Das umstrittene Integrationsgesetz hat in der österreichischen Zivilgesellschaft, aber auch in der Medienlandschaft seine Spuren hinterlassen. Hakan Gördü bewertet diese Folgen und veranschaulicht, wie dadurch ein innermuslimischer Zusammenhalt entstehen konnte.
Im Januar 2017 hat die Regierung (SPÖ&ÖVP) sich auf ein Arbeitsprogramm geeinigt, das sich von Arbeitsrecht zu Katastrophenmanagement erstreckt. Wie so oft bildete die Integration den medialen Hauptfokus dieser Diskussion. Das aus diesem Arbeitspaket resultierende Integrationsgesetz wurde Ende März seitens der Regierung erlassen und löste einen gesellschaftlichen Widerstand aus.
Im Arbeitsprogramm der Regierung wurden unter dem Punkt Integration mehrere problematische Intentionen festgeschrieben. Diese dienten selbstverständlich ausschließlich dem medial populistischen Diskurs und waren ein Teil des ÖVP Wahlkampf-Programms, das früher beginnen sollte wie es zu diesem Zeitpunkt noch klar war. Aber nicht die gesamte ÖVP arbeitete an diesem äußerst kontraproduktiven Diskurs mit. Spätestens als Reinhold Mitterlehner von seiner Position als Vorsitzender der ÖVP zurücktrat, beschwerte er sich nicht zuletzt über die blockierenden Kräfte innerhalb seiner Partei. Tatsächlich konnte man die ÖVP laut den Aussagen des Bundeskanzler Kerns, in produktive Politiker und populistische Blockierer unterteilen. Schlussendlich hatten die sehr guten Umfrageergebnisse eines Sebastian Kurz dazu geführt, dass man sich nicht länger den Populisten verwehren konnte. Sebastian Kurz und sein „Team“ hatten es geschafft die Umfragewerte für die ÖVP durch populistische Scheindebatten zu verbessern. Nur Sebastian Kurz hatte ein echtes Problem mit der Opposition, die ihn lediglich als „Ankündigungs-Politiker“ bezeichnete, er würde zwar für Schlagzeilen sorgen allerdings nichts umsetzen können. Er brauchte eine Referenz dafür, dass er sich sehr wohl durchsetzen konnte und fand diese Gelegenheit beim Integrationsgesetz. Die unaufhörlich diskutierten Scheindebatten um die Burka, das Kopftuch und die Flüchtlinge benötigten auch Resultate, die nun im Integrationsgesetz erfüllt werden sollten.
Zunächst müssen wir festhalten, dass der Name des Kapitels im Regierungsprogramm: „Sicherheit und Integration“ lautet. Man merkt bereits in welche Richtung der Inhalt des angeblichen Integrationsgesetzes geht. Waren im Arbeitspaket noch Fußfessel für potenzielle Gefährder, ein Berufsverbot für sichtbare MuslimInnen in der Justiz und in der Exekutive verlangt, kamen diese Punkte nicht in das Integrationsgesetz und konnten abgewendet werden. Vor allem die Demonstration von etwa vier Tausend MuslimInnen in Wien für das Recht der Selbstbestimmung der Frau dürften hierzu einen wichtigen Beitrag geleistet haben. Hinzu kommt, dass die Islamische Glaubensgemeinschaft eine Stellungnahme zur Verhüllung der Frau veröffentlicht hat, wo das Kopftuch explizit als ein Teil der Glaubenspraxis definiert wird. Diese und weitere entschlossenen Aktionen aus der Zivil- und Glaubensgemeinschaft machten deutlich, dass eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der MuslimInnen nicht erwünscht ist.
Allerdings wurde die strafrechtliche Ahndung der Vollverschleierung im öffentlichen Raum sehr wohl novelliert. Ebenso wurde die vom Integrationsminister Sebastian Kurz geforderte unbezahlte gemeinnützige Arbeit für asylberechtigte Mindestsicherungs-Bezieher durchgesetzt. Selbst wenn die SPÖ diese unbezahlte Zwangsarbeit als „zeitlich befristete Arbeitstrainings“ bezeichnet, widerspricht dieser Punkt dem Gleichheitsprinzip somit auch der Menschenwürde und ist höchst diskriminierend.
Die künstliche Polarisierung und Spaltung der Gesellschaft durch einen obsessiven medialen Diskurs manipuliert Europa in einen gefährlichen Rechtsruck. Das subjektive Sicherheitsgefühl der Menschen schwindet, obwohl die reale Kriminalität in Österreich deutlich gesunken ist. Der politische Diskurs ist mittlerweile an einem chronischen Streitzustand angelangt, der durch Scheindebatten und Stigmatisierungen gegenüber Muslimen dominiert wird. Nach der Reihe diskutieren wir über Erdoğan, den Islam, das Kopftuch, die Burka, die Burkini, und wieder ganz aktuell – islamische Kindergärten.. In den Köpfen der Menschen wird die Wahrnehmung des „bösen“ Islams stets aktualisiert. Man kategorisiert Menschen in Schubladen und hört kaum auf konstruktive Argumente. Es ist ein rein emotionaler und folglich banaler Diskurs fern von jedem Verstand.
Der Vorsitzende der ÖVP, Reinhold Mitterlehner, und die Vorsitzende der Grünen, Eva Glawischnig. Beide traten vergangenen Mai aus Ihren Funktionen zurück. Beide erschütterten die Gesellschaft mit emotionalen Abschiedsreden in denen sie die Aggressivität im medialen und politischen Diskurs stark angriffen.
Glawischnig äußerte sich während ihres Rücktrittes folgendermaßen gegenüber der Presse: „in der Medienbranche gibt es einzelne Persönlichkeiten die die Republik regelrecht vergiften und unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt damit gefährden, die keinen Respekt vor einer anderen Meinung haben, die journalistische Sorgfalt und Recherche vermissen lassen. Oder einfach zutiefst sexistische Machos sind!“. Somit wendete sich die Stimmung plötzlich gegen den Boulevard deren Hetze und Spalterei. Es folgten mehrere Sendungen in denen man die Förderung solcher Medien in Frage stellte. Man gab sogar schon zu, dass die Diskussion um die Burka reiner Populismus war und suchte nach Lösungen. Seither ist der hetzerische Lärm stark zurückgegangen und man sieht wie die Vernunft in solchen Zeiten zurückkehren kann. Bundeskanzler Kern nahm an einem Iftar der Glaubensgemeinschaft teil und bezeichnete Muslime als Bündnispartner und betonte, dass er die Gewalttaten gegenüber Muslimen nicht einfach so zur Kenntnis nehmen könnte. Auch werde er es nicht zulassen, dass MuslimInnen als BürgerInnen zweiter Klasse angesehen werden.
Er erinnerte an die Zeit vor 70 Jahren und verwies darauf, dass Österreich sehr wohl wisse wie aus der „Gewalt der Worte“ die „Gewalt der Taten“ entstanden sei. Aufgrund dieser Äußerungen des Bundeskanzlers war die Solidarisierung mit Muslimen gesamtgesellschaftlich zum ersten Mal deutlich erkennbar. Die Rücktritte der Parteivorsitzenden haben in ihrer letzten Stunde unbewusst zu einem sehr positiven Diskurs verholfen. Doch auch uns – den MuslimInnen Österreichs – ist Dank geschuldet.
Mit der Abnahme der hetzerischen Dauergeräusche aus den Medien kamen nicht nur positive Aktionen aus der Mehrheitsgesellschaft in den Vordergrund, auch die 300 Imame aus Österreich, die ein starkes Zeichen setzten und den Terror und jeglichen Extremismus verurteilten, leisteten einen sehr positiven Beitrag. Man merkte wie die gemäßigten Stimmen der Vernunft lauter wurden und wie einfach es war dieser Hass-Spirale zu entkommen. Medien, die weiterhin versuchen Muslime in ihren Sendungen populistisch zu instrumentalisieren werden von MuslimInnen kollektiv rigoros boykottiert. Plötzlich solidarisieren sich MuslimInnen aus den unterschiedlichsten Richtungen und ziehen gemeinsam an einem Strang, selbst die Populisten unter uns Muslimen mussten klein beigeben.
Servus TV die den Rechtsdemagogen HC Strache als Diskutanten eingeladen hatte, bekam dutzende Absagen bis sie einen Studiogast in letzter Minute extra aus Deutschland einfliegen lassen mussten. Wir MuslimInnen müssen alles dafür tun, diese positive Stimmung in der Gesellschaft am Leben zu erhalten. Starke Aktionen um Brücken zu bauen müssen nicht nur entsprechend geplant und ausgeführt, sondern auch vermarktet werden. All die guten Dienste die wir für unsere österreichische Gesellschaft tätigen sind weitgehend im Verborgenen. Die karitative Hilfe, die De-Radikalisierungs- und Integrationsarbeit in unseren Moscheen, angeführt durch unsere Imame und viele ehrenamtlichen Helfer, die tausende Flüchtlinge mit Essen und einem Dach über den Kopf versorgen und so vieles mehr. Es ist schade, dass all diese Sachen vom größten Teil der Mehrheitsgesellschaft nicht wahrgenommen werden. Gleichzeitig ist es auch wichtig zu lernen, was unsere Themen in Österreich und Europa sind, um nicht auf dem Altar des populistischen Diskurses als Opfer zu dienen. Die Verteidigung von ausländischen Politikern in Österreich sollte keiner unserer Ziele sein, insofern diese Diskurse nicht aufrichtig sind und lediglich als Legitimation dienen um Muslime anzugreifen. Wir müssen die politische Sprache der Länder beherrschen in denen wir leben, um Partizipation voranzutreiben. Dies ist allerdings dann nicht möglich wenn wir uns geistig noch in unseren Ursprungsländern befinden. Auch sollten wir die politischen und gesellschaftlichen Konflikte, die in dem Geburtsland unserer Eltern oder Großeltern herrschen, nicht in unsere Heimatländer, wie Österreich, Deutschland, Frankreich etc., transportieren. Ohne diesen Klötzen an unseren Geistern lässt es sich viel einfacher um unsere verfassungsrechtlichen Grundwerte kämpfen, um schlussendlich uns und unseren Kindern, sowie allen ÖsterreicherInnen und Deutschen ein besseres Leben in Frieden zu ermöglichen.