Historikerin

Terrorismus- „Religion wird bewusst instrumentalisiert“

Die Historikerin Carola Dietze hat das Thema Terrorismus jenseits von Schlagzeilen beleuchtet: In ihrem Buch beschreibt sie „Die Erfindung des Terrorismus“ im 19. Jahrhundert. Was sich aus der Geschichte lernen lässt, erklärt sie im Interview der KNA.

07
06
2017
Symbolbild: terror everywhere © flickr / CC 2.0 / by Technofreak, bearbeitet IslamiQ

KNA: Frau Dietze, hat uns der Terrorismus der vergangenen Jahre verändert?

Dietze: Terroristische Attentate waren in der Nachkriegsgeschichte lange nichts Außergewöhnliches: durch die ETA, die RAF, die IRA. Das ließ in den 1990er Jahren nach, und an diesen Zustand hatten wir uns gewöhnt. In den vergangenen Jahren verstärkte sich der Druck wieder. Früher heizten allerdings eher innereuropäische Konflikte den Terrorismus an; inzwischen geht es um globale Probleme. Das verstärkt vielleicht das Gefühl von Hilflosigkeit.

KNA: Neben dieser Globalisierung beschreiben Sie eine „Demokratisierung“ von Terroristen. Was bedeutet das?

Dietze: Dieser Begriff zielt auf die historische Entwicklung vom politischen Attentat zum Terrorismus. Frühere Attentate wurden meist von politischen Eliten in Auftrag gegeben oder direkt verübt. Diese Morde richteten sich gegen politische Führungsfiguren; die Täter waren ihnen in der Regel sehr nah und gut informiert. Der spätere Terrorismus wird dagegen von Gruppierungen verübt, die den Opfern viel ferner standen. Heutige Attentäter stammen im Gegensatz etwa zur RAF auch nicht mehr aus Eliten, sondern eher aus marginalisierten Gruppen.

KNA: Und im Hinblick auf die Opfer?

Dietze: Da gab es eine ähnliche Entwicklung. Als der Terrorismus entstand, waren die Opfer in aller Regel herausragende Personen des politischen und öffentlichen Lebens: Zaren, Präsidenten, Könige. Menschen in vergleichbaren Positionen haben heutzutage einen Personenschutz, der es schier unmöglich macht, sie anzugreifen. Zugleich hat sich die terroristische Ideologie verändert. Al-Qaida hat erklärt, dass die amerikanische Bevölkerung durch Wahlen mitverantwortlich für die Politik des Präsidenten ist – und daher ein legitimes Angriffsziel. Hinzu kommt: Es hat schockierende Wirkung, die Zivilbevölkerung anzugreifen. Und Terrorismus muss schockieren, um erfolgreich zu sein.

KNA: Ist es insofern der richtige Vorsatz, sich vom Terror nicht mehr beeindrucken zu lassen?

Dietze: Wenn auf Terror weniger reagiert wird, wird er als Taktik politischen Handelns unattraktiver. Denn Terrorismus ist eine spezielle Form der Provokation, und eine Provokation, die niemanden aufregt und auf die niemand reagiert, ist keine. Zugleich liegt in der Handlungslogik der Provokation die Gefahr, dass potenzielle Attentäter einander immer wieder überbieten. Wenn – wie zuletzt in Manchester – Kinder angegriffen werden, ist das eine Grenzüberschreitung, um aufs Neue zu schockieren. Wir müssen also mit immer drastischeren Taten rechnen. Dem Terror möglichst wenig Raum zu geben, ist eine schlüssige Antwort. Gleichwohl darf man Angst, Betroffenheit und Trauer um die Opfer nicht verdrängen.

KNA: In Ihrem Buch heißt es, die Taktik des Terrors sei dort entstanden, wo auch Kommunikationstechnologie und Medienlandschaft hoch entwickelt waren. Heute scheinen westliche Gesellschaften den Terror-Propagandisten hinterherzuhinken. Hat sich dort etwas verschoben?

Dietze: Die Verhältnisse haben sich geradezu umgedreht – durch die veränderten technologischen Mittel. In der Entstehungszeit des Terrorismus war es wesentlich, dass Reporter und Zeichner schnell zum Ort des Attentats kamen und von dort berichtet haben – später die Kamerateams der Fernsehsender. Über das Internet haben Terroristen heute die Möglichkeit, ihre eigenen Botschaften zu erstellen und weltweit zu verbreiten. So können sie aus der Peripherie heraus problemlos und kostengünstig auch Menschen in den Zentren erreichen.

KNA: Zugleich wird nach fast jedem Anschlag über die Berichterstattung der Massenmedien diskutiert. Was könnten sie anders machen?

Dietze: Die Medien sollten sich nicht zu sehr auf das Spektakuläre einlassen, sondern soweit wie möglich politische Aufklärung betreiben. Nicht zu berichten ist keine Option, schon weil die Zivilbevölkerung als potenzielles Anschlagsziel genaue Informationen braucht, um sich in Anschlagssituationen möglichst effektiv zu schützen. Doch sollten die Medien dazu beitragen, das eigentliche Problem zu lösen und sich nicht auf das einlassen, was die Terroristen wollen.

KNA: Ein häufiger Kritikpunkt ist allerdings genau das: die Konzentration auf den Täter.

Dietze: Historisch ist immer wieder nachgewiesen, dass Terroristen sich von früheren Attentätern ganz konkret inspirieren lassen. Auch möchten viele von ihnen gewissermaßen in die Geschichte eingehen. Dafür brauchen sie Medien, die Verbreitung ihres Namens und ihres Bildes. Insofern könnte Zurückhaltung in dieser Hinsicht den Terrorismus durchaus weniger attraktiv machen.

KNA: Welche Rolle spielt die Religion?

Dietze: Terrorismus folgt in erster Linie politischen Motiven. Historische Fälle zeigen, dass manche Attentäter fest in bestimmten Glaubenskontexten standen und Politik aus dieser Perspektive interpretierten. Insofern war Terrorismus schon früh mitmotiviert durch Religion; das gilt für alle große Weltreligionen, nicht allein für den Islam. Bei heutigen Terroristen spielen wiederum politische Forderungen eine große Rolle; Religion wird oftmals bewusst instrumentalisiert. Gegensätze wie jener zwischen der säkularen Moderne und dem unzivilisierten Islamismus halte ich für problematisch. Das geht am Kern des Problems – politisch motivierter Gewalt – vorbei.

KNA: Was kann die Geschichte des Terrors sonst lehren?

Dietze: Terrorismus lässt sich nie rein polizeilich oder militärisch bekämpfen. Es braucht politische Lösungen – weil Terrorismus aus politischen Problemen erwächst. Insofern kann man Sicherheitsgesetze durchsetzen und versuchen, radikalisierte Einzelpersonen von Attentaten abzuhalten. Dies wird das eigentliche Problem jedoch nicht lösen. Zudem zeigt die Geschichte, dass es in hohem Maß auf die Reaktionen auf terroristische Akte ankommt. Terrorismus ist eine spezifische Form von Provokation, die zu einer Radikalisierung und Spaltung der Gesellschaft führen soll. Die Frage ist, ob die Gesellschaft das zulässt, ob sie sich provozieren und spalten lässt. Da ganz bewusst gegenzusteuern, ist eine Möglichkeit, dem Terrorismus den Wind aus den Segeln zu nehmen. (KNA/iQ)

Leserkommentare

Johannes Disch sagt:
@grege Warum ich nach dem Staat schreie? Ich schreie nicht nach dem Staat, sondern bin nur der Meinung, dass er in der Pflicht ist. Nicht nur der Staat, aber eben auch der Staat. Der Staat ist befugt, die Dinge zwischen ihm und den Religionsgemeinschaften zu regeln bzw. dort regulierend tätig zu werden, wenn Bedarf ist. Das zeigt u.a.Art. 140 GG "Religionsverfassungsgesetz." Er tut es ja bereits auf einigen Ebenen, u.a. mit den sogenannten "Islamkonferenzen." Aber auch dort überwiegen auf muslimischer Seite bisher leider die konservativen Kräfte. Der Staat sollte im Dialog bleiben auch mit den konservativen Verbänden, sollte dabei aber immer die rote Linie deutlich machen und von den Verbänden die Verbreitung eines liberalen Islam einfordern.
05.07.17
21:34
Johannes Disch sagt:
@grege In der Mitte der muslimischen Community existiert überhaupt kein Extremismusproblem. Man sollte nicht von den Verbänden auf die Muslime schließen. Die Verbände repräsentieren höchstens 15% der Muslime.
05.07.17
21:36
grege sagt:
Der Staat kann die liberal gesinnten Muslime nicht zwingen sich zu organisieren. Diese Erkenntnis udn Bereitschaft muss sich von innen heraus entwickeln. Hier erwarte ich von den Muslimen hierzulande die Initialzündung, die allerdings bisher ausgeblieben ist. Die Gründung der Moscheegemeinde von Frau Ates ist ein hoffnungsvolles Zeichen, allerdings befürchte ich, dass die Gemeinde ein eher isoliertes Dasein führen wird. Die praktizierenden, eher wertkonservativen Muslime mit Zugehörigkeit zu den sonstigen Moscheegemeinden werden eher durch die Verbände repräsentiert. Daher sind diese auch das Gesicht dieser Religion nach außen, solange sich die liberal gesinnten Muslime hier nicht regen. Von halte ich es für ein wenig plump, die Mitte nur anhand des arithmethischen Mittels zu definieren. Aufgrund der Vielzahl von extremistischen Vorfällen innerhalb der muslimischen Community, die zudem durch Studien, z.B. von Herrn Heitmeyer und Herrn Koppermann (ich weiß, den mögen Sie nciht) bestätigt, ist der Extremimus in der Mitte der Muslime angelangt. Derartige Festlegungen orientieren sich an Maßstäben, die natürlich frei wählbar sind. Daher könnte man auch zu einem gegenteiligen Ergebnis kommen, allerdings wäre es dann genauso vermessen, Islamfeindlichkeit in der Mittel der hiesigen Gesellschaft zu sehen, wie von Ihnen behauptet. Hier zeigt sich wieder einmal wunderbar Ihre Doppelmoral.
06.07.17
22:22
Johannes Disch sagt:
@grege Der Staat kann die liberalen Muslime nicht zwingen, sich zu organisieren?? In gewissem Sinne tut er das, und das ist bedenklich. Er unterstützt zum Beispiel die Gründung des neuen Forums von Ahmad Mansour. Das wird gefördert durch die Konrad-Adenauer-Stiftung und das ist ein eklatanter Verstoß gegen die Trennung von Religion und Politik. Es gibt übrigens bereits schon längst organisierte liberale Muslime. Die Organisation von Lamya Kaddor ist liberal orientiert.
09.07.17
12:48
grege sagt:
@ Disch Unterstüztung oder Zwang sind 2 verschiedene Paar Schuhe. Mir ist nicht bekannt, dass Herr Mansour diese staatliche Unterstützung aufgezwungen worden ist. Dass der Staat Organisationen fördert, die frei von extremistischen Vorwürfen sind, halte ich für legitim. Aber hier tut sich mal wieder ein Grundproblem auf: Die Muslime schaffen es einfach nicht einen Verband zu gründen, der sich eindeutig vom Extremismus abgrenzt und die Mehrheit der Muslime hier vertritt. Diese Tatsache ist ein weiteres Indiz, inwieweit die Mitte der muslimischen Community mit dem Extremismusvorwurf infiziert ist. Im übrigen fristet die von Frau Kaddor geführte Organisation ein eher Außenseiterdasein, so dass die Ansprechpartner auf Seiten der Muslime immer noch durch die vier großen Verbände repräsentiert werden. Genau dieser Kreis ist auch bei der Islamkonferenz verteten, die Protagonisten eines "liberalen
10.07.17
21:22
Johannes Disch sagt:
@grege Es ist ein Unding, dass eine politische Stiftung ("Konrad Adenauer-Stiftung") eine religiöse Vereinigung fördert. Darüber muss man nicht diskutieren-- wenn man unsere Verfassung kennt.
12.07.17
3:40
Johannes Disch sagt:
@Muslimische Verbände So, die liberale muslimische Organisation von Lamya Kaddor führ angeblich ein Schattendasein??ß Dass kann man nur behaupten, wenn man die Dinge nur von außen betrachtet und nur von außen kennt. Davon abgesehen gilt das in gewissem Sinne für alle Verbände. Die Verbände repräsentieren gerade mal ca. 15% der bei uns lebenden Muslime. Nur weil Aiman Mazyek vom ZMD so oft medial präsent ist führt das bei vielen Biodeutschen zu dem Kurzschluss, der ZMD wäre für Muslime wichtig. Wichtig ist er vor allem für die deutsche Regierung, da die Deutschen offenbar nur in Organisationen denken können. Der Islam kennt das seinem Wesen nach aber nicht. Er kennt keine Kirche. Jeder Muslim entscheidet selbst, wie er seinen Glauben versteht. Den meisten der bei uns lebenden ca. 5 Millionen Muslime gehen sämtliche Verbände am Allerwertesten vorbei. Und was das neue Forum von Ahmad Mansour betrifft: Dass ein religiöser Verein von einer politischen Stiftung ("Konrad-Adenauer-Stiftung") gefördert wird, das ist ein eklatanter Verstoß gegen unsere Verfassung. Das muss man nicht diskutieren, wenn man unsere Verfassung kennt. Genau so wenig wie man diskutieren muss, dass es tagsüber hell ist und nachts dunkel.
12.07.17
11:06
grege sagt:
Ihre Argumente sind mal wieder eine Reprise aus der Vergangenheit. Daher in aller Kürze: "So, die liberale muslimische Organisation von Lamya Kaddor führ angeblich ein Schattendasein??" (Zitat Disch) Die hohen Teilnehmerzahlen bei der letzten Demonstration sprechen hier Bände!!! "Wichtig ist er vor allem für die deutsche Regierung, da die Deutschen offenbar nur in Organisationen denken können. Der Islam kennt das seinem Wesen nach aber nicht. Er kennt keine Kirche." Überalll gilt auf der Welt, dass man sich für die Vertretung und Wahrnehmung auf der Welt organisieren muss. Was Kaninchenzüchter oder Kleingärtner schaffen, sollte auch Muslimen möglich sein, die sich vom Extremismus abgrenzen wollen. Stichwort "Forum Mansour": Wenn Sie hier einen Verstoß gegen unsere Verfassung erkennen, nur zu streben Sie eine Verfassungsklage an.
12.07.17
19:56
Johannes Disch sagt:
@grege -- Betrifft: Verfassungsklage wegen Förderung des neuen muslimischen Forums von Ahmad Mansour durch die CDU-nahe "Kónrad-Adenauer-Stiftung": Ob es für eine Verfassungsklage reicht, weiß ich nicht. Es ändert aber nichts an dem Umstand, dass diese Art der Förderung ein ziemliches "Geschmäckle" hat und nicht koscher ist und nicht wirklich unserem Verfassungsverständnis entspricht. Da gibt es dann halt noch einen neuen "Integrationsplayer" auf dem Markt, der vom Staat Kohle kassiert. Das Integrationsbusiness ist schon jetzt "to big too fail." Das haben die ganzen apokalyptischen Schreihälse, die seit Jahren Muslime und den Islam zu einem Problem erklären, wirklich prima hinbekommen. Unter marketingtechnischen Aspekten kann man diesen Leuten nur gratulieren. Letzten Endes gelingt Akkulturation-- der Begriff ist korrekter als Integration--- nur sukzessive im Alltag. Das ganze ist ein Prozess. Verbände und irgendwelche (Islam)Konferenzen werden da nur eine Nebenrolle spielen.
14.07.17
11:14
grege sagt:
@ Herr Disch Ahmad Mansour sowie dessen Organisation schätze ich sehr, so dass ich einer staatlichen Unterstützung gelassen entgegensehe. Naja, und wenn Sie keine Verfassungsklage, die Sie den Kopftochgegnern in regelmäßigem Abstand empfohlen, nicht als vielversprechend einstufen, erscheint mir dieser Sachverhalt weniger gravierend. Eher stoße ich mich an dem Umstand, dass mit öffentlichen Geldern linksradikale Organisationen unterstützt werden, da erscheinen mir die Zuwendungen an die Organisation von Herrn Mansour als das geringere Übel. Aber das ist ein anderes Thema.
18.07.17
20:57
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