In Wien hat jeder zweite Einwohner einen Migrationshintergrund. Darunter sind viele Muslime. Nicht von ungefähr geraten die sogenannten islamischen Kindergärten ins Visier der Politiker im Wahlkampf.
Es sind schätzungsweise 10 000 Kinder, um die es hier geht. Sie besuchen in Wien Islamische Kindergärten. Ihre Eltern scheinen nach Meinung mancher Politiker damit schon früh zu signalisieren: Integration, nein danke! Wenige Monate vor der Nationalratswahl hat die konservative ÖVP mit ihrem Spitzenkandidaten Sebastian Kurz diese Einrichtungen erneut ins politische Visier genommen.
„Es braucht sie nicht. Es soll keine islamischen Kindergärten geben“, bekräftigte der 30-jährige Außen- und Integrationsminister unlängst bei einer Diskussion. Es wird suggeriert: Solche Kindergärten sind Stätten von Indoktrination, sozialer Isolation und Sprachdefiziten. Drei Monate vor den Parlamentswahlen haben die Parteien eines der Themen gefunden, die wohl die nächsten Wochen prägen werden.
Kurz‘ Idee, solche Einrichtungen zu schließen, stieß umgehend auf Kritik bei islamischen Religionsgemeinschaften, Sozialdemokraten und Grünen. Die rechte FPÖ befand, der Minister greife eine Position auf, die die Rechtspopulisten schon lange vertreten würden. Die Debatte ist nicht ganz neu. Eine Kindergartenstudie des Islamwissenschaftlers Ednan Aslan von der Universität Wien, finanziert vom Außenministerium, hatte vor einem Jahr für Zündstoff gesorgt.
Auf rund 180 Seiten beschreibt der Forscher, dass im rot-grün regierten Wien 10 000 Kinder in mehr als 120 Einrichtungen untergebracht sind, die von einzelnen Muslimen oder muslimischen Religionsgemeinschaften getragen würden. Zwar räumte Aslan ein, dass er eine etwaige Wirkung der politischen Ansichten der Träger auf die Kinder nicht untersucht habe, stellte aber zugleich fest: „Die in der Studie kurz angeführte Darstellung der Ideologie der Vereine bzw. dieser Akteure schlägt sich zweifellos auf die Pädagogik nieder.“
Das Thema gewann diesen Juli an Schärfe, als das linksliberale Magazin „Falter“ nach genauer Analyse der Dokumente zu dem Schluss kam, dass das Ministerium wesentliche Aussagen Aslans umgeschrieben und damit in seinem Sinne dramatisiert habe. „Frisiersalon Kurz“, titelte das Blatt. Doch Aslan ließ wissen, dass er an den Korrekturen nichts auszusetzen hatte. Und auch Kurz reagierte gelassen. „Ich brauche keine Studien mehr, um zu wissen, dass das falsch läuft, was da abläuft“, meinte er in einem TV-Interview. Manche der Ursprungssätze, die vom „Falter“ als geändert benannt wurden, tauchen an anderer Stelle der Studie auf. Jetzt will die Universität Wien klären, ob wissenschaftliche Standards verletzt wurden, und hat lässt die Studie durch die unabhängige Österreichische Agentur für wissenschaftliche Integrität (OeAWI) prüfen. IslamiQ berichtete.
Ali Kaya ist Chef der sechs JUWA-Kindergärten mit insgesamt rund 300 Kindern, die von der Islamische Föderation in Wien (IFW) gegründet wurden. Von einer streng religiösen oder gar politischen Beeinflussung will er nichts wissen. Allerdings korrespondierten die vermittelten Werte mit dem Islam, sagt der 30-Jährige. „Das ist für mich wichtig, dass die Kinder wissen, was Moral ist, was Ethik ist, was Anstand bedeutet, wie man sich gegenüber Eltern verhält“, sagte er der dpa.
Der Bedarf an Kindergärten im multi-ethnischen Wien war 2010 gewachsen, als Österreich ein verpflichtendes Kindergartenjahr einführte. Auch muslimische Religionsgemeinschaften boten Betreuung und spezielle Kost für muslimische Kinder an. Gerade das Vertrauen in das der Religion angepasste Essen hat nach Ansicht von Kaya die Eltern überzeugt.
Die nichtmuslimischen Einrichtungen in der Millionen-Metropole waren auf die Situation nicht wirklich eingestellt. Die Pädagogik-Forscherin Helena Stockinger von der Katholischen Privat-Universität Linz verweist auf Mängel in der multikulturellen Ausbildung von Erzieherinnen und Erzieher. „Im Rückblick war der Umgang mit anderen Religionen kein Thema“, sagte sie der dpa.
Die Stadt Wien ist angesichts der Situation unter Druck. Die Qualitätskontrollen seien verschärft worden, versichert der für Bildung und Integration zuständige Stadtrat, Jürgen Czernohorszky. Erzieher mit schlechten Deutschkenntnissen würden nicht mehr akzeptiert. Darüber hinaus seien Finanzprobleme der Betreiber ein Grund für die Schließung von 31 Kindergärten im vergangenen Jahr gewesen, sagte Czernohorszky. Die Kontrolleure der Stadt hätten im Übrigen keine einzige Einrichtung aufgespürt, die die Kinder indoktriniere. (dpa/iQ)