Ednan Aslan, Verfasser der umstrittenen Kindergartenstudie, hat eine neue Studie veröffentlicht. Diesmal zum Thema: „Islamistische Radikalisierung“. Für den Politikwissenschaftler Rami Ali ist auch diese Studie fragwürdig.
Das Institut für Islamisch-theologische Studien in Wien hat eine neue „Schockstudie“ mit dem Titel „Islamistische Radikalisierung, Biografische Verläufe im Kontext der religiösen Sozialisation und des radikalen Milieus“ veröffentlicht. Die Autoren sind Ednan Aslan, dessen umstrittene Kindergartenstudie derzeit von der Österreichischen Agentur für wissenschaftliche Integrität (OeAWI) einer Prüfung auf Wissenschaftlichkeit unterzogen wird, und Evrim Erşan Akkılıç.
Die Haupterkenntnis der Studie ist, dass radikalisierte Menschen sehr wohl religiöses Wissen besitzen, ehe sie in die Fanatisierung schlittern. Das ist eine Schlussfolgerung, die in Widerspruch zu bisherigen repräsentativen Studien steht, darunter die MI5 Studie in London (2008), die Combating Terrorism Center-Studie (2016) und die jüngste Studie der Universitäten Osnabrück und Bielefeld (2017). Diese kommen zu dem Ergebnis, dass der Großteil radikalisierter Menschen, wenig bis kaum religiöses Wissen besitzen. Erstere zog mitunter auch das Fazit, dass früh-religiöse Erziehung gar gegen Radikalisierung helfe. Renommierte Wissenschaftler aus Deutschland, etwa Michael Kiefer oder Peter Neumann, bestätigen dies. Auch der österreichische Islamwissenschaftler Rüdiger Lohlker teilt diese Auffassung.
Wenn man diese Studien mal ausblendet und die neue Studie für sich betrachtet, gewinnt man den Eindruck, dass Ednan Aslan – wie auch bei der Kindergartenstudie – gewisse Vorannahmen hat, mit denen er auch in diesen Auftrag gegangen ist und die er gerne bestätigt sehen möchte.
Zentrale Ergebnisse der Studie sind u. a. folgende:
1. Die Ergebnisse der Untersuchung zeigten, dass sich die interviewten Personen in ihrem Radikalisierungsprozess aktiv mit Inhalten, Normen und Wertvorstellungen der islamischen Lehre auseinandersetzten.
2. Diese intensive Auseinandersetzung mit theologischen Themen stelle bei vielen Befragten einen Wendepunkt in ihrem Leben dar, der mehrheitlich positiv bewertet werde.
3. Der Großteil der Befragten stamme aus einem gläubigen muslimischen Elternhaus und habe bereits vor dem Kontakt mit der islamischen Theologie Kenntnisse über die Grundlagen des Islams gehabt. Die im gesellschaftlichen Diskurs herrschende Annahme, dass radikalisierte Personen mehrheitlich über eine geringe Kenntnis der Religion verfügen, habe sich in der Studie nicht bestätigt.
Der dritte Punkt stellt wohl die Hauptthese dar und fand Einzug in die Medienberichte: Aslan beschreibt diese These als „die im gesellschaftlichen Diskurs herrschende Annahme…“. Damit ignoriert er allerdings die aktuelle Studienlage zu diesem Thema, die wie oben hingewiesen, relativ eindeutig ist. Die Annahme, dass radikalisierte Menschen über wenig religiöses Wissen verfügen, ist eine wissenschaftliche Feststellung, die durch repräsentative Studien mehrfach belegt wurde – und nicht ein Teil eines beiläufigen gesellschaftlichen Diskurses. Ednan Aslan suggeriert damit, dass alles, was wir über radikalisierte Menschen und die Rolle der Religion in diesem Prozess wissen, falsch ist.
Wie kommt Aslan zu seinen Ergebnissen und wie überprüft er sie? Um solche Aussagen treffen zu können, wurden in der Studie 29 narrativ-biografische Interviews durchgeführt, 26 in österreichischen Gefängnissen und 3 in Wiener Jugendeinrichtungen. 15 der Gefangenen saßen wegen terroristischen Straftaten in Haft. Hinzu kommt, dass 2/3 der Befragten einen tschetschenischen Migrationshintergrund haben.
Vor diesem Hintergrund muss gefragt werden, wie repräsentativ eine Studie sein kann, die eine Aussage über „einen gesellschaftlichen Diskurs“ und allgemeine Radikalisierungsprozesse treffen möchte, und dabei einen Stichprobenumfang von 29 Personen aufweist? Kaum repräsentativ.
Zudem ist auffällig, dass die Befragten Teil eines sehr spezifischen Milieus sind. Die Interviews wurden mit Gefängnisinsassen geführt, von denen die Hälfte nach dem Terrorismus-Paragraphen verurteilt wurde. Das sind Menschen, die sich nach gängigen Modellen der Einstufung von Radikalisierung, auf der letzten Stufe befinden. Eine stärkere Radikalisierung ist kaum möglich. Manche dieser Menschen waren mitunter bereit zu morden bzw. sich einer terroristischen Organisation anzuschließen. Das ist in etwa so, als würde man eine Studie über Suchtverhalten mit Menschen durchführen, die schwer abhängig sind von harten Drogen, wie etwa Heroin, aber den Anspruch erhebt, Aussagen über Hanfkonsumenten treffen zu können bzw. über alle, die mit Drogen zu tun haben. Allein die Spezifika der Zielgruppe sollten Grund genug sein, derartige Schlussfolgerungen nicht ziehen zu können.
Hinzu kommt, dass 2/3 der Gruppe tschetschenischer Abstammung sind. Jeder, der auf dem Gebiet tätig ist, weiß, dass Menschen mit diesem Migrationshintergrund vor allem aufgrund der traumatischen Erlebnisse in der Kindheit und der erlebten Ausgrenzung besonders anfällig sind für Radikalisierung. Viele Tschetschenen haben in ihrer Kindheit nur Krieg und Unterdrückung erlebt und sehen in dem Kampf in Syrien eine Möglichkeit, es „den Russen heimzuzahlen“ für das, was sie ihren Familien angetan haben. Es ist kein Wunder, dass der Großteil der aus Österreich nach Syrien ausgereisten Kämpfer, tschetschenischer Abstammung sind. Das sind Menschen, mit einer ganz spezifischen Geschichte.
Dessen ist sich die Studie bewusst, denn dort heißt es: „Die befragten Personen stammen aus einer sozial schwächeren Schicht, was als zusätzlicher Faktor in den Diskriminierungserfahrungen und Radikalisierungsprozessen eine Rolle spielt.“ (S. 19).
In der Summe ist also die Rede von einer Menschengruppe, die sich in einer ganz besonderen Lebenslage befindet. Menschen, die aufgrund vergangener Entscheidungen und ihrer radikalen Gesinnung so weit gegangen sind, dass sie verurteilt wurden. Menschen, die aufgrund traumatischer Erlebnisse besonders anfällig sind für diese Ideologie sind. Menschen, die aus einer prekären sozialen Schicht stammen und Menschen, die Diskriminierungserfahrungen gemacht haben.
Ausgehend von den Interviews mit diesen Menschen schlussfolgert Aslan, entgegen allen bisherigen Studien, es sei nicht richtig, dass radikalisierte Menschen, über geringe Kenntnisse über ihre Religion verfügen. Betrachtet man die anderen Schlussfolgerungen, die in der Studie präsentiert werden – etwa dass die Befragten aus einem gläubigem Elternhaus kommen oder dass sie ihr Wissen aus klassisch islamischen Texten beziehen – so wird klar, dass der Studienautor darauf abzielt, dem Islam eine gewichtige Rolle bei der Radikalisierung beizumessen.
Alles in allem ist völlig unverständlich, wie von einer derart beschränkten, nicht repräsentativen und spezifischen Stichprobe (befragte Menschen) die sehr allgemein gehaltene Forschungsfrage beantwortet werden kann, die da lautet: „Wie stellen sich Radikalisierungsprozesse bei Individuen dar und welche Rolle spielt die Religion in diesen Prozessen?“ (S. 84).