Prof. Dirk Halm analysierte im Auftrag der Bertelsmann Stiftung die Sozialintegration der Muslime in Europa. Im Interview erklärt er wie Integration gemessen wird und vor welchen Herausforderungen die Gesellschaft steht.
IslamiQ: Ein zentrales Ergebnis der Studie ist, dass Muslime gut in den Arbeitsmarkt integriert sind. Welche Gradmesser für die Integration gibt es?
Prof. Dirk Halm: Wir sehen neben der gesellschaftlichen Teilhabe auch die Kontakte mit der Aufnahmegesellschaft sowie die Aneignung von Sprache und Bildung als wesentlich für die Integration ins Sozialgefüge an. Darüber hinaus gilt es aber auch, die Frage nach dem sozialen Zusammenhalt, nach politischer Partizipation, Engagement, Werten und Identität zu stellen. Auch hierzu gibt es ja bereits veröffentlichte Ergebnisse aus dem Religionsmonitor-Projekt.
IslamiQ: Sie unterscheiden Integration ganz klar von Assimilation. Warum wird der Begriff der Integration nach wie vor so ambivalent aufgenommen?
Prof. Halm: Der Begriff ist unbestimmt und stark von Politik und Alltagdiskursen besetzt. Deshalb bedarf er einer genaueren Fassung, wenn man ihn bemüht. Vom Wesen her ist er außerdem normativ, weil er beinhaltet, dass sich Gesellschaft in eine bestimmte Richtung verändern soll. Damit ist der Begriff tendenziell politisch und strittig.
IslamiQ: Bei der Studie wurden Flüchtlinge nicht beachtet. Wieso? Inwiefern ist es korrekt, von Muslimen zu sprechen, wenn ein Teil ausgeblendet wird?
Prof. Halm: Dies hat methodische, aber auch inhaltliche Gründe. Mit Standardverfahren der empirischen Sozialforschung ist es schwierig, Neuankömmlinge, die sich etwa in Aufnahmeeinrichtungen befinden, adäquat abzubilden. Zugleich hätte die Berücksichtigung von Geflüchteten aber auch den Ländervergleich verzerrt, da Deutschland ungleich mehr Neuankömmlinge aufgenommen hat als die anderen Länder in der Studie. Es ging uns ja darum, zu zeigen, wie die Sozialintegration langfristig funktioniert, insbesondere in den Nachfolgegenerationen.
IslamiQ: In Medienberichten wurde kritisiert, dass „wenige Fragen“ zur Religiosität der Befragten gestellt wurden. Welche Beweggründe hatte diese Entscheidung?
Prof. Halm: Der Religionsmonitor stellt noch viel mehr Fragen zur Religiosität. Mir ist kein Forschungsprojekt bekannt, das hier differenzierter und ausführlicher vorgeht, und das länderübergreifend ist. Wir haben für unsere Studie diejenigen Fragen zur Religiosität ausgewertet, die für unsere Themenstellung von Belang waren. Der Religionsmonitor 2017 wird von unterschiedlichen Autoren mit unterschiedlichen Fragestellungen ausgewertet, insgesamt mit Bezug auf eine Fülle von Daten, wie etwa im letzten Frühjahr zum Engagement für Geflüchtete.
IslamiQ: Muslime und Frömmigkeit werden als eine gefährliche Kombination gesehen, auch das ist ein Befund der Studie. Wie kann die Angst vor der muslimischen Religiosität abnehmen?
Prof. Halm: Gefährlich würde ich nicht sagen – nur fördert eine hohe Religiosität die Sozialintegration nicht. Dem kann die Gesellschaft durch größtmögliche Liberalität und interkulturelle Öffnung begegnen. Dies ist dann aber eben auch eine identitätspolitische, nicht nur eine teilhabepolitische Frage. Und ob größtmögliche interkulturelle Öffnung und Diskriminierungsfreiheit alle Teilhabehürden beseitigt, halte ich für diskussionswürdig. Unsere Ergebnisse für Großbritannien deuten aber zumindest an, dass man auf diese Weise viel an Gleichstellung erreichen kann. Aber davon abgesehen: Die wesentliche Erkenntnis der Studie ist ja, wie wenig Einfluss die muslimische Religionszugehörigkeit eigentlich auf die Sozialintegration hat, ganz im Gegensatz zur verbreiteten öffentlichen Wahrnehmung.
IslamiQ: Im europäischen Vergleich schneidet die Integration der Muslime in Deutschland besser ab. Woran liegt das?
Prof. Halm: Das gute Abschneiden Deutschlands gilt ja insbesondere für Einkommen und Beschäftigung. Der inzwischen für Einwanderer auch mit kürzeren Aufenthaltsdauern offene Arbeitsmarkt, aktive Maßnahmen der Arbeitsmarktförderung für Einwanderer sowie die verbesserte Anerkennung von Berufsabschlüssen sollten hier eine Rolle spielen.
IslamiQ: Welche Forderungen stellen Sie aufbauend auf die Ergebnisse als Folge der Studie auf?
Prof. Halm: Zunächst zeigt sich ja, dass eine aktive Gestaltung der Einwanderungswirklichkeit Früchte trägt. Diesen Weg werden wir aber nur weiter gehen können, wenn sich ein gesellschaftlicher Konsens verfestigt, dass wir faktisch in superdiversen Gesellschaften leben und auf Dauer leben werden. Diese Gesellschaften müssen wir gemeinsam gestalten und tatsächliche Missstände ehrlich und nüchtern angehen, anstatt über Wahrnehmungen und Deutungshoheiten zu streiten.
Das Interview führte Esra Ayari.