Die Demokratie-Antreiber

Demokratie unter Druck – Aktion für mehr Engagement

2017 ist das westliche Demokratiemodell schwer unter Druck. Kampagnen werben vor der Bundestagswahl nun nicht nur für Parteien, sondern für mehr Einsatz für die Demokratie. Sozialforscher machen sich vor allem Sorgen, wie das Phänomen Trump hierzulande verhindert werden kann.

07
08
2017
Religionsfreiheit ist ein hohes Gut der Demokratie. Zu sehen ist Emine Palabiyik. © https://demokratie-ist-alles.de

Ein Zeitungsbudenbesitzer. Eine Kranführerin. Eine junge Muslima mit Kopftuch. Diese Menschen tauchten vor einiger Zeit bundesweit auf Plakaten auf. „Ich könnte auch nur meine eigene Meinung verkaufen – muss ich aber nicht“, erklärt der Zeitungsverkäufer. Darunter Artikel 5 des Grundgesetzes, der Artikel, der Meinungs- und Pressefreiheit garantiert.

Meinungsfreiheit? Eine Werbekampagne dafür vor der Bundestagswahl? Das hätte 2013 noch schräg gewirkt. Doch im Jahr 2017 nicht mehr: Ein US-Präsident, der die Medien zu Feinden erklärt, inhaftierte Journalisten und Menschenrechtler in der Türkei, verdrehte Wahrheiten, „Lügenpresse“-Parolen politischer Rechtsausleger. Das Portal BuzzFeed hat ermittelt, dass sieben der zehn erfolgreichsten Artikel über Kanzlerin Angela Merkel auf Facebook „Fake News“ sind, also bewusst gefälschte oder verdrehte Nachrichten. 

Das westliche Demokratie-Modell scheint unter Druck. Die Werbe-Kampagne will dagegen ein Zeichen setzen – für all die Freiheiten, die das Grundgesetz zusichert. Beim Motiv der Kranführerin geht es um das Recht auf Berufsfreiheit, die Muslima wirbt für die Freiheit des Glaubens. Auch Spots für Radio und Kino gibt es. „Wir wollen Demokratie in Gang bringen“, sagen die Initiatoren. Und: „Wir suchen Menschen, die Demokratie sichtbar machen.“ Deswegen kann jeder, der will, ein Selfie auf der Webseite hochladen und sich zur Demokratie bekennen.

Hinter der Werbe-Aktion, die aus Spenden finanziert und das Resultat eines Studentenwettbewerbs ist, steckt der Verein „Artikel 1 – Initiative für Menschenwürde e.V.“. Es ist ein Zusammenschluss von Menschen, die in der politischen Kommunikation aktiv sind, in Parteien etwa, Ministerien, Beratungs-Agenturen. Bekanntestes Mitglied: der ehemalige SPD-Bundesgeschäftsführer Kajo Wasserhövel.

„Wir wollen dem rückwärtsgewandten Nationalismus etwas entgegensetzen“, sagt er. Mit der Demokratie-Kampagne sei das Thema natürlich nicht erledigt. Aber sie sei ein Beitrag. „Demokratien gehen an Gleichgültigkeit und Lieblosigkeit kaputt. Und daran, dass man Dinge einfach laufen lässt und man den Mund hält.“

Mit dieser Meinung steht der Verein nicht allein. Die Initiative „Pulse of Europe“ etwa, bei der sich seit vielen Monaten an Sonntagen Tausende Anhänger in europäischen Städten versammeln, um für die Europäische Union zu demonstrieren, will die Diskussion über Europa auch nicht Nationalisten und Rechtspopulisten überlassen.

Das klingt alles schön und gut. Doch was genau können diese Initiativen eigentlich genau bezwecken?

„Was da passiert, ist lebendige Demokratie“, sagt Robert Vehrkamp, Sozialwissenschaftler und Direktor des Programms „Zukunft der Demokratie“ der Bertelsmann Stiftung. Viele hätten in den letzten Jahren geklagt, Politik sei langweilig geworden. Das hat sich verändert. Das würde ich zunächst positiv für die Demokratie werten.“ In Anbetracht von Pegida-Demos, Brexit-Votum, Trump und dem Aufwind nationalistischer Parteien in der EU seien die Demokratie-Initiativen „eine bürgerliche Gegenmobilisierung zum Rechtspopulismus“. Das könnte bei der Bundestagswahl zu einer Mobilisierung in den Wählermilieus etablierter Parteien führen. 

Allerdings ist Vehrkamp auch skeptisch. In den Demokratie-Initiativen seien vor allem Menschen aktiv, die aus bildungsnäheren, einkommensstärkeren Milieus kämen. Menschen, „die im Prinzip zufrieden sind mit dem Status quo, angesichts der rechtspopulistischen Mobilisierung der letzten Jahre aber ein Stück weit Angst bekommen“. Es stelle sich nun die Frage: „Geht es nur um die Absicherung ihrer eigenen Interessen? Oder auch darum, andere Meinungen in der Demokratie ernst zu nehmen und daraus Konsequenzen zu ziehen?“ Täte man das nicht, könne es zu einer noch tieferen Spaltung der Gesellschaft kommen, von der etwa Donald Trump in den USA stark profitiert habe. „Das wäre bei uns in diesem Maße so noch nicht möglich“, betont Vehrkamp. „Aber auch in Deutschland ist die Demokratie sozial gespalten.“

Der Soziologe Simon Teune vom Institut für Protest- und Bewegungsforschung in Berlin stellt die Frage, „ob solche Aktionen die Leute ansprechen, die Demokratie-Zweifel haben“. Die Themen der Demokratie-Initiativen wie Rechtsstaat und Freiheitsrechte seien nicht unbedingt die Themen, die Menschen beschäftigten, die sich abgehängt fühlten. „Es wird zu wenig darüber nachgedacht, was man den Menschen, die sich ausgeschlossen fühlen, anbieten kann“, sagt Teune. „Ich denke, das ist eher die Frage, wenn es darum geht, langfristig Demokratie zu erhalten.“ (dpa, iQ)

Leserkommentare

Gisa sagt:
Schön, dass Muslime sich um die westliche Demokratie sorgen. Eigentlich sollten sie sich aber um die muslimische Demokratie sorgen, die ist nämlich praktisch gar nicht existent.
07.08.17
16:35
Manuel sagt:
Nur komisch, dass keine Land, in den der Islam Staatsreligion ist, wirklich demokratisch ist!
07.08.17
17:49
Kritika sagt:
L.S. Wer die Welt verbessern will, sollte bei sich selbst anfangen! - (leider nicht von mir) Gruss, Kritika
08.08.17
9:40
Frederic Voss sagt:
In der Überschrift wird hier betont: 2017 ist das westliche Demokratiemodell schwer unter Druck. Islamische Politmodelle und Scharia-Justiz sollen wohl eine akzeptable Alternative sein? Wenn Religionsfreiheit ein hohes Gut der Demokratie ist, heisst das noch lange nicht, daß islamistische Gesellschaftsvorstellungen überall dominieren oder sich langsam breit machen dürfen
08.08.17
11:01
Ute Fabel sagt:
Ich würde mich freuen, wenn der Verein „Artikel 1 – Initiative für Menschenwürde e.V.“ auch eine Kampagne starten würde, in welche die großen Gefahren des politischen Islams aufgezeigt werden. Pegida-Demos, Brexit-Votum und Trump sind in der Tat höchst unerfreuliche Phänomene, ebenso erschreckend sind aber die jubelnde Massen bei den Erdogan-Auftritten in Deutschland. Von der Haft und den Peitschenhieben in Saudi Arabien für den Freidenker Raif Badawi ganz zu schweigen. Ist der Verein „Artikel 1 – Initiative für Menschenwürde e.V.“ vielleicht auf einem Auge blind?
08.08.17
13:14
Kritika sagt:
L.S. "Ich könnte auch an nichts glauben und damit glücklich sein; Muss ich aber nicht" So wird es ein KopftuchModel in den Mund gelegt. Ist es einer Mohammedanerin wirklich gestatt, sich vom Islam befreien, an nichts glauben? SpiegelOnLine vom Feb 2016: « Im Sudan, einem der ärmsten Länder der Erde, steht Apostasie, also Abfall vom Glauben der islamischen Mehrheit, im Strafgesetzbuch. Das "Vergehen" ist mit dem Tod zu ahnden - - - Baschirs Islam wird von den Muslimbrüdern aus Ägypten beeinflusst. Auch sie sind überzeugt, dass Abfall vom Glauben mit dem Tod bestraft werden muss. Doch Todesdrohungen gegen Konvertiten sind in der gesamten islamischen Welt verbreitet. Meist wird Apostasie durch Schariavorschriften untersagt. Nur wenige Länder, darunter Saudi-Arabien und Oman, haben das Verbot auch ins staatliche Strafgesetz geschrieben. Im Jemen hat es sogar Verfassungsrang. Doch Apostaten leben überall gefährlich. Zwar garantiert die afghanische Verfassung Religionsfreiheit, beruft sich aber auf die Scharia. So wurde der Konvertit Abdel Rahman – er hatte sich zum Christentum bekehrt – vor zehn Jahren in Kabul zum Tod verurteilt - - -» Da soll die PrimaMuslima, falls sie den Schneid hat, sich vom Islam zu befreien aber mal gut aufpassen, wohin sie danach reist: Vom Islam wegkommen ist natürlich immer gut aber es ist lebensgefährlich, öffenlich zum Apostaten zu werden, so friedlich ist der Islam nun einmal. In der Reihe der DemokratieBeispiele ist das Kopftuch/Islam/Plakat völlig deplaziert. Wo Demokratie herrscht, ist der Islam bedeutungslos und wo der Islam herrscht gibt es keine Demokratie. Gruss, Kritika.
09.08.17
0:03
Johannes Disch sagt:
Meine Güte, jetzt engagieren sich hier lebende Muslime hier die Demokratie-- und was passiert?? Man wirft Ihnen die Demokratie-Defizite in der islamischen Welt vor! *Kopfschüttel* Da zeigt sich noch immer die Unfähigkeit und Unwilligkeit der deutschen Gesellschaft, Bürger islamischen Glaubens als gleichberechtigte und gleichgestellte Individuen zu betrachten.
09.08.17
20:41
Kritika sagt:
L.S. Herr Disch schreibt: «jetzt engagieren sich hier lebende Muslime hier die Demokratie-- und was passiert?? Man wirft Ihnen die Demokratie-Defizite in der islamischen Welt vor! *Kopfschüttel* - - - » Von "sich engagieren hier lebende Muslime für die Demokratie" hat Kritika im Redaktionellen Teil nichts gefunden, aber das ist nicht der Punkt. Bei ein paar Milonen Muslims hier gibt es die sicher auch. Das "Westliche Demokratie-Modell" soll gefördert werden. Ein heheres Vorhaben. Aber was hat das Mohammedanisch hergerichtete Fotomodell, mit provozierendem Kopftuch, (als Symbol für eine teokratische, diktatorische Staatsform) damit zu tun? Mit dem Text "Ich könnte auch an nichts glauben" bekäme sie in der überwiegende Zahl der vom Islam beherrschten Staaten erhebliche Probleme, erst recht, wenn sie es wagen sollte das realisieren. Die obigen Diskutanten verweisen auf die Realität in vom Islam beherrschten Staaten. Dazu gehört - Alllah sei Dank - Deutschland noch nicht. Als die Niederlande Indonesia in der Unabhängigkeit entliessen, war der Islam dort so unbedeutend, wie heute in Deutschland. Heute ist der Islam in Indonesia noch immer nicht Staatsreligion. Dennoch ist z.T. sogar die Scharia in Kraft und wird angewendet. Im Vergangenen Jahr gingen Bilder um die Welt, von einer knieende jungen Frau, die (nach Muslemischen Brauch) ausgepeitscht wurde wegen einer Lapalie. Anfang 2017 bewarb sich der Christliche Gouverneur von Jakarta, 'Ahok', um eine erneuten Kanditatur. Die Mufties wollten das verhindern und ihren Gläubigern vorschreiben, was sie zu wählen haben. Sie argumentierten, ein braver Muslim könne kein Ungläubiger wählen. Ahok erwiderte, die Wähler sollten sich nicht von jenen leiten lassen, und bezog sich auf Sure Al-Maidah, Vers 51* Die Mufties organisierten dem MuslimMob zu gewaltigen Demos und brachten Ahok vor Gericht. Er wurde zu 2 Jr. Gefängnis verurteilt wegen Blasfemie. Seine Existenz ist ruiniert. Soweit ist das einstige VorzeigeLand mit der höchsten MuslimBevölkerung inzwischen herunter gekommen. Aus den Beiträgen der Diskutanten hier kann man die Besorgnis und Ablehnung lesen, den Islam, mit Hilfe eines Propaganda Plakates salonfähig zu machen. Glücklicherweise begreifen die Diskutanten besser als Herr Disch, was die Staatsform in den 50 vom Islam beherrschten Staaten anrichtet und wie sie sich von der unserigen unterscheidet. Sie sind besorgt und wachsam. Gruss, Kritika. *Sure Al-Maidah (Sure 5), Vers 51 „Ihr Gläubigen! Nehmt euch nicht die Juden und die Christen zu Freunden! Sie sind untereinander Freunde (aber nicht mit euch). Wenn einer von euch sich ihnen anschließt, gehört er zu ihnen - - -"
13.08.17
0:08
Manuel sagt:
@Johannes Disch: Es geht um die Parxis, man sieht an der Realität, was passiert, wenn in einem Land, der Islam die Mehrheit hat, darum geht es!
23.08.17
20:36