Vorbilder, die uns positiv stimmen, sind heute wichtiger denn je. In dieser IslamiQ-Reihe möchten wir unsere Leser zu Autoren machen. Heute Said Nursi.
Said Nursi wurde 1877 im Dorf Nurs (Bitlis, Türkei) geboren und genoss eine behütete Kindheit. Schon im jungen Alter interessierte er sich für die Wissenschaften des Islams. Seine Eltern und auch sein großer Bruder, der ihn besonders prägen sollte, waren gebildete Menschen.
Nursi hatte beachtliche Fähigkeiten. In jungen Jahren lernte er den Koran in einem halben Monat auswendig. Danach studierte er die Standardwerke in den jeweiligen islamisch-religiösen wie auch weltlichen Wissenschaften, sodass er am Ende 90 Werke auswendig konnte. All das sind Früchte des intellektuellen Umfelds, dem er entsprungen war und das ihn darin ermutigte, nach Wissen und Erkenntnis zu streben.
Im Alter von 14 Jahren absolvierte Said Nursi die Madrasa, die damals generell 15 Jahre Ausbildungszeit vorsah, in nicht mehr als drei Monaten. Überwältigt von seinen Fähigkeiten sagte einer seiner Lehrer über ihn: „Es gehört zu den seltenen Dingen, dass Intelligenz und ein so gutes Gedächtnis bei einer Person im Übermaß zusammenfinden.“ Noch im Jugendalter konnte er mit Leichtigkeit auf alle Fragen der Gelehrtenschaft antworten, was ihm den Beinamen „Bedîuzzaman“, der „Einzigartige seiner Zeit“, einbrachte.
Im Laufe seines Lebens war Bedîuzzaman Opfer der damaligen Regierung, obwohl er sich nicht in die Politik einmischte. Von ihm stammt der berühmte Satz: „Ich suche Zuflucht bei Allah vor dem Satan und vor der Politik“. Bis zu seinem Tode ging er von einem Exil ins nächste und wurde nicht selten in Gefängnissen gesperrt.
Eines seiner ersten Exile war Barla, 50 km von der Stadt Isparta (Türkei) entfernt, wo er die Verschriftlichung seiner weltberühmten Koranexegese „Risâle-i Nûr“ begann. Die Besonderheit der 130 Abhandlungen liegt darin begründet, dass sie die Glaubenswahrheiten des Islams auf rationalem wie spirituellem Wege erläutern. Said Nursi bedient sich in diesem Werk nicht der herkömmlichen Methode der Sprachanalyse, sondern stellt die Bedeutung der Koranverse in den Vordergrund. Dabei bringt er sie dem Leser durch Symbole und Gleichnisse nahe, was ohnehin dem koranischen Charakter der Vermittlung entspricht.
Said Nursi erkannte, dass die Krankheit seines Zeitalters die „Idee des Unglaubens“ war, welche sich durch politische Strukturen auf Grundlage der modernen westlichen Wissenschaften und Philosophien weltweit ausbreitete. Mit seinem Lebenswerk stellt er sich dieser Strömung entgegen. Mit der Risâle-i Nûr konnte er, um es mit seinen Worten zu formulieren, das „Rückgrat des Unglaubens“ brechen.
Für Nursi ist der Glaube viel subtiler, viel tiefgründiger, als dass er lediglich auf die Ratio reduziert werden könnte. Passend dazu schreibt er in seinen Briefwechseln: „Jene, die alles, was existiert, in der Materie suchen, deren Verstand liegt in ihren Augen. Das Auge aber vermag das Spirituelle nicht zu sehen.“
Hier tritt die spirituelle Kraft in den Zeilen der Risâle-i Nûr hervor. Said Nursi vermag neben all der Rationalität das Wesentliche zu erfassen. Er schafft es, dem Leser die Vergänglichkeit des diesseitigen Lebens in solcher Intensität vorzuführen, dass dieser bereit ist, auf den wunderbar funkelnden Scherbenhaufen zu verzichten, um zu den ewigen, beständigen Diamanten zu gelangen. Das Diesseits ist anziehend und schön, doch falsch und listig. Das Jenseits hingegen bietet Beständigkeit und wahren Seelenfrieden.
Said Nursis gesamtes Leben war von Strapazen und Heimsuchungen geprägt. All das aber nahm er auf sich, da er nur ein Ziel im Leben hatte: Wie kein anderer in seinem Jahrhundert bemühte er sich um den Glauben der muslimischen Gemeinschaft. Um es mit seinen Worten zu sagen: „Vor mir türmt sich ein furchtbarer Brand auf, dessen Flammen den Himmel emporragen. In ihnen brennt mein Kind; mein Glaube, er hat Feuer gefangen. Ich eile, dieses Feuer zu löschen, um meinen Glauben zu retten.“