Muslime zu den Bundestagswahlen

„Der Wahlkampf ist teilweise menschenverachtend“

Die Bundestagswahlen stehen vor der Tür. Vor allem Muslime wissen nicht, wen sie wählen sollen. IslamiQ hat um die Einschätzung von Muslimen gebeten. Heute: Merve Gül.

16
09
2017
Merve Gül © privat
Merve Gül © privat

IslamiQ: Werden die Bedürfnisse der Muslime von den hiesigen Parteien ausreichend beachtet?

Merve Gül: Das kommt darauf an, wie man die Bedürfnisse der Muslime definiert. Und diese Frage sollten wir in den Fokus stellen. Was sind denn die Bedürfnisse der Muslime und unterscheiden sie sich von denen der Mehrheitsgesellschaft? Ich würde sagen nein, wenn es um Themen wie Bildungsgerechtigkeit und die soziale Marktwirtschaft geht. Ich würde sagen ja, wenn es um Chancen für Wohnraum und auf dem Arbeitsmarkt geht. Klar sind viele Parteien für Chancengleichheit. Aber gerade am Beispiel der Frauenquote wird klar, dass hier ein separates muslimisches Bedürfnis existiert: Frauen mit einem Kopftuch bringt die Frauenquote überhaupt nichts, obwohl sie auch Frauen sind. Wenn eine Frau aufgrund eines Stück Stoffs noch nicht einmal ins Unternehmen kommt, kann sich die Frage nach einer Führungsposition überhaupt nicht stellen. Und die jüngste Studie zur Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt zeigte ebenfalls: von der Wohnungsknappheit sind wir alle betroffen, nur Muslime mit andersklingendem Namen sind stärker betroffen. Daran ändert sich auch nichts, wenn es ausreichend Wohnungen gibt.

Was ich damit sagen möchte ist folgendes: wir Muslime sind keine besondere Spezies, sondern definieren uns und unsere Bedürfnisse selbst, weshalb wir in vielen etablierten Parteien eine Heimat finden können. Allerdings hat die Möglichkeit der Selbstdefinition ihre Grenzen und hier sind Veränderungen erforderlich, die man nur durch langfristige und gute Lobbyarbeit hinkriegt.

Merve Gül ist Unternehmensjuristin, Mulitplikatorin und glaubt an den Rechtsstaat.

IslamiQ: Oft wird den Parteien vorgeworfen, dass sie während des Wahlkampfes antimuslimische Ressentiments bedienen, um auf Stimmenfang zu gehen. Wie haben Sie die letzten Monate erlebt?

Gül: Ich muss zugeben, dass ich mir das TV Duell nicht angeschaut habe. Aber hier soll es aufgrund der schlechten Moderation fast nur um das Thema „die Islamisierung des Abendlandes“ gegangen sein. Ansonsten empfand ich die letzten Monate unabhängig von antimuslimischen Ressentiments aufgrund einiger Aussagen von Politiker*Innen generell menschenverachtend. Ich möchte aber auch hinzufügen, dass wir dem nur entgegenwirken können, wenn wir anwesend und sichtbar sind. Das muss nicht unbedingt in einer TV Show als Gast sein, sondern reicht auch aus, wenn man sich in die erste Reihe mit ein paar Freunden als Schwarzköpfe einer Podiumsdiskussion setzt. Das sind nicht die spaßigsten Veranstaltungen, aber es gehört zur Pflicht zu sagen: „Ich bin hier und du kannst nicht über mich herziehen, während ich anwesend bin.“ Ist man anwesend, bemühen sich viele um Differenziertheit.

IslamiQ: Welche Partei wird Ihrer Meinung nach bei dieser Bundestagswahl erfolgreich werden und welche nicht?

Gül: Ganz klar die CDU und durch einen Wiedereinzug in den Bundestag die FDP. Die Grünen haben sich ihre Sitze massiv verspielt.

IslamiQ: Wie schätzen Sie den Wahlausgang für die islamfeindliche AfD ein?

Gül: Die AfD wird leider in den Bundestag einziehen und momentan könnte sie sogar die stärkste Oppositionspartei bilden. Schade, denn vor einigen Monaten lag die AfD laut Umfragewerten in ihrem Rekordtief. Die Partei hat im Wahlkampf vor allem auf die Eskalationsrhetorik gesetzt und ihre PR bekommen. So musste sie sich wenig mit Inhalten auseinandersetzen, sondern eher mit den Aussagen ihrer Kandidaten. Da kann man als Politiker*In einer anderen Partei zwar gut draufhauen, dann verlässt eine Weidel aber ganz gediegen eine Talkshow und sagt die nächste ab, weil sie es nicht einsieht, dass sie für die Aussagen ihrer Parteifreunde einstehen muss. Aufgrund einer menschlichen Trotzreaktion der potenziellen Wähler steigen dann wieder die Umfragewerte.

IslamiQ: Was erhoffen Sie sich nach der Bundestagswahl im September?

Gül: Dass Ruhe einkehrt. Aber ich bin mir nicht sicher, ob das mit der AfD im Bundestag so klappt. Ich hoffe auch, dass wir uns wieder um die wichtigen Dinge in unserem Land kümmern und nicht um AfD-Kandidaten, Hipster oder Beschneidungen. Wir tragen als Deutschland nationale und internationale Verantwortung. Ich hoffe, dass die Politiker*Innen sich bemühen dieser Aufgabe am besten gerecht zu werden.

Leserkommentare

Dilaver sagt:
Wahlkampf in Deutschland war noch nie so asozial und oberflächlich wie in den Jahren zuvor. Nichtsdestotrotz werden wie immer dieselben 5 Parteien, wenn auch mit deutlichen Stimmverlusten, in den Bundestag einziehen plus die rechtspopulistische AfD. Politik braucht Liyakat - wie man es treffend auf Türkisch sagt - anstatt hohlen Populismus. Die Politiker sollten lieber froh sein, dass in Deutschland trotz Politikverdrossenheit unter einem Drittel der Bevölkerung politische sowie wirtschaftliche Stabilität herrscht. Ohne wirtschaftliche Stabilität keine politische Stabilität: Ist es einmal mit der wirtschaftlichen Stabilität vorbei, rächt sich das auch an der Wahlurne.
16.09.17
15:58
Frederic Voss sagt:
Eine Unternehmensjuristin empfiehlt langfristige und gute Lobbyarbeit, indem man sich z.B. als Schwarzköpfe bei Podiumsdiskussionen auffällig in die erste Reihe setzt oder an TV-Shows teilnimmt und pflichtbewußt Präsenz zeigt um gesellschaftliche Veränderungen bzw. eine Gesellschaftsveränderung durchzusetzen. Die Kopftuch-Religionsuniform versucht sie hier als belangloses Stück Stoff zu bagatellisieren, obwohl diese vielmehr für einen Kulturkampf genutzt und eingesetzt wird. Kopftuch, Kopftuch über alles...über alles in der Welt! Ich würde das sofort begrüßen, wenn auch die Männer ihren unbekleideten Kopf mit einem Stück Stoff abdecken - aus Gründen frommer, islamischer Keuschheit und inniger Gottesverehrung.
17.09.17
1:48
Charley sagt:
Gute, differenzierte Sicht. -Kleine Frage: Wenn er weiß, was "menschenverachtend" ist (und wirklich entschieden definiert er es nicht), was ist dann für ihn "menschenachtend"? - Natürlich ist es individualitatsmissachtend, wenn nicht genau der einzelne angeschaut und respektiert wird, aber - bitteschön - wo in der islamischen Religion und Kultur wird denn der Einzelne, die Individualität selbst respektiert und geachtet? Die allgegenwärtige, Autorität heischende Umma setzt als Ideal die Bestimmung des einzelnen durch die Gruppenzugehörigkeit. Die Niveaulosigkeit, den Einzelnen über seine Gruppenzugehörigkeit zu definieren ist diejenige geistige Simplizität, die Herr Merve Gül beklagt, die aber seiner eigenen Kultur und Religion ganz "selbstverständlich", nicht hinterfragt zu eigen ist. Wenn er mit dem Zeigefinger auf andere zeigt, zeigen 3 Finger auf ihn selbst!
17.09.17
9:26
Manuel sagt:
Wie menschenliebend der Islam ist, kann man sich in den islamischen Ländern ansehen, besonders die nicht-moslemischen Minderheiten erfahren das dort jeden Tag.
17.09.17
18:13
Dilaver sagt:
@Manuel Pikant, dass Sie die Situation von nichtmuslimischen Minderheiten in muslimisch geprägten Ländern - wo übrigens auch die muslimischen Mehrheiten von den autoritären Eliten unterdrückt werden - anprangern, wo Sie doch selbst den Muslimen hier in Deutschland bei jeder Gelegenheit die Religionsfreiheit selbst in banalsten Angelegenheiten absprechen. Mit Ihren unzweifelhaft gehässigen Kommentaren unterscheiden Sie sich nicht von einem Antisemiten, der permanent gegen Juden lamentiert. Gratuliere! Gehen Sie zum Psychotherapeuten und lassen Sie sich behandeln. Andernfalls sollte man Sie zwangseinweisen.
19.09.17
0:52
Manuel sagt:
@Dilaver: Würde Ihnen nicht schaden, vielleicht lösen Sie sich dann von Ihrem AKP-Islamismus und Ihrem Kalifen Erdogan. Ach und weil Sie ausgerechnet den Antisemitismus ansprechen, dieser ist derzeit vor allem in der Islamischen Welt zu finden, der Hass auf Israel ist dort auch sehr weit verbreitet. Zuersteinmal vor der eignen Tür kehren und dann können Sie austeilen, aber ich weiß sowas ist halt schwierig für AKP-Islamisten.
19.09.17
18:15
Frederic Voss sagt:
Wenn hier islamisch vereinnahmte Kommentar-Schreiber islamkritische Menschen mit Gewalt zu psychotherapeutischen Aktivitäten zwingen möchten, dann müßte das aber vorrangig mit Leuten geschehen, die sich in Zuständen religiösen Wahns befinden. Der frühere iranische Staatslenker Chomeini wäre hierfür wohl besonders geeignet gewesen. So sagte er: "Alle, die meinen, der Islam habe nicht die Parole 'Krieg, Krieg, bis zum Sieg' gepredigt, und behaupten, daß dieser Satz nicht im Koran stehe, haben recht. Der Koran fordert noch viel mehr, er verlangt Krieg, Krieg bis zur Aufhebung jeglichen Verderbens." Und so handelte er dann entsprechend: auch mit chemischen Kampfstoffen Krieg führen, 8 Jahre lang auf brutalste Weise mit mindestens 500.000 Toten allein auf iranischer Seite. Mindestens 12.000 Hinrichtungen unter seiner Herrschaft. Aufrufe zur Bespitzelung und Auslieferung von Nachbarn und Familienmitgliedern. Befehligung viele Auftragsmorde im Ausland. . Im Jahr 2008 war die Rede von insgesamt 33.700 Gefangenen, die hingerichtet wurden. Der Messias-Kult um seine Person war atemberaubend. Vielleicht hätte eine rechtzeitige psychiatrische Betreuung viel Leid verhindern können.
20.09.17
0:45
Ute Fabel sagt:
@ Dilaver: "Gehen Sie zum Psychiater und lassen Sie sich behandeln" Den Wahrheitsgehalt des Islams zu hinterfragen ist also eine Geisteskrankheit? Diese Einschätzung sagt einiges aus, wie es Moslems außerhalb von wohlklingenden Sonntagsreden wirklich mit Meinungsvielfalt halten. Kein Wunder, dass Moslems so denken: Der Hass gegenüber Ungläubigen zieht sich durch schon den Koran wie ein roter Faden!
20.09.17
7:52
Charley sagt:
@Dilaver: Ihr unverblümtes Trommeln für eine Oligarchie ist peinlich. Wer entscheidet eigentlich über Kompetenz einer "fähigen Führerschaft". Auch ihr weiteres Denken ("Zwangseinweisung") offenbart ein durchaus faschistisches Denken. Die Brutalität und Ungenauigkeit ihres Denkens ist für mich erschreckend!
20.09.17
10:34
Johannes Disch sagt:
Wenn unser Wahlkampf menschenverachtend war, was war denn erst der Wahlkampf Erdogans zu seinem Referendum? Aber davon abgesehen: Dieser deutsche Wahlkampf war nicht menschenverachtend, sondern einfach nur müde und langweilig. (Ich habe hier übrigens deshalb eine Weile nicht mehr gepostet, weil ich im Wahlkampf stark eingebunden war. Und wenn jetzt einer frägt, für welche Partei?? Na, für eine, die ziemlich Stimmen verloren hat. Das lässt mehrere Interpretationen zu. *smile*). Wegen des Ergebnisses der AfD sollte man sich nun nicht zu sehr ins Hemd machen. Eine Partei mit 13% wird dieses Land nicht verändern. Zudem zerlegen sich die Rechten in aller Regel schnell selbst, wenn sie praktische Politik machen müssen.
02.10.17
21:25