Österreich

„Das politische Bewusstsein der Muslime erwacht“

Das umstrittene Integrationsgesetz hat in der österreichischen Zivilgesellschaft, aber auch in der Medienlandschaft seine Spuren hinterlassen. Hakan Gördü bewertet diese Folgen und veranschaulicht, wie dadurch ein innermuslimischer Zusammenhalt entstehen konnte.

24
06
2017
Nationalrat, Wahlen, Muslime
Nationalrat in Österreich © flickr / CC 2.0 by Kiefer, bearbeitet islamiQ

Im Januar 2017 hat die Regierung (SPÖ&ÖVP) sich auf ein Arbeitsprogramm geeinigt, das sich von Arbeitsrecht zu Katastrophenmanagement erstreckt. Wie so oft bildete die Integration den medialen Hauptfokus dieser Diskussion. Das aus diesem Arbeitspaket resultierende Integrationsgesetz wurde Ende März seitens der Regierung erlassen und löste einen gesellschaftlichen Widerstand aus.

Welche Rolle spielte die ÖVP bei diesem Gesetz

Im Arbeitsprogramm der Regierung wurden unter dem Punkt Integration mehrere problematische Intentionen festgeschrieben. Diese dienten selbstverständlich ausschließlich dem medial populistischen Diskurs und waren ein Teil des ÖVP Wahlkampf-Programms, das früher beginnen sollte wie es zu diesem Zeitpunkt noch klar war. Aber nicht die gesamte ÖVP arbeitete an diesem äußerst kontraproduktiven Diskurs mit. Spätestens als Reinhold Mitterlehner von seiner Position als Vorsitzender der ÖVP zurücktrat, beschwerte er sich nicht zuletzt über die blockierenden Kräfte innerhalb seiner Partei. Tatsächlich konnte man die ÖVP laut den Aussagen des Bundeskanzler Kerns, in produktive Politiker und populistische Blockierer unterteilen. Schlussendlich hatten die sehr guten Umfrageergebnisse eines Sebastian Kurz dazu geführt, dass man sich nicht länger den Populisten verwehren konnte. Sebastian Kurz und sein „Team“ hatten es geschafft die Umfragewerte für die ÖVP durch populistische Scheindebatten zu verbessern. Nur Sebastian Kurz hatte ein echtes Problem mit der Opposition, die ihn lediglich als „Ankündigungs-Politiker“ bezeichnete, er würde zwar für Schlagzeilen sorgen allerdings nichts umsetzen können. Er brauchte eine Referenz dafür, dass er sich sehr wohl durchsetzen konnte und fand diese Gelegenheit beim Integrationsgesetz. Die unaufhörlich diskutierten Scheindebatten um die Burka, das Kopftuch und die Flüchtlinge benötigten auch Resultate, die nun im Integrationsgesetz erfüllt werden sollten.

Welche Forderungen wurden im Arbeitspaket festgelegt und welche wurden umgesetzt?

Zunächst müssen wir festhalten, dass der Name des Kapitels im Regierungsprogramm: „Sicherheit und Integration“ lautet. Man merkt bereits in welche Richtung der Inhalt des angeblichen Integrationsgesetzes geht. Waren im Arbeitspaket noch Fußfessel für potenzielle Gefährder, ein Berufsverbot für sichtbare MuslimInnen in der Justiz und in der Exekutive verlangt, kamen diese Punkte nicht in das Integrationsgesetz und konnten abgewendet werden. Vor allem die Demonstration von etwa vier Tausend MuslimInnen in Wien für das Recht der Selbstbestimmung der Frau dürften hierzu einen wichtigen Beitrag geleistet haben. Hinzu kommt, dass die Islamische Glaubensgemeinschaft eine Stellungnahme zur Verhüllung der Frau veröffentlicht hat, wo das Kopftuch explizit als ein Teil der Glaubenspraxis definiert wird. Diese und weitere entschlossenen Aktionen aus der Zivil- und Glaubensgemeinschaft machten deutlich, dass eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der MuslimInnen nicht erwünscht ist.

Allerdings wurde die strafrechtliche Ahndung der Vollverschleierung im öffentlichen Raum sehr wohl novelliert. Ebenso wurde die vom Integrationsminister Sebastian Kurz geforderte unbezahlte gemeinnützige Arbeit für asylberechtigte Mindestsicherungs-Bezieher durchgesetzt. Selbst wenn die SPÖ diese unbezahlte Zwangsarbeit als „zeitlich befristete Arbeitstrainings“ bezeichnet, widerspricht dieser Punkt dem Gleichheitsprinzip somit auch der Menschenwürde und ist höchst diskriminierend.

Das politische Gesellschafts-Bild unserer Zeit:

Die künstliche Polarisierung und Spaltung der Gesellschaft durch einen obsessiven medialen Diskurs manipuliert Europa in einen gefährlichen Rechtsruck. Das subjektive Sicherheitsgefühl der Menschen schwindet, obwohl die reale Kriminalität in Österreich deutlich gesunken ist. Der politische Diskurs ist mittlerweile an einem chronischen Streitzustand angelangt, der durch Scheindebatten und Stigmatisierungen gegenüber Muslimen dominiert wird. Nach der Reihe diskutieren wir über Erdoğan, den Islam, das Kopftuch, die Burka, die Burkini, und wieder ganz aktuell – islamische Kindergärten.. In den Köpfen der Menschen wird die Wahrnehmung des „bösen“ Islams stets aktualisiert. Man kategorisiert Menschen in Schubladen und hört kaum auf konstruktive Argumente. Es ist ein rein emotionaler und folglich banaler Diskurs fern von jedem Verstand.

Zwei Rücktritte eine Chance:

Der Vorsitzende der ÖVP, Reinhold Mitterlehner, und die Vorsitzende der Grünen, Eva Glawischnig. Beide traten vergangenen Mai aus Ihren Funktionen zurück. Beide erschütterten die Gesellschaft mit emotionalen Abschiedsreden in denen sie die Aggressivität im medialen und politischen Diskurs stark angriffen.

Glawischnig äußerte sich während ihres Rücktrittes folgendermaßen gegenüber der Presse: „in der Medienbranche gibt es einzelne Persönlichkeiten die die Republik regelrecht vergiften und unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt damit gefährden, die keinen Respekt vor einer anderen Meinung haben, die journalistische Sorgfalt und Recherche vermissen lassen. Oder einfach zutiefst sexistische Machos sind!“. Somit wendete sich die Stimmung plötzlich gegen den Boulevard deren Hetze und Spalterei. Es folgten mehrere Sendungen in denen man die Förderung solcher Medien in Frage stellte. Man gab sogar schon zu, dass die Diskussion um die Burka reiner Populismus war und suchte nach Lösungen. Seither ist der hetzerische Lärm stark zurückgegangen und man sieht wie die Vernunft in solchen Zeiten zurückkehren kann. Bundeskanzler Kern nahm an einem Iftar der Glaubensgemeinschaft teil und bezeichnete Muslime als Bündnispartner und betonte, dass er die Gewalttaten gegenüber Muslimen nicht einfach so zur Kenntnis nehmen könnte. Auch werde er es nicht zulassen, dass MuslimInnen als BürgerInnen zweiter Klasse angesehen werden.

Er erinnerte an die Zeit vor 70 Jahren und verwies darauf, dass Österreich sehr wohl wisse wie aus der „Gewalt der Worte“ die „Gewalt der Taten“ entstanden sei. Aufgrund dieser Äußerungen des Bundeskanzlers war die Solidarisierung mit Muslimen gesamtgesellschaftlich zum ersten Mal deutlich erkennbar. Die Rücktritte der Parteivorsitzenden haben in ihrer letzten Stunde unbewusst zu einem sehr positiven Diskurs verholfen. Doch auch uns – den MuslimInnen Österreichs – ist Dank geschuldet.

Das muslimisch politische Bewusstsein ist erwacht!

Mit der Abnahme der hetzerischen Dauergeräusche aus den Medien kamen nicht nur positive Aktionen aus der Mehrheitsgesellschaft in den Vordergrund, auch die 300 Imame aus Österreich, die ein starkes Zeichen setzten und den Terror und jeglichen Extremismus verurteilten, leisteten einen sehr positiven Beitrag. Man merkte wie die gemäßigten Stimmen der Vernunft lauter wurden und wie einfach es war dieser Hass-Spirale zu entkommen. Medien, die weiterhin versuchen Muslime in ihren Sendungen populistisch zu instrumentalisieren werden von MuslimInnen kollektiv rigoros boykottiert. Plötzlich solidarisieren sich MuslimInnen aus den unterschiedlichsten Richtungen und ziehen gemeinsam an einem Strang, selbst die Populisten unter uns Muslimen mussten klein beigeben.

Servus TV die den Rechtsdemagogen HC Strache als Diskutanten eingeladen hatte, bekam dutzende Absagen bis sie einen Studiogast in letzter Minute extra aus Deutschland einfliegen lassen mussten. Wir MuslimInnen müssen alles dafür tun, diese positive Stimmung in der Gesellschaft am Leben zu erhalten. Starke Aktionen um Brücken zu bauen müssen nicht nur entsprechend geplant und ausgeführt, sondern auch vermarktet werden. All die guten Dienste die wir für unsere österreichische Gesellschaft tätigen sind weitgehend im Verborgenen. Die karitative Hilfe, die De-Radikalisierungs- und Integrationsarbeit in unseren Moscheen, angeführt durch unsere Imame und viele ehrenamtlichen Helfer, die tausende Flüchtlinge mit Essen und einem Dach über den Kopf versorgen und so vieles mehr. Es ist schade, dass all diese Sachen vom größten Teil der Mehrheitsgesellschaft nicht wahrgenommen werden. Gleichzeitig ist es auch wichtig zu lernen, was unsere Themen in Österreich und Europa sind, um nicht auf dem Altar des populistischen Diskurses als Opfer zu dienen. Die Verteidigung von ausländischen Politikern in Österreich sollte keiner unserer Ziele sein, insofern diese Diskurse nicht aufrichtig sind und lediglich als Legitimation dienen um Muslime anzugreifen. Wir müssen die politische Sprache der Länder beherrschen in denen wir leben, um Partizipation voranzutreiben. Dies ist allerdings dann nicht möglich wenn wir uns geistig noch in unseren Ursprungsländern befinden. Auch sollten wir die politischen und gesellschaftlichen Konflikte, die in dem Geburtsland unserer Eltern oder Großeltern herrschen, nicht in unsere Heimatländer, wie Österreich, Deutschland, Frankreich etc., transportieren. Ohne diesen Klötzen an unseren Geistern lässt es sich viel einfacher um unsere verfassungsrechtlichen Grundwerte kämpfen, um schlussendlich uns und unseren Kindern, sowie allen ÖsterreicherInnen und Deutschen ein besseres Leben in Frieden zu ermöglichen.

Leserkommentare

Ute Fabel sagt:
@Johannes Disch: Es ist ja Kerninhalt des Islams, dass Mohammed aus dem 7. Jahrhundert der letzte Prophet Allahs sei. Er sei der Einzige und vor allem der Letzte, der einen direkten Draht zu Gott hatte. Die Texte des Korans unbekannter Autorenschaft aus dem Frühmittelalter in Frage stellten, das geht nach dem Islam gar nicht. Vielleicht über die Auslegung streiten, ist gerade noch erlaubt. Dass es sich bei Islam um "mittelalterliche Dogmen" handelt, ist folglich kein Vorurteil, sondern ergibt sich aus der Eigendefinition.
11.07.17
9:33
Manuel sagt:
@Disch und Andreas: Ja ist den die Scharia etwa nicht mittelalterlich oder das Frauenbild oder die sexuelle Unterdrückung oder der extreme Antisäkularismus????
11.07.17
19:24
Johannes Disch sagt:
´@Ute Fabel Es geht nicht um den Kerninhalt des Koran. Es geht um den Kerninhalt der österreichischen Verfassung. Und diese gewährt Religionsfreiheit, und diese gilt auch für den Islam.
12.07.17
3:43
Johannes Disch sagt:
@Ute Fabel (Ihr P vom 11.07.17, 9:33) -- "Es ist der Kerninhalt des Islam, dass Mohammed aus dem 7. Jahrhundert der letzte Prophet Allahs sei. Er sei der Einzige und vor allem der Letzte, der einen direkten Draht zu Gott hatte." (Ute Fabel) Das ist zum einen Teil nicht sehr präzise, und zum anderen Teil falsch. Mohammed gilt als das "Siegel des Propheten." Was darunter zu verstehen ist, das habe ich hier schon des Öfteren erläutert und gedenke nicht, mich zu wiederholen. Wer ernsthaft am Thema Islam interessiert ist, der findet dazu schnell seriöse Infos im Netz. Mohammed gilt nicht als der Einzige, der ein en direkten Draht zu Gott hatte. Auch Moses und Jesus gelten im Islam als Propheten und werden als solche verehrt und geachtet. In seinem Selbstverständnis ist der Islam die Fortsetzung und Vollendung der monotheistischen Religionen. -- "Dass es sich beim Islam um "mittelalterliche Dogmen" handelt, ist folglich kein Vorurteil, sondern ergibt sich aus der Eigendefinition." (Ute Fabel) Das ist nun eine Art von logischem Rohrkrepierer, der ein ganzes Grundseminar "Einführung in die Logik", "Einführung in das logische Schließen" erfordern würde. Legt man die "Eigendefinition" des Christentums zugrunde, dann ist diese ziemlich mittelalterlich bzw. altertümlich. Viele sind hier offenbar nicht willens und/oder nicht in der Lage, Religion als historischen Prozess zu begreifen. Man stützt sich auf einen Text und erklärt von ihm aus jede Erscheinung dieser Religion. Das ist Skripturalismus und Essentialismus. Religion ist aber nicht nur heiliger Text (Bibel, Koran, Bhagadvagida, etc.). Religion ist -- um es mit dem Soziologen Emile Durkheim zu sagen-- eine "fait sociale." Eine "soziale Tatsache." Religion bewegt sich nicht im luftleeren Raum, sondern wird durch die Geschichte beeinflusst und beeinflusst ihrerseits die Geschichte. Es handelt sich also um eine soziale Interaktion. Religion verändert sich im Laufe der Geschichte. So wie das Christentum des 21. Jahrhunderts nicht mehr das Christentum des Jahres 0 ist und auch nicht mehr das Christentum des mittelalterlichen Augunstinus, so ist der Islam des 21. Jahrhunderts nicht mehr der Islam des Jahres 632 n.Chr. Zu behaupten, der Islam wäre eine Sammlung "mittelalterlicher Dogmen" und das würde sich aus seiner Eigendefinition ergeben ist im schlimmsten Falle rassistisch. Und im besten Fall einfach aus Desinteresse und Unkenntnis dahergeplapperter Nonsens.
12.07.17
10:48
Manuel sagt:
@Johannes Disch: Erklären Sie mir, Hr. Disch, was an der islamischen Sexualmoral, dem Frauenbild, dem islamischen Rechtssystem, dem islamischen Staatsverständnis (Anti-Säkularismus), der Intoleranz gegenüber Nicht-Moslems, der Aliberalität, der islamischen Homophobie, dem islamischen Antisemitismus nur irgendwie fortschrittlich ist oder trifft hier eher das Adjektiv "mittelalterlich" zu.
12.07.17
19:23
Johannes Disch sagt:
@Manuel Sie haben völlig Recht damit, dass es bei manchen Muslimen Einstellungen gibt-- beispielsweise im Bereich des Verhältnisses zwischen den Geschlechtern-- die mit der Moderne nicht vereinbar sind. Das gilt auch für einen Islam, der die Scharia als Rechtsordnung propagiert (zu unterscheiden von den religiösen Normen der Scharia). Das alles ist mit der Moderne nicht vereinbar. Nur gelten diese reaktionären Haltungen nicht für alle Muslime und nicht pauschal für "Den Islam." Es gelingt wohl kaum, Muslime für diese Gesellschaft zu gewinnen, wenn wir ihren Glauben pauschal als "mittelalterlich" verunglimpfen.
13.07.17
13:12
Andreas sagt:
@Manuel: Sie reihen irgendwelche Behauptungen aneinander und behaupten, diese seien der Islam. Wer sich da im Mittelalter bewegt, wäre da noch die Frage.
13.07.17
16:13
Johannes Disch sagt:
@Manuel Ich habe mit keinem Wort je die Scharia verteidigt (Scharia als Recht. Die religiösen Normen sind eine andere Sache, denn auch das ist Scharia). Ich habe auch nie in Abrede gestellt, dass es Muslime gibt, die ein problematisches Bild vom Verhältnis der Geschlechter haben. Wogegen ich mich wende, das sind Pauschalierungen, "Der Islam" / Der Muslim wären per se mittelalterlich.
14.07.17
16:08
Manuel sagt:
@Andreas: Das sind keine Behauptungen sondern Tatsachen, aber ich weiß die zählen ja bei Ihnen nicht, für Sie ist ja sogar auch noch ein extremistisches Symbol wie der Niqab kein Problem. Den Niqab außerdem nicht nur ich als extrem mittelalterlich!
16.07.17
19:07
Manuel sagt:
@Johannes Disch: Sorry, aber wenn ich mir die derzeitigen Entwicklungen in der Islamischen Welt und damit auch bei uns ansehe, dann fährt der Zug leider genau in diese Richtung, nicht die liberalen Moslems werden mehr, sondern die konservativ-mittelalterlichen.
16.07.17
19:09
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