Für Muslime ist das Kurbanfest (auch Opferfest genannt) ein Anlass und Mittel, Bedürftigen in aller Welt zu helfen. Der Theologe Prof. Dr. Vecdi Akyüz erklärt im IslamiQ-Interview die religiösen und gesellschaftlichen Aspekte des Opferns.
IslamiQ: Warum opfern Muslime? Was steckt dahinter?
Prof. Dr. Vecdi Akyüz: Der Kurban ist für Muslime eine Form der innigen Verbundenheit und Hingabe. Das Opfern geht zurück auf den Propheten Abraham (a), dem Stammvater der drei monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam. Die Tradition des Opferns erinnert an die Bereitschaft Abrahams, alles für Allah zu geben – sogar seinen eigenen Sohn. Gleichzeitig ist der Kurban ein Sinnbild für die Ergebenheit des Propheten Ismael (a).
Beim Kurban geht es nicht um das Fleisch oder Blut des Opfertiers. Denn im Koran heißt es ganz deutlich: „Weder ihr Fleisch noch ihr Blut erreicht Allah, jedoch erreicht Ihn eure Frömmigkeit…“.[1] Sinn und Zweck des Opferns ist die religiöse Vervollkommnung des Gläubigen. Der Kurban bringt den Menschen Gott näher, lehrt ihn Selbstlosigkeit und Mitgefühl. Es erinnert an die Verantwortung des Menschen gegenüber Allah und dessen Geschöpfen.
IslamiQ: Welche gesellschaftliche Dimension hat das Opfern?
Akyüz: Viele Gottesdienste haben auch einen sozialen Aspekt. Beim Kurban sind das neben dem wirtschaftlichen Nutzen für die Tierzucht und den Handel vor allem die Stärkung von Gemeinschaft und Solidarität. Besser als etwas zu tun ist, es gemeinsam zu tun. Das meinte schon unser Prophet, wenn er sagte: „Das (beste) Fasten ist das gemeinsame. Das (beste) Fastenbrechen ist das gemeinsame. Das (beste) Opfern ist das gemeinsame.“[2]
Das Kurbanfest erinnert Muslime an Werte wie Geschwisterlichkeit und Gerechtigkeit. Das Kurbanfest ist eine Zeit der Freude und Versöhnung, an denen das Fleisch der Opfertiere an Freunde, Nachbarn, Verwandte und Menschen überall auf der Welt geteilt wird. Der Kurban ist ein Mittel, um diese Ziele zu erreichen.
IslamiQ: Das Opfertierfleisch soll also geteilt werden.
Akyüz: Der Prophet legte großen Wert auf das Teilen des Kurbanfleisches. Anfänglich war es sogar so, dass es nicht länger als drei Tage aufgehoben werden sollte. Das hatte mit der angespannten wirtschaftlichen Situation vor Ort zu tun. Große Teile der muslimischen Gemeinde waren damals bitterarm.
IslamiQ: Internationale islamische Hilfsorganisationen sammeln Kurbanspenden, um damit vor Ort Opfertiere zu kaufen und deren Fleisch zu verteilen. Was bedeutet das für die lokale Wirtschaft?
Akyüz: Vor allem die Tierzucht erlebt in den Tagen und Wochen vor dem Kurbanfest einen Boom. Das belebt die Wirtschaft, was besonders in armen Ländern sehr wichtig ist. Durch ihre Arbeit vor Ort leisten islamische Hilfsorganisationen einen wichtigen Beitrag dazu. Es sind ja nicht nur die Verkäufer, die davon profitieren, sondern auch Landwirte, Metzger, Transportunternehmen, lokale Hilfsorganisationen usw. – sie alle sind in einer anderen Art und Weise an der Kurbankampagnen beteiligt.
IslamiQ: Islamische Hilfsorganisationen erreichen Millionen Menschen, allein durch die Kurbankampagne. Was halten Sie davon?
Akyüz: Überall auf der Welt leiden Menschen an Hunger. Hinzukommen Opfer von Erdbeben-, Flut- und Kriegskatastrophen, die ebenfalls beherbergt und ernährt werden müssen. Gut vernetzte und zuverlässige Organisationen sind in der Lage, die Menschen erreichen, die wir nicht erreichen können.
Für alle, die finanziell dazu in der Lage sind, ist es eine Pflicht eine Kurbanspende zu tätigen. Wer besser gestellt ist, kann auch mehrere spenden. Er kann eine islamische Organisation damit beauftragen, in Ländern, die er für geeignet erachtet, stellvertretend für ihn zu opfern.
IslamiQ: Momentan werden solche Kurbankampagnen vorbereitet. Worauf sollte dabei geachtet werden?
Akyüz: Helfer, die an Kurban-Kampagnen im Ausland teilnehmen, müssen sicherstellen, dass die Opferung und die Verteilung des Fleisches nach islamischen Prinzipien erfolgen. Sie müssen im Vorfeld aber auch die örtlichen Traditionen kennenlernen und diese beachten.
Zudem ist die schlechte Behandlung von Tieren oft ein Thema. Das darf auf keinen Fall toleriert werden. Der Prophet verurteilte vehement alles, was für die Tiere unnötige Schmerzen und Leid bedeutet. Stattdessen soll mit Fürsorge und Barmherzigkeit gehandelt werden. Das Opfertier muss angemessen untergebracht und versorgt werden. Es darf während der Opferung keine Qual erleiden, der Opferplatz muss sauber sein. Auch auf die Umwelt muss geachtet werden. All das wird im Islam gefördert.
IslamiQ: Das Opfern von Tieren wird von verschiedenen Seiten als unethisch verurteilt. Was sehen Sie das?
Akyüz: Der Kurbanfest ist keine Barbarei, ganz im Gegenteil! Ein armer Mensch, der ein ganzes Jahr über viel Leid erfahren hat und womöglich nicht einen Bissen Fleisch gegessen hat, freut sich über das Opferfleisch und kann wenigstens einen Teil seines Bedarfs decken. Er freut sich darüber, dass es Menschen gibt, die an ihn denken und ihn jedes Jahr besuchen. Der Kurban macht das möglich. Wer in Wohlstand und Überfluss lebt, kann das kaum beurteilen.
Das Interview führte Murat Kubat.
[1] Sure Hadsch, 22:37
[2] Tirmizî, Sawm, 11, Hadith Nr. 697