JAHRESTAG DES PUTSCHVERSUCHS

„Kehrtwende in deutsch-türkischen Beziehungen möglich“

Morgen jährt sich der Putschversuch in der Türkei vom 15. Juli 2016. In einer gemeinsamen Presseerklärung kritisieren islamische Religionsgemeinschaften die fehlende Solidarität mit der Türkei und fordern, die deutsch-türkischen Beziehungen auf das gewohnte freundschaftliche Niveau anzuheben.

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07
2017
Symbolbild: Türkei-Flaggen © flickr/CC 2.9/hyroxy

Bei dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei vor einem Jahr wurden hunderte unschuldige Menschen getötet und tausende verletzt. Die unterkühlte Reaktion Europas darauf habe die Türkeistämmigen sehr verunsichert. In einer gemeinsamen Erklärung äußerten sich die islamischen Religionsgemeinschaften Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB), Islamische Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) und Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa (ATIB) anlässlich des Jahrestages des Putschversuchs vom 15. Juli 2016.

Der Putschversuch habe Türkeistämmige weltweit unabhängig von ihrer politischen Überzeugung oder religiösen Weltanschauung tief bewegt. Dass Europa das große Trauma des 15. Juli nicht erkannt habe, stimme bis heute traurig. „Die anschließende Türkei-Debatte sorgt bis heute für massive Irritationen. Die Sorgen der Menschen um die Zukunft ihres Herkunftslandes wurden zum Problem und als ein Zeichen von Illoyalität und Fremdheit gewertet“, heißt es in der gemeinsamen Presseerklärung.

In der Folge verschlechterten sich nicht nur die deutsch-türkischen Beziehungen. Es verfestige sich mit zunehmender Diskussion das ungute Gefühl, als mache sich eine allgemeine Enttäuschung über „das Scheitern des Putsches breit“. Das Vertrauen der Türkeistämmigen in Deutschland und Europa in Politik und Medien wurde massiv zerrüttet. Deshalb sei es „mehr denn je erforderlich, die deutsch-türkischen Beziehungen auf das gewohnte freundschaftliche Niveau anzuheben“, heißt es weiter.

Von Partnern und Verbündeten erwarte man in schwierigen Zeiten und besonders in Ausnahmezuständen wie diesen Solidarität und Unterstützung. Dieser Konsens sei „Grundlage für alles Weitere“. Ohne ihn werde der historisch gewachsenen deutsch-türkischen Freundschaft der Boden entzogen und falle konjunkturellen Interessen zum Opfer. „Umso wichtiger ist es nun, zu einer Sprache zurückzufinden, die frei ist von kurzsichtigem Populismus, und der historischen Verantwortung beider Staaten gerecht wird“, so die Religionsgemeinschaften.

Mit ihren Gedanken seien sie bei all jenen, die in der Putschnacht ihr Leben gelassen haben und ihren Hinterbliebenen. Zugleich kündigten sie an, an das heutige Freitagsgebet in ihren Moscheen eine religiöse Gedenkveranstaltung für die Verstorbenen aus der Putschnacht anzuschließen.


DITIB


Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB)
Der DITIB Dachverband vereint bundesweit 896 Ortsgemeinden. Das Vereinsziel ist es, Musliminnen und Muslimen einen Ort zur Ausübung ihres Glaubens zu geben und einen Beitrag zur Integration zu leisten. Darüber hinaus engagiert sich die DITIB intensiv im sozialen Bereich.

IGMG


Islamische Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG)
Die IGMG-Islamische Gemeinschaft Millî Görüş ist mit 323 Moscheegemeinden (europaweit 522) sowie 1182 Einrichtungen (2246) und ca. 68.246 Einzelmitgliedern (120.629) eine der größten islamischen Religionsgemeinschaften in Deutschland. Die Gemeindegröße umfasst ca. 350.000 Personen. Sie ist Mitglied im Islamrat.

ATIB


Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa e.V. (ATIB)
Die Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa e.V. wurde 1987 mit Sitz in Köln gegründet. Das Vereinsziel ist es die kulturellen, sozialen, sowie juristischen Interessen der türkisch-muslimischen Minderheit zu vertreten. Sie ist Mitglied im Zentralrat der Muslime.

Leserkommentare

Johannes Disch sagt:
@Dilaver Damit übernehmen Sie die Lesart von Erdogan, der seinen Leuten immer verkauft, die Türkei würde von außen durch finstere Mächte bedroht. Und was die PKK betrifft: Terror ist nie okay. Aber leider hat Erdogan seinen früheren Kurs, Kurden mehr Autonomie zu gewähren, aufgegeben. Schauen Sie sich Erdogans Verhalten an: Hier werden nicht nur Putschisten verhaftet. Erdogan schaltet jegliche Opposition und jede Kritik aus. Die Zukunft der Türkei liegt im Westen. Es ist zu hoffen, dass Erdogan das noch einsieht. Es sieht im Moment leider aber nicht danach aus.
24.07.17
13:00
Dilaver sagt:
Die Türkei wird nie zu einer echten Demokratie werden, solange Atatürk nicht enttabuisiert und eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Kemalismus, der Staatsdoktrin, stattfindet. Erdoğan sowie die türkische Regierung sind das bis heute ihren Wählern schuldig, haben sich aber immer vor einer ernsthaften Auseinandersetzung mit der Person Atatürks und seiner Ideologie - dem Kemalismus - gedrückt und einen großen Bogen drumherum gemacht. Im Gegenteil: Sowohl Erdoğan als auch die türkische Regierung vereinnahmen Atatürk und den Kemalismus für sich. Und das finde ich unehrlich. Und wenn daraus Probleme erwachsen, dann wird die Schuld der Religion unter die Schuhe geschoben. Das ist einfach nur ungeheuerlich. Die Türkei leidet immer noch unter dem Trauma, welches der Kemalismus verursacht hat. Und dieses Trauma wird nicht überwunden werden, so lange es keine ernsthafte Auseinandersetzung mit dessen Ursache - dem Kemalismus - stattfindet. So lange Erdoğan als auch die türkische Regierung hier untätig bleiben, wird es als ihr Versagen auf dem Weg der Demokratisierung angerechnet, wenn bei einem Regierungswechsel der Ball des Kemalismus mit doppelter Wucht zurückschlägt. Mit Reformen, Ausbau der Infrastruktur und Symptombehandlung ist es noch nicht getan, wenn man nicht an die Ursache geht. Entschuldigung, aber das musste mal auch gesagt werden.
24.07.17
16:26
Dilaver sagt:
Der "Islamismus" in der Türkei ist nichts anderes als die religiöse Version des säkularistischen Kemalismus. Mehr auch nicht. Wer also die AKP in eine "islamistische" Ecke stellt, der kommt nicht umhin, die obige Tatsache mitzuberücksichtigen.
24.07.17
18:03
Johannes Disch sagt:
@Die Türkei nimmt die Liste mit 700 deutschen Unternehmen,-- darunter "BASF, "DAIMLER", etc-- die angeblich Terrorunterstützer sind, zurück. Angeblich war es ein "Kommunikationsproblem", so der türkische Innenminister. Na, geht doch.... Dass Berlin in den vergangenen Tagen die Zügel endlich angezogen hat zeigt offenbar Wirkung. Das ist das Problem mit der Erdogan-Türkei: Auf Investitionen von EU-Firmen will (und kann) man nicht verzichten. Die Werte der EU hingegen sind der AKP wurscht. Erdogan will nur aus ökonomischen Gründen in die EU und die ökonomischen Vorteile dieser Mitgliedschaft. Das funktioniert aber nicht. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben. Die Reformbemühungen der Vergangenheit in der Türkei waren sowieso schleppend und widerwillig. Hätte die AKP-Türkei wirklich gewollt, dann hätte sie die Aufnahmebedingungen ("Kopenhagener Kriterien") längst erfüllen können. Man sollte die Hoffnung aber nicht aufgeben. Vielleicht bekommt die Türkei ja doch noch die Kurve, obwohl es im Moment nicht danach aussieht.
24.07.17
22:33
Johannes Disch sagt:
@Dilaver (Ihr P 24.07.17, 18:03) -- "Der "Islamismus" in der Türkei ist nichts anderes als die religiöse Version des säkularistischen Kemalismus." (Dilaver) Kompliment. Das ist nun wirklich Rabulistik auf ganz hohem Niveau. Da könnte man auch behaupten, der Stalinismus war einfach nur die bolschewistische Variante der Demokratie. Islamismus und säkulare / laizistische Demokratie gehen nicht zusammen. Erdogan höhlt die Grundlagen der kemalistischen Demokratie aus (Gewaltenteilung, strikte Trennung von Religion und Politik, etc.) aus.
25.07.17
13:29
Johannes Disch sagt:
@Dilaver (Ihr P vom 24.07.17, 16:16) -- "Die Türkei wird nie zu einer echten Demokratie werden, so lange Atatürk nicht enttabuisiert und eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Kemalismus, der Staatsdoktrin, stattfindet." (Dilaver) Atatürk hat überhaupt erst dafür gesorgt, dass die Türkei in der Moderne ankam. Zugegeben, er hat das auf eine sehr rigorose Art und Weise gemacht. Aber das war damals wohl alternativlos. Was wir unter der AKP erleben, das ist eine Re-Religionisierung der Türkei. Der neben Atatürk grösste muslimische Staatsmann des 20. Jahrhunderts-- der Ägypter Anwar Al Sadat--. hat es mit einer knappen Formel prima auf den Punkt gebracht: "Keine Politik in der Religion. Keine Religion in der Politik." Kein Zufall, dass Sadat von Islamisten ermordet wurde. Ein anderer bedenklicher Ausspruch von Erdogan, der seine wahre Agenda zeigt: "Wir haben nur 3 Programmpunkte: 1.) Islam 2.) Islam 3.) Islam." Die Türkei wird erst wieder eine Demokratie werden, wenn Erdogan zu rechtsstaatlichen Prinzipien zurückkehrt. Und wenn er der Religion den Platz zuweist, den Atatürk ihr gab. Das ist von einem Islamisten wie Erdogan aber wohl nicht zu erwarten. Also muss man auf die säkularen Kräfte in der Türkei vertrauen und auf die säkularen Parteien. Man muss nicht um den heißen Brei herumreden: In Europa sehnt man den Tag herbei, an dem Erdogan zurücktritt und die AKP abgewählt wird. Das Ganze ist also ziemlich einfach: Die Wahl, in welche Richtung sich die Türkei entwickelt, liegt beim türkischen Volk. Wenn das sich aber gefallen lässt, dass die AKP in keine Koalitionsregierung muss-- was nach dem Wahlergebnis 2015 der Fall gewesen wäre,-- sondern Erdogan sagen kann: "Irgendwie hat mein Volk seltsam gewählt. Aber ich will mal nicht so sein. Ich lasse die Zeit verstreichen bis zur Bildung einer Regierung, und dann dürft ihr noch einmal wählen." Nun, wie das ausging, das ist bekannt.....
03.08.17
13:44
charley sagt:
@Johannes Disch: "In Europa sehnt man den Tag herbei, an dem Erdogan zurücktritt und die AKP abgewählt wird." Ja, und nicht nur in Europa, sondern in der Türkei von vermtl. mindestens 50% der Bevölkerung. Allein das Spitzelsystem, das Denunziationssytem, welches Angst und Verunsicherung überall verbreitet, ist eine Macht, die wie ein krankmachendes Pilzgeflecht die türkische Gesellschaft durchzieht! Und damit - unter dem Deckmantel eines zynisch behaupteten "Rechts"-systems - eine Gleichschaltung veranlasst, die eine solide Inthronisation eines Alleinherrschers vorbereitet. Sie haben Recht... aber es gibt eben auch die andere, derzeit mundtot gemachte Türkei. In Europa und in der Türkei sehnt man den Tag herbei, an dem Erdogan zurücktritt und die AKP abgewählt wird.
04.08.17
19:22
Johannes Disch sagt:
@Charley Richtig, es gibt eine starke Zivilgesellschaft in der Türkei und auch eine große Opposition. Aber noch immer hat die Selbstherrlichkeit von Erdogan keine Grenzen. Der kürzlich begonnene Prozess die Putschisten ist eine Farce und hat keinen Funken von Rechtsstaatlichkeit. Der 32jährigen Übersetzerin Mesla Tolal-- die Frau ist deutsche Staatsbürgerin!-- drohen 15 Jahre Haft. Man sieht: Die deutsche Staatsbürgerschaft nützt einem nix, wenn man es mit jemandem zu tun hat, der -- wie Erdogan-- auf alles pfeift. Und es nützen auch sämtliche internatio9nale Übereinkommen (Menschenrechtscharta) und Institutionen (Europäischer Gerichtshof) nix, wenn einer eiskalt auf alles pfeift. Früher hätte man gesagt: "Hör mal zu Erdogan: Frau Tolal und Herr Yücel sind morgen Mittag Punkt 12 Uhr am Frankfurter Flughafen oder wir schicken die GSG 9 und erledigen das selbst!" Aber mit den Hasenfüßen Merkel und Gabriel kann man es ja machen. Außer einer etwas schärferen Rhetorik ist von deutscher Seite aus bisher noch nix passiert. Noch immer führt Erdogan Deutschland vor.
09.08.17
21:08
Johannes Disch sagt:
Und die Säuberungen in der Türkei gehen fröhlich weiter.... Grade gestern wurden wieder 35 Journalisten verhaftet. Erdogan hat die Türkei inzwischen in einen einzigen großen Knast verwandelt. Na, wenn sich die Türken das gefallen lassen...--- dann sollen sie die Suppe gefälligst auch auslöffeln und nicht jammern! Eine Woche konsequenter Generalstreik und der Möchtegern-Sultan Erdogan wäre auf Normalmaß zurechtgestutzt!
10.08.17
14:59
Johannes Disch sagt:
So, eine Kehrtwende in den deutsch-türkischen Beziehungen ist möglich?? Da ist beim Autor allerdings der Wunsch der Vater des Gedankens. So, wie Erdogan im Moment agiert, ist eine Kehrtwende nicht möglich. Statt wieder rational zu werden, dreht Erdogan immer mehr am Rad. Er mischt sich in den deutschen Wahlkampf ein. Er missbraucht Interpol, um im Ausland Kritiker verhaften zu lassen (den Schriftsteller Dogan Akhanli. Deutscher Staatsbürger, den Spanien inzwischen allerdings bereits wieder freigelassen hat). Erdogan-Anhänger fühlen sich nun sogar bemüßigt, die Ehefrau von Außenminister Gabriel zu belästigen. Erdogan führt sich auf wie ein kindischer Trotzkopf. Er wird außerhalb der Türkei nicht ernst genommen. Und daran ist er selbst schuld. Wer sich so aufführt, der macht sich auf internationalem Parkett einfach nur lächerlich. Zum lachen ist das allerdings nicht für die Menschen, die unter seiner Despotie leiden müssen (u.a. Deniz Yücel, Mesla Tolal, Peter Steudtner). Langfristig schadet Erdogan damit allerdings nur sich selbst und vor allem seinem Land. Das Erwachen für die Erdoagn-Jubler wird ernüchternd sein. Eine Türkei, die sich außenpolitisch weitestgehend isloliert hat. Eine Türkei, die in Europa keine Lobby mehr hat, nicht einmal mehr in ihrem langjährigen Fürsprecher Deutschland. Eine Türkei, deren Wirtschaft sich inzwischen im freien Fall befindet.
22.08.17
13:40
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