Interview Prof. Dr. Werner Schiffauer

„Der Populismus zerstört die deutsch-türkische Beziehung“

Prof. Dr. Werner Schiffauer ist einer der renommiertesten Kulturwissenschaftler Deutschlands. Im IslamiQ-Interview erklärt er, wie transnationale Konflikte, aber auch die innermuslimischen Konflikte in Deutschland, die hiesigen Muslime beeinflussen.

02
07
2017
Kontaktschuld Islam
Prof. Dr. Werner Schiffauer © 2015 Anadolu Images/ Cüneyt Karadağ

IslamiQ: Wie können sich Muslime mit dem Terror auseinandersetzen? Sind großangelegte Friedensmärsche, wie in Köln, langfristig die richtige Lösung?

Prof. Dr. Werner Schiffauer: Groß angelegte Friedensmärsche sind ein Signal nach außen; sie sind aber auch ein Ausdruck eines gemeinsamen Gefühls. Beides kann eine inhaltliche Auseinandersetzung nicht ersetzen. Diese ist immer dann notwendig, wenn jemand in meinem Namen auftritt – und damit beansprucht, für mich zu sprechen. Für mich stellt sich ein ähnliches Dilemma, wenn etwa „Identitäre“ beschließen, sich im Namen der deutschen Kultur zu äußern. Das hat nichts damit zu tun, dass ich – selbstverständlich – nichts mit den Forderungen und Handlungen der Identitären gemeinsam habe. Sondern es ist eine inhaltlich Zurückweisung, warum sie kein Recht haben, etwas, was Teil meiner Identität ist, zu missbrauchen.

Was die Friedensmärsche betrifft: Als Signal nach außen stehen sie immer im unguten Licht: Als ob man etwas beweisen müsste (und damit gehen sie in die Falle der Rechtfertigungszwänge). Anders ist es mit dem Ausdruck des gemeinsamen Gefühls: Bei vielen Teilnehmern hatte ich das Gefühl, dass sie die Unverschämtheit der Terroristen, sich auf den Islam zu berufen, einfach satt hatten – und dies einfach ausdrücken wollten. 

IslamiQ: Muslime in Europa scheinen in einem Rechtfertigungszwang für die Taten von Extremisten zu sein. Wir wirken diese Forderungen auf Muslime ein?

Schiffauer: Sie reagieren mit einer defensiven Grundhaltung. Weitgehend lassen sich ihre Aussagen auf den Punkt bringen: „Wir sind keine Terroristen“ und „Der Terrorismus hat mit dem Islam nichts zu tun.“ Dies ist zwar wahr, aber zu wenig. Es erschwert vor allem die Auseinandersetzung über die Ursachen des Terrorismus. 

IslamiQ: Es wird oft kritisiert, dass deutsche Muslime mit Migrationshintergrund (aktuell: türkischstämmige Muslime) mehr Interesse für die politischen Entwicklungen in ihrem Herkunftsland zeigen als in Deutschland. Stimmt das und wenn ja, warum? 

Schiffauer: Ich habe aus meinen Gesprächen das Gefühl, dass die Interessen an den Entwicklungen in der Türkei und in Deutschland sich ziemlich die Waage halten. Dies ist auch ganz natürlich bei einer Diasporagemeinde.

IslamiQ: Welche Auswirkungen werden Ihrer Meinung nach die polemischen Wortgefechte zwischen der Türkei und einzelnen Ländern Europas für die dortigen türkischstämmigen Muslime haben?

Schiffauer: Wahrscheinlich werden sie sehr folgenreich sein. Zunächst ist deutlich, dass die Errungenschaften, die wir in den letzten Jahren in Bezug auf die Akzeptanz der doppelten Staatsbürgerschaft gemacht haben, wieder in Frage gestellt werden, weil auf einmal die Loyalitätsfrage so stark gemacht wird. Große Sorgen habe ich auch in Bezug auf die Spaltung der türkischen Community. Ich befürchte, dass sich die Spannungen zwischen Aleviten und Sunniten, zwischen Kurden und Türken sowie zwischen den islamischen Gemeinden vertiefen werden.

IslamiQ: Müssen die islamischen Religionsgemeinschaften, in denen mehrheitlich türkischstämmige Muslime aktiv sind, angesichts des deutsch-türkischen Konflikts Ihrer Meinung nach Stellung beziehen? Wenn ja, wie?

Schiffauer: Die islamischen Gemeinden haben eine große Aufgabe. Ich erinnere mich an die Versprechungen, die mit den ersten Jahren der Erdoğan-Regierung verbunden waren: Aussöhnung mit Armenien und Griechenland; Versöhnung mit Kurden; Durchsetzen der Menschenrechte in der Türkei, Absage an alle Nationalismen und Rassismen. All dies war jenseits des Nationalstaats gedacht. Es ist die Aufgabe, dies wieder in Erinnerung zu rufen. Ich sehe mit großer Sorge, dass der Islam in der Türkei zunehmend in ein prinzipiell nationalistisches Programm eingeordnet wird.

IslamiQ: 2016 wurden insgesamt 23.750 Asylsuchende abgeschoben. Unter ihnen wurden auch Afghanen, obwohl kein Konsens darüber herrscht, ob Afghanistan ein sicherer Drittstaat ist. Worauf zielt die aktuelle deutsche Flüchtlingspolitik?

Schiffauer: Die deutsche Flüchtlingspolitik rutscht in eine gefährliche Zahlenakrobatik ab. Erfolg und Scheitern der Flüchtlingspolitik wird an der Zahl derjenigen gemessen, die ins Land kommen und die man wieder los wird. Dabei werden viele Bedenken über Bord geworfen– gerade auch in Hinblick auf das von Ihnen angesprochene Afghanistan. Das Kriterium für die Politik sollte dagegen die Leistungen in Bezug auf Integration sein. Hier hat die deutsche Zivilgesellschaft in den Jahren 2015 und 2016 Großes geleistet. Zum ersten Mal kam es zu einer Zusammenarbeit mit den islamischen Gemeinden.

IslamiQ: Sie sind Mitautor des „Journalisten-Handbuchs zum Thema Islam“, das Journalisten dabei helfen will, eine ausgeglichene Berichterstattung des Islams zu verwirklichen. Wie kann das erreicht werden?

Schiffauer: Ein Handbuch hat nur dann eine Chance, wenn es eine Bereitschaft gibt, es anzunehmen. Diese Bereitschaft ist im Augenblick auf Grund der Spannungen im Sinken begriffen. Damit wird aber nicht nur der Sinn des Handbuchs in Frage gestellt, sondern darüber hinaus der Sinn meiner wissenschaftlichen Arbeit insgesamt. Ich habe mich mein ganzes wissenschaftliches Leben für ein besseres Miteinander von Einwanderern und Deutschen, Muslimen und Nichtmuslimen eingesetzt und versucht, in zehn Büchern und vielleicht 100 Artikeln die Grundlage für ein besseres Verständnis herzustellen. Im Augenblick sehe ich die Gefahr, dass all das von einem sich gegenseitig aufschaukelnden deutschen und türkischen populistischen Nationalismus zerstört wird.

Das Interview führten Elif Zehra Kandemir und Esra Ayari.

Leserkommentare

Manuel sagt:
@Andreas: Wieso, welches islamisches Land ist den wirklich demokratisch oder hat umfassende Minderheitenrechte???? Und ich bin im Gegensatz zu Ihnen für ein laizistischen demokratischen Rechtsstaat in dem undemokratische Religionen nichts verloren haben.
11.07.17
19:18
Manuel sagt:
@Johannes Disch: Sorry, aber die Mehrheit in der Islamischen Welt ist stockkonservativ und mittelalterlich geprägt, dass sehen Sie doch, wenn sie da hinfahren, wenn dem nicht so wäre, dann hätten wir ja auch nicht diese Probleme. Außerdem tun Sie immer so, als wenn die Zustände in der Islamischen Welt nie etwas mit dem Islam zu tun hätten, sie haben sehr wohl viel mit dem Islam zu tun, wenn auch nicht ausschließlich, was ich nie bestritten habe.
11.07.17
19:21
Johannes Disch sagt:
@grege Mir ist längst bewusst, dass Sie nicht ernsthaft diskutieren wollen und nicht an seriösen Informationen interessiert sind. Ich schreibe meine Beiträge nicht für Sie, sondern für ernsthaft interessierte Leser/innen. Ich mache seit ca.20 Jahren Integrationsarbeit. Ich brauche keine Bestätigung. Schon gar nicht von Leuten wie Ihnen. "grege", schönes Leben noch.
12.07.17
3:47
Manuel sagt:
@Johannes Disch: Sie machen seit 20 Jahren Integrationsarbeit interessant, deshalb verteidigen Sie also bei jeder Gelegenheit die mittelalterlichen Dogmen des Islams, verstehe.
12.07.17
19:17
grege sagt:
"Mir ist längst bewusst, dass Sie nicht ernsthaft diskutieren wollen und nicht an seriösen Informationen interessiert sind", .................. nur weil ich auf empirische Studien verweise, den Extremimus in der Mitte der islamischen Community aufzeigen. Wer nicht will, der hat schon :-). Von daher bis bald
12.07.17
21:09
Johannes Disch sagt:
@Manuel (Ihr P vom 12.07.17, 19:17) --- "... deshalb verteidigen Sie bei jeder Gelegenheit die mittelalterlichen Dogmen des Islam." (Manuel) Also bitte, wo habe ich jemals... -- Die Rechtsordnung der Scharia verteidigt? --Wo habe ich das bei manchen Muslimen vorherrschende reaktionäre Frauenbild/die reaktionäre Sexualmoral verteidigt? --Wo habe ich sogenannte "Ehrenmorde" verteidigt? --Wo habe ich nach Geschlechtern getrennten Sportunterricht/Schwimmunterricht verteidigt? Etc. Wogegen ich mich wende, das sind Pauschalierungen, wie sie von ihrer Seite immer wieder kommen, so auch in ihrem letzten Post, der den Islam pauschal als "mittelalterliche Dogmen" diffamiert. Ich trete ein für eine differenzierte Betrachtung. That´s all.
13.07.17
13:26
Johannes Disch sagt:
@grege Jeder Leser kann doch selbst entscheiden, welchen Standpunkt er für überzeugender begründet hält: Ihren oder meinen.
13.07.17
13:29
Andreas sagt:
@Manuel: Wer den Islam oder die Muslime in ihren Rechten verteidigt, verteidigt noch lange keine mittelalterlichen Dogmen, die Sie "dem" Islam ständig unterstellen.
13.07.17
16:10
grege sagt:
@ Herr Disch, je nach Leser steht hier die Entscheidung bereits fest, auch in Verbindung mit persönlichen Erfahrungen.
16.07.17
12:15
Manuel sagt:
@Andreas: Wieso unterstellen, erklären Sie mir, was an dem islamischen Frauenbild, dem Niqab, dem Kopftuch, der sexuellen Unterdrückung, der Homophobie, dem Antisäkularismus, der Scharia, usw. nicht mittelalterlich ist?
16.07.17
19:00
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