sie die eindeutig rassistische Motivation einer solchen Äußerung in Frage stellt, fördert sie die Ermutigung zur Reproduktion solchen Verhaltens oder mindestens die allgemeine Gleichgültigkeit und Ignoranz gegenüber den Empfindungen der so gedemütigten „Anderen“, und ignoriert so das Unrecht gegenüber den Geschädigten. Dies fördert auf der Seite der so Diskriminierten Angst, Hilflosigkeit, Rückzug aus der Gesellschaft oder Aggression. Letzteres mündet dann wieder in erneuten Vorwürfen und Diskriminierungen gegenüber den bereits Geschädigten.
Wenn einer Frau – noch dazu in Begleitung ihres Kindes – ein Tuch vom Kopf gerissen wird begleitet mit entwürdigenden Äußerungen über ihre Person als Muslima oder wegen ihres Habitus das Persönlichkeitsrecht freier Berufswahl verunmöglicht wird, einer kopftuchtragenden Schülerin ein Praktikumsplatz versagt wird, sind das rassistische oder diskriminierende Motivationen, die auch als solche bewertet werden müssen, auch wenn sie im Strafgesetzbuch so explizit nicht normiert sind. Wir haben zwar ein Antidiskriminierungsgesetz, jedoch können in den seltensten Fällen die Diskriminierten ihre Rechte durchsetzen. Die Täter auf jeden Fall nehmen nicht wahllos irgendwelche Frauen und Kinder ins Visier, sondern greifen ihre Opfer gezielt an, weil sie offenbar der Meinung sind, Dinge, die ihnen als Problem erscheinen oder eine bestimmte ungelöste Frage ihre Umfeldes auf diese Weise in ihrem Sinne lösen zu können oder zu müssen. Die Opfer aber erleben diese Angriffe als vorurteilsbehaftete gewaltsame Konfliktaustragung. Hier von „nicht islamfeindlich“ zu sprechen oder als Tat eines psychisch Kranken, fast entschuldigend, zu entpolitisieren, ist eine Verkennung des grundlegenden Konflikts und demoralisiert die Opfer.
Es stehen nicht nur die Medien in der Verantwortung, sondern insbesondere die Politik: Vor dem Hintergrund der aus den Schlagzeilen ableitbaren gesellschaftlichen Herausforderungen darf von selbstbewussten Parteikonzepten explizit erwartet werden können, – gerade aktuell in Wahlkampfzeiten Gesellschaft stabilisierende Faktoren hervorzuheben, die Minderheiten gleichwertig anzusprechen, mit ins Boot zunehmen, statt wieder einmal marginalisierten Divergenzen und Differenzen diskursiv auf deren Rücken undifferenziert auszutragen und sie auszulagern.
Statt sich auf selbst definierte Ismen festzubeißen und damit populistische Ambitionen einzelner Gruppen zu bedienen, wünschen sich die betroffenen Kinder und Frauen in ihrer Würde als Menschen wahrgenommen und ernstgenommen zu werden auf der Grundlage der Werte und Gesetze ihres Landes, in dem sie leben, wirken, arbeiten und mit dem sie sich identifizieren.
„Mama, wo komme ich eigentlich her“, wurde ich heute in der Klasse gefragt. Ich habe gesagt, ich bin in Köln geboren, also bin ich Kölnerin. Das wollten weder die Lehrer glauben noch die Kinder. Sie haben gesagt, ich bin keine Deutsche. Woher bin ich nun?“ Das Kind (Grundschule) war sehr enttäuscht, dass es nicht dazu gehört, obwohl es sich seinem Klassenverband mit internationalem Kontext zugehörig fühlt.
In einer anderen Diskussion, in der Mittelstufe, in der es um den positiven Aspekt von Migration ging, fragt ein Kind: Mama, bin ich auch eine Migrantin? Nein, erwidert die Mutter, ich bin Migrantin, weil ich aus einem anderen Land nach Deutschland eingewandert bin, aber du bist hier geboren und lebst auch hier, deshalb bist du keine Migrantin. Das Kind war auch hier enttäuscht, aber weil es im Migrantsein einen Vorteil sah, eine Kompetenz, die es einbringen kann in seiner Klassen-Gemeinschaft. Es war dann aber intrinsisch motiviert, weil es einen Migrationshintergrund über seine Eltern hat, und dadurch über zusätzliche Erfahrungswerte verfügt, die in seiner Gemeinschaft willkommen sind. (Erfahrungen eigener Kinder)
Diese beiden Selbst- und Fremdbilder von muslimischen Kindern lassen in etwa erahnen, dass es auf den Ton und die Haltung der Gesellschaft ankommt, will man gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern.
Mehrere Studien, darunter die Studie „Migration und Gesundheit“ (2015) im Auftrag der Arbeiterkammer Wien und des Bundesministeriums für Gesundheit, sowie die Langzeitstudie „A longitudinal examination of maternal, family, and area-level experiences of racism on children’s socioemotional development: Patterns and possible explanations“ (2015) stellen einen deutlichen Zusammenhang zwischen erlebter rassistischer Diskriminierung und der mentalen Gesundheit der Betroffenen fest: Eigene und indirekt erlebte Diskriminierung beeinträchtige die mentale Gesundheit der Mutter, rassistische Erfahrungen der Familienmitglieder hätten indirekten Einfluss auf die Gesundheit des Kindes. Bei Beeinträchtigung der Gesundheit der Mutter aufgrund rassistischer Erfahrungen und die der Familie insgesamt, hätten einen direkten Einfluss auf die Entwicklung der Kinder.
Nicht nur angesichts dieser wissenschaftlichen Ergebnisse stehen Politik und Medien in der Verantwortung zukunftsorientierte Konzepte in Zusammenarbeit mit allen relevanten Gesellschaftsakteuren zu erarbeiten.
„Musliminnen haben Angst im öffentlichen Nahverkehr“ welt.de
„Wut-Arzt rastet wegen Kopftuch aus“ oe24.at
„Kopftuchverbot im Job möglich“ tagesschau.de (EuGH-Urteil)
„Brutaler Angriff auf Muslimin in Kiel“ kn-online.de
Wie wirken sich wohl diese Erfahrungen auf den Zustand der betroffenen Frauen und Kinder aus? Welche Folgen muss man auf die gesellschaftlichen Beziehungen befürchten, z.B. auf Lehrer-Schüler, Arbeitnehmer-Arbeitgeber Verhältnisse?
Kinder und Heranwachsende können und müssen diese Marginalisierungen nicht problematisieren, noch müssen sich die Opfer solchen Ausgrenzungen und solcher Gewalt stellen. Stellen und sich eindeutig positionieren müssen sich politische Akteure, und zwar nicht hinter ihre Parteipositionen, Arbeitsthesen, sondern für neue Positionen, die die Identität der betroffenen aus ihrem Verständnis heraus mit gleichwertig aufnehmen, verteidigen und sichern und so für die Entfaltung der Persönlichkeit in Sicherheit gewährleisten.
Statt die individuelle Persönlichkeit zu problematisieren oder zu relativieren, sind klare Botschaften notwendig verbunden mit Sicherheit gewährenden Konzepten, nicht präventiven Maßnahmen, die die Betroffenen von vornherein als die Verantwortlichen sehen.
Die Stigmatisierungen, denen muslimische Frauen und Schülerinnen und Schüler zunehmend ausgesetzt werden, dokumentieren deutliche Verletzungen mehrerer Standards einer rechtstaatlichen Gesellschaftsordnung. Die Betroffenen sind Teil der deutschen Gesellschaft, Teil Deutschlands, ein Großteil ohne eigene Migrationserfahrung. Sie sind Deutsche muslimischen Glaubens.
Zeitgemäßes und realistisches Konfliktmanagement empfiehlt Rahmenbedingungen zu schaffen, in der Gerechtigkeitskultur mit klaren Regeln, die einen fairen Umgang der Konfliktparteien gewährleistet. Sie sieht Konflikte als Chance für notwendige Veränderungen. Es stellt sich die Frage, inwieweit die Beteiligten ihre Bedürfnisse fair und konstruktiv einbringen können. Explizit: Was für eine Gesellschaft wir wollen. Eine heterogene, gleichwertige Gesellschaft, die vielfältige Lebensmodelle und Religionen zulassen kann, in der unterschiedlicher Habitus und Lebensgewohnheiten Normalität und Teil der pluralen Gesellschaftsstruktur ist.
Oder wollen wir eine homogene Gesellschaft, in der das Pluralistische allenfalls geduldet wird? Das würde nicht der Realität entsprechen, die Gesellschaft spalten und zu vielfältigen Entgleisungen führen und nicht nur der Fremdenfeindlichkeit Vorschub leisten.