Ramadan 2017

„Hast du begonnen, dich spirituell zu reinigen?“

Gespräche über das Fasten am Ramadan mit Nichtmuslimen werden unter Muslimen meist als nervig empfunden. Doch das muss nicht immer der Fall sein. Meryem Yilmaz schreibt über eine Begegnung, die sie nicht mehr vergessen kann.

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06
2017
Ramadan
Ramadan © jay tornaquia/flickr/CC 2.0

Ramadan ist einer der schönsten Monate für Muslime weltweit. Viele versuchen deshalb, die Zeit so effektiv wie möglich zu nutzen. Als eine in Deutschland lebende Muslimin begegne ich tagtäglich Mitbürgern, die gerne die Praxis des Islams verstehen möchten. Deshalb beteilige ich mich an diversen Aktionen, online wie offline, um den für uns heiligen Monat Ramadan für eine breitere Öffentlichkeit zu erklären und verständlicher zu machen. Unter der Hashtagaktion #meinramadan und #meinramadanmoment2017 postete ich beispielsweise in sozialen Netzwerken, dass meine Katzen gemeinsam mit mir den Sahûr, also die letzte Mahlzeit vor dem Fasten begehen und ein Stück von meinem Essen stibitzen wollen, oder wie es ist, in der Gemeinschaft das Nachtgebet im Ramadan, also Tarâwîh-Gebet, zu verrichten. Im Privaten führe ich, wie sicherlich viele andere Muslime auch, Gespräche mit interessierten Nichtmuslimen. Und ich muss zugeben, dass diese Gespräche teilweise tiefgründiger sind als der Austausch mit anderen. Wieso ich dieser Ansicht bin, möchte ich kurz darlegen.

Im Gespräch mit einer interessierten Person erläuterte ich, dass Muslime vom Anbeginn des Imsâk, also der berechneten Zeitgrenze vor der Morgendämmerung, bis zur Abenddämmerung, sich in der Enthaltung üben. Die Person wollte wissen, worum es genau bei der Enthaltsamkeit geht. Bevor ihr meine Antwort lest, denkt darüber nach, was ihr selbst auf diese Frage geantwortet hättet. Gewiss wären unter den Antworten, dass man sich von Speisen und Getränken, sowie vom Beischlaf enthält. Diese Antworten sind natürlich richtig, dennoch wären dann aber leidige Fragen wie „Nicht einmal Wasser?!“ vorprogrammiert und die Person hätte nicht verstanden, dass wir Muslime uns auf den Fastenmonat freuen und uns sogar beim Eintritt des Monats gegenseitig beglückwünschen.

Deshalb erläuterte ich ihr neben dieser Information auch die spirituelle Komponente. Ich fügte hinzu, dass man sich insgesamt auch von schlechten Taten und Gedanken fernhält. Das man sich in Geduld und Nachsicht übt und dass der Islam großen Wert auf die Charakterschulung legt und deshalb das Ego gezähmt werden soll. Dass deshalb Muslime besonders im Ramadan darauf bedacht sind, Streitigkeiten aus dem Weg zu gehen, aber auch Notleidenden und Bedürftigen zu helfen und ihnen ihre Unterstützung anzubieten.

Ich erkannte in ihrem Gesicht, dass sie begriffen hatte, worum es geht. Sie fragte nämlich auch, ob ich beispielsweise auch auf den Fernseher oder mein Handy verzichten würde, um mit einer besseren Hingabe meine Konzentration auf die Verrichtung der Gottesdienste zu lenken. Und ob ich bereits angefangen hätte, mein Inneres zu schulen. Konkret fragte sie danach, ob ich auf meine Worte mehr als sonst achte, vielleicht sogar vorher durch mein Herz filtere und Unnötiges erst gar nicht ausspreche. Wie ich über meine Mitmenschen denke und gezielt gegen Vorurteile ankämpfe und ob ich bedachter mit meiner Umwelt und der Natur umgehe…

Mir wurde bewusst, dass diese Person den tieferen Sinn des Ramadans verstanden hatte. Eine alleinige körperliche Enthaltung und Reinigung war nie Sinn des Ramadans, denn ohne die spirituelle Komponente wäre der Ramadan wie ausgehöhlt. Ramadan war schon immer die Konzentration auf das Wesentliche und der Verzicht auf das Überflüssige. Mit ihren Fragen wollte sie also wissen, ob ich bereits angefangen hatte, mich auch spirituell zu reinigen. Bricht man ihre Frage runter auf das Wesentliche, so fragte sie mich eigentlich nach meiner Beziehung zum Schöpfer. Beeindruckt muss ich zugeben, dass diese Fragen mit Abstand die bisher besten Fragen waren, die mir zum Ramadan gestellt wurden. Fragen, gestellt von einem Nichtmuslim, über die sich eigentlich jeder Muslim Gedanken machen sollte.

Leserkommentare

Enail sagt:
@ Andreas: Vielleicht liegt es einfach daran, dass Muslime ständig so einen Bohai um ihre Religion machen. Ständig, wie jetzt beim Ramadan, auf Rücksicht pochen, weil sie doch fasten. Da sollen die Lehrer Rücksicht nehmen, in Flüchtlingsunterkünften werden Menschen angegangen die sich dieser Anordnung eines Mannes nicht unterwerfen wollen usw.,usw. Und all dies was ich jetzt aufgezählt habe, kenne ich von anderen Religionen nicht. Die leben eben ihren Glauben ohne ständige Forderungen an Mehrheitsgesellschaften.
21.06.17
0:50
Andreas sagt:
@Enail: Würden wir den Muslimen nicht ihre grundgesetzlichen Rechte vorenthalten, bräuchten Sie die nicht einfordern. Und Rücksichtnahme sollte sich eigentlich von selbst verstehen. Man muss seinen Mitmenschen das Leben nicht unnötig erschweren.
21.06.17
13:33
Charley sagt:
@Andreas: Sie verstehen Enail leider nicht: Es ist durchaus nicht immer nachgewiesen, wenn "Grundrechte verweigert" werden. Das passiert vielleicht nach moslemischer Auslegung, aber diese Sicht hat oft einen "Knick in der Optik": Das Sich-Ausbreiten bezieht sich - allein schon das ist unstatthaft und ein Nicht-Verstehen unserer Grundordnung - oft auf Mit-Muslime oder auch schon Mitmenschen-orientalischer-Herkunft, indem diese zum Mitmachen gefordert werden. In zweiter Stufe wird dann auch Rücksichtnahme, später dann Respekt und dann Anerkennung für das eigene religiöse Tun und Gebaren von der übrigen Gesellschaft gefordert. - All das hat eine Handschrift: Es werden Gruppengebärden, es wird Gruppenverhalten geprägt. Das ist dem Islam innewohnend. Der Gruppendruck, die Gruppendisziplinierung, die Forderung gesellschaftliche Normen (allein schon) ausbreiten zu dürfen, ist ein Lebensgefühl des Islam. (Nicht Trennung von spirituellem Leben und Politik und gesellschaftlichem Leben.) Auf diesem Hintergrund fühlen sich Moslems ständig "unterdrückt", weil sie sich nicht in der Öffentlichkeit ungebremst ausleben dürfen. Was die moslemische Seite als Unterdrückung empfindet, wird "von der anderen Seite" als anmaßende Übergriffigkeit empfunden. Das liegt an dem wohl grundsätzlich anderem Selbstgefühl und Selbstverständnis. - Wenn ein religiöser Prozess als etwas angesehen würde, den ich allein mit mir selbst abmache, so würden diese Probleme nicht entstehen. Wenn jemand aus starkem Individualitätsempfinden seinem religiösen, spirituellen Prozess für sich allein vollzöge, so wäre so jemandem das fehlende Mitmachen anderer, die Bejahung oder Ablehnung durch andere völlig egal. Der Islam hat diese Perspektive wenig, sondern immer wieder stabilisiert sich der religiöse Prozess durch die Bestätigung, durch das Mitmachen durch den Umkreis. - Damit will ich nicht Konflikte rechtfertigen, wo Muslimen gegenüber geltendes Recht gebrochen wird. Das ist etwas anderes! Aber das muss man nicht mit Lamento anklagen, sondern dafür gibts einen Rechtsweg!
21.06.17
21:57
Andreas sagt:
@Charley: Vielen Dank für die ausführlichen Erläuterungen. Jedoch kann es wohl kaum statthaft sein, den Muslimen ihre Rechte unter Verweis auf etwaige Islamisten vorzuenthalten. Das deutsche Grundgesetz sieht im Einklang mit den Menschenrechten die Religionsfreiheit vor. Diese gilt dann eben auch für Muslime. Entsprechend dürfen Muslime auch ihre Religion frei praktizieren. Dazu gehört u.a., dass sie während des Monats Ramadan fasten. Wer ihnen dieses recht versagen will, handelt verfassungsfeindlich. Im übrigen ist es schon schlimm genug, dass Muslime überhaupt auf ihre Rechte pochen müssen.
22.06.17
17:07
Charley sagt:
@Andreas: Vielen Dank für Ihre Antwort auf etwas, was ich nie gesagt habe. Ich verweise nicht auf Islamisten. Dass Muslime nicht während des Ramadan fasten dürften, habe ich gleichfalls nie gesagt. Mir geht es um eine prinzipielle Haltung. Was dabei z.T. nervt ist der eitle Kopftuchkult, ist z.B. bei Grillfesten eine Schweinefleischphobie (kein Rindersteak auf einen Grill, auf dem jemals ein Schweineschnitzel lag), ist Blockaden von Schwimm- und Sexualaufklärungsunterrichten in Schulen usw.usf.... das sind Vorgänge, die für mich erstens den Charakter von Folklorekult haben und aus engstem Dogmatismus geboren sind und die in der Begegnung mit anderen zu von mir oben genannten Übergriffigkeiten führen können. - Die Religionsfreiheit bezieht such auf das, was die Individualität mit ihrem "inneren Gott" abmacht. Da darf, kann und will der Staat sich nicht einmischen. Wenn es allerdings in der Religionsausübung in den sozialen Umkreis geht, werden allerdings sofort allgemeingültige Gesetze maßgeblich, die man nicht aushebeln kann mit dem Totschlagargument "Religionsfreiheit". - Es geht mir hier nicht um diese Beispiele, die ich (!) hier anführe, sondern um eine Haltung der Muslime.
23.06.17
22:50
grege sagt:
keiner verbietet hier muslimen zu fasten - mehr braucht man nicht hinzufügen. Diesen Brauch zu kritisieren oder gar zu tadeln, ist völlig legal. Kritik und Ablehnung von religiösen Bräuchen ist ebenso ein Grundrecht
24.06.17
23:38
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