Vorbilder, die uns positiv stimmen, sind heute wichtiger denn je. In der neuen IslamiQ-Reihe möchten wir unsere Leser zu Autoren machen. Yasemin Çukurtaş schreibt über ihr Vorbild: Imam Mâturîdî.
In der Entwicklung der islamischen Theologie hat sich ein Gelehrter herauskristallisiert, dessen Bedeutung und Ruhm man nicht hervorzuheben braucht: Abû Mansûr al-Mâturîdî. Die Quellen über das Leben dieses Pioniers der sunnitischen Denkschule der Mâturidiyya sind sehr begrenzt. Es gibt keine genauen Angaben zu seinem Geburtsjahr, jedoch nimmt man an, dass er im Jahr 333/944 in Samarkand gestorben ist. Den Berichten zufolge hat Imam Mâturîdî sein gesamtes Leben in Samarkand verbracht.
Wie von vielen Theologen des ersten Jahrhunderts sind viele Werke und Schriften Mâturîdîs im Laufe der Zeit verloren gegangen. Bis auf zwei Werke sind lediglich die Namen der Titel bekannt; es existieren nicht einmal Fragmente davon. Seine Werke und Schriften beschäftigen sich in der Regel mit den Gegnern anderer Theologieschulen, von denen Mâturîdî der Mu’tazila die größte Aufmerksamkeit widmet.
Bis heute sind lediglich durch zwei Handschriften die Werke „Kitâb Taʼwîlat Ahl as-Sunna“ und das „Kitâb at-Tawhîd“ vorhanden, welches die Hauptwerke Mâturîdîs darstellen. Bedauerlicherweise ist in der Geschichte zu sehen, dass Mâturîdî lange Zeit vergessen wurde. Da er dem Verstand eine wichtige Bedeutung gab, wurde ihm vorgeworfen, dass seine Ansichten der rationalen Mu’tazila ähneln würden. Dies war einer der Gründe, weshalb sein Leben und seine Lehre einige Jahrhunderte nach ihm vernachlässigt wurden. Durch zeitgenössische Studien und Forschungen bekam Mâturîdî seinen alten Ruhm wieder zurück.
Er gilt sowohl in der türkischen als auch in der islamischen Welt als einer der hervorragendsten Denker im Bereich der spekulativen Theologie. Mâturîdî prägte durch die Etablierung und Systematisierung der ḥanafitischen Theologie spätere Generationen und hatte dadurch einen großen Einfluss. Seine Wirkung beschränkte sich zunächst eine lange Zeit auf Samarkand und Transoxanien, später jedoch wirkte er über die Jahrhunderte im Zentrum des Islams und erlangte eine Anerkennung, die nur wenigen islamischen Theologen zuteil wurde.
Es ist eine Tatsache, dass die Theologie Mâturîdîs ein Meilenstein in der Entwicklung der Glaubenslehre in Transoxanien ist. Mâturîdî folgt der bereits bestehenden ḥanafitischen Tradition und systematisiert diese auf eine ganz neue Qualität, so dass er nicht nur eine klassische Abhandlung des Glaubens vornimmt, sondern vielmehr eine argumentative Grundlage für die spekulative Theologie entwickelt. Mâturîdî begnügt sich nicht damit, die tradierten Ansichten zu wiederholen. Seine Lehre entstand durch eine klar strukturierte und durchdachte Erkenntnislehre, die als Orientierung für nachfolgende Theologen diente.
Das Studium der islamischen Theologie ist sehr vielfältig und prägt mich außerordentlich. Ein Licht hierbei war für mich der Gelehrte Mâturîdî. Für ihn geht es primär nicht nur um die Bezeugung und Abgrenzung eines Glaubens, sondern um das Festigen und Verteidigen des Glaubens, durch klare Argumentationstheorie und rationale Beweise. So ist an der Erkenntnistheorie aus der Perspektive des wissenschaftlichen Argumentierens nicht zu rütteln.
Der Islamwissenschaftler Ulrich Rudolph äußert sich zu Mâturîdî folgendermaßen: „Samarkand erscheint gewissermaßen als ein Sammelort der verschiedensten religiösen Bekenntnisse und Māturīdī wie ein dort waltender Großmeister.“ Diese Schärfe seines Verstandes und die Annäherung Mâturîdîs für eine Theologie der Mitte nahm ich mir als Vorbild für die Untersuchung islamischer Sachverhalte, denn nach meiner Empfindung konnte er in der gesamten islamischen Geistesgeschichte die verständlichste und akzeptabelste Argumentation liefern.