Die Bundestagswahlen stehen vor der Tür. Vor allem Muslime wissen nicht, wen sie wählen sollen. IslamiQ hat um die Einschätzung von Muslimen gebeten. Heute: Ali Baṣ.
IslamiQ: Werden die Bedürfnisse der Muslime von den hiesigen Parteien ausreichend beachtet?
Ali Baṣ: Sehr unterschiedlich, wenn man die islamfeindliche AfD mal außen vorlässt. Da muss man zwischen der von einigen politischen Kräften oft populistisch angeheizten Debatte auf Bundesebene und dem sachlich-politischen Handeln in den Ländern unterscheiden, welche hier die Handlungskompetenz in Sachen Religionspolitik haben.
So hat es in NRW unter einer rot-grün geführten Regierung u.a. den ersten islamischen Religionsunterricht in Deutschland gegeben, das erste Bestattungsgesetz, welches auch muslimischen Gemeinschaften eigene Friedhöfe ermöglicht, sowie die Abschaffung des Kopftuchverbots für muslimische Lehrerinnen.
Allerdings braucht es auch eine Lobbyarbeit von muslimischer Seite, die Muslime als Teil der deutschen Gesellschaft versteht und sich dabei den Herausforderungen stellt. Da ist bei einem Teil der islamischen Religionsgemeinschaften derzeit innerer Rückzug in die 80er Jahre angesagt, auch vor dem Hintergrund der Türkeidiskussion. Das halte ich für problematisch.
Interessanterweise entwickelt sich derzeit eine lebendige muslimische Zivilgesellschaft, die schon öfter gute Impulse gegeben hat, wie z.B. muslimische Fraueninitiativen bei der Diskussion um die Abschaffung des Kopftuchverbots.
IslamiQ: Oft wird den Parteien vorgeworfen, dass sie während des Wahlkampfes antimuslimische Ressentiments bedienen, um auf Stimmenfang zu gehen. Wie haben Sie die letzten Monate erlebt?
Baṣ: Die Debatte im Wahlkampf signalisiert größtenteils Misstrauen gegenüber Muslimen, besonders in Kombination mit der Flüchtlingsthematik und der inneren Sicherheit. Schaut man sich die letzten TV-Duelle an, scheint es derzeit kaum andere Themen zu geben. Ich selber erlebe als Politiker mit muslimischem Hintergrund übrigens nicht nur im Wahlkampf offene Anfeindungen und Verdächtigungen.
IslamiQ: Welche Partei wird Ihrer Meinung nach bei dieser Bundestagswahl erfolgreich werden und welche nicht?
Baṣ: Ich vermute, dass die Union stärkste Kraft vor der SPD werden wird. Für mich ist jedoch spannender wer Platz 3 holen wird. Da gibt es derzeit ein knappes Rennen zwischen Grünen, Linken, FDP und AfD.
IslamiQ: Wie schätzen Sie den Wahlausgang für die islamfeindliche AfD ein?
Baṣ: Die AfD-Strategie mit Rassismus und unsäglichen Tabubrüchen laufend in die Medien zu kommen, schien lange aufzugehen, wenn man sich die letzten Umfragen anschaut. Allerdings kommt dabei auch immer mehr der harte rechtsextreme Kern dieser Partei zum Vorschein. Das könnte letztlich einige Wähler davon abhalten sie zu wählen. Um die AfD möglichst klein zu halten müssen wir verstärkt zur Wahl mobilisieren. Wer hier noch in der muslimischen Community aktiv zum Wahlboykott aufruft, handelt verantwortungslos.
IslamiQ: Was erhoffen Sie sich nach der Bundestagswahl im September?
Baṣ: Nach der Wahl müssen wir raus aus dem Wahlkampfmodus und ran an die Lösung der Probleme. Für mich sind das die Fragen nach der offenen und freien Gesellschaft, die Bekämpfung des Rassismus, soziale Gerechtigkeit, die Digitalisierung und der Klimaschutz.