Die Bundestagswahlen stehen vor der Tür. Vor allem Muslime wissen nicht, wen sie wählen sollen. IslamiQ hat um die Einschätzung von Muslimen gebeten. Heute: Ömer Igac.
IslamiQ: Werden die Bedürfnisse der Muslime von den hiesigen Parteien ausreichend beachtet?
Ömer Igac: Der Islam steht definitiv im Mittelpunkt der diesjährigen Wahlen. Hierbei geht es leider viel weniger um die Bedürfnisse und das Miteinander, als um die Vorurteile und Ängste. Vor allem die Bedürfnisse der kopftuchtragenden Musliminnen werden von fast keiner Partei angegangen. Viele von ihnen finden keine Partei, die sich für Gleichberechtigung und gegen Fremdenfeindlichkeit, wie etwa bei ihrer Jobsuche, einsetzen. Man kann Kopftuchträgerinnen nicht Unterdrückung vorwerfen und ihnen anerkannte Berufe verweigern, für die sie sich jahrelang qualifiziert haben.
IslamiQ: Oft wird den Parteien vorgeworfen, dass sie während des Wahlkampfes antimuslimische Ressentiments bedienen, um auf Stimmenfang zu gehen. Wie haben Sie die letzten Monate erlebt?
Igac: Der weltweit ansteigende Populismus ist auch beim Wahlkampf stark zu spüren. Ressentiments und Vorurteile werden mehr denn je mit der Hoffnung für mehr Stimmen genutzt. Das große TV-Duell bzw. die Fragen haben deutlich gezeigt, dass der Fokus bei den Themen Flucht, Migration, Islam und Türkei lagen. Hiesige Themen wie Bildung, Familie, Armut, Digitalisierung, soziale Gerechtigkeit usw. wurden kaum bis gar nicht debattiert. Die allgemeine Darstellung bestimmter Gruppen als Kriminelle oder Schmarotzer ist auch in der Gesellschaft spürbarer geworden. Vor allem Deutschtürken und Flüchtlinge stehen im Fokus. Auf der einen Seite werden Menschen als Agenten und der „lange Arm der Türkei“ betitelt und auf der anderen Seite als potentielle Terroristen. Das trägt dazu bei, dass Ressentiments und Vorurteile weiter verstärkt werden. Der Ton um und über Migranten hat sich seit den letzten Wahlen deutlich verschärft.
IslamiQ: Welche Partei wird Ihrer Meinung nach bei dieser Bundestagswahl erfolgreich werden und welche nicht?
Igac: Ich denke, dass wir einen Erfolg der CDU und der FDP erwarten können, sowie einen Nichterfolg der SPD, Grünen und Linken. Die spannendste Frage ist, ob die Grünen es in den Bundestag schaffen und wie viel Prozent die AfD auf Bundesebene bekommen wird. Also, ob es insgesamt für eine große Koalition noch ausreicht oder wir dieses Mal eine Schwarz-Gelbe oder gar eine komplett schwarze Regierung bekommen werden.
IslamiQ: Wie schätzen Sie den Wahlausgang für die islamfeindliche AfD ein?
Igac: Es ist zu erwarten, dass die AfD nach zahlreichen Landtagen, auch in den Bundestag einziehen wird. Laut den aktuellsten Umfragen könnte die AfD sogar die drittstärkste Partei im Bundestag werden. Das wäre definitiv ein riesiges Problem. Leider profitiert die AfD bei populistischen Themen am meisten. Ich glaube, dass die AfD um die 10% bekommen wird, hoffe jedoch auf deutlich weniger. Wenn allerdings eine ähnlich hohe Zahl wie bei den Umfragen rauskommt, steht vor allem für die Migranten und Muslime eine schwierige Zeit mit einer AfD als drittstärkste Partei im Bundestag bevor.
IslamiQ: Was erhoffen Sie sich nach der Bundestagswahl im September?
Igac: Ich wünsche mir, dass sich die Situation etwas beruhigt und endlich miteinander und nicht übereinander diskutiert wird. Die Pauschalisierungen müssen beendet und über reale und hiesige Probleme debattiert werden. Sowohl die muslimischen Gemeinden als auch die politischen Parteien müssen wieder einen Schritt zueinander machen. Wir brauchen noch viel Aufklärungsarbeit auf beiden Seiten, da mit sehr viel Unwissenheit hantiert wird.