Erstmals seit über 50 Jahren zieht eine Partei rechts der Union in den Bundestag, die SPD stürzt völlig ab. Merkel kann Kanzlerin bleiben. Muslimische Vertreter zeigen sich besorgt.
Der steile Aufschwung der Rechtspopulisten bei der Bundestagswahl beschert der deutschen Politik eine historische Zeitenwende. Bundeskanzlerin Angela Merkel kann zwar voraussichtlich vier weitere Jahre regieren – aber nur mit dem größten Verlust in der Geschichte Union und möglicherweise dem Wagnis einer Jamaika-Koalition mit FDP und Grünen.
Der bisherige Koalitionspartner SPD stürzt auf ein Rekordtief und strebt in die Opposition. Und die AfD triumphiert – erstmals seit 1961 sitzt nun eine rechtsextreme Partei im Parlament. Als Profiteur der Schlappe der großen Koalition wird sie drittstärkste Kraft. Die CSU will weiteren AfD-Erfolgen nun mit einem konsequenteren Rechts-Kurs begegnen.
Muslimische Vertreter zeigen sich besorgt über den Ausgang der Bundestagswahlen und dem damit zusammenhängenden Einzug der AfD in den Bundestag.
„Hand in Hand gegen Rechts“
„Der Einzug der ausländer- und islamfeindlichen AfD in den Bundestag ist ein Albtraum, aber auch eine Chance, die Demokratie zu stärken. Diese Wahl ist nicht das Ende unserer Bemühungen, sondern der Anfang“, kommentiert Bekir Altaş, Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG), die Wahlergebnisse.
Es liege an der Gesamtgesellschaft und an der Politik, AfD-Wähler davon zu überzeugen, dass mit rassistischem und nationalistischem Gedankengut keine Zukunft möglich sei. „Dass die Hetzer nun im Parlament sitzen, bietet eine gute Gelegenheit, ihre perfide und durchsichtige Strategie aufzudecken“, so Altaş weiter.
Die islamischen Religionsgemeinschaften müssen sich viel deutlicher als bisher in Deutschland und Europa verorten und beheimaten – in Wort und Tat. „Wir dürfen uns von niemanden einreden lassen, wohin wir gehören und wohin nicht. Wir stehen in der Verantwortung, dieses Verständnis an jedes einzelne Mitglied heranzutragen und noch stärkere Signale an die Gesamtgesellschaft zu senden“, erklärt Altaş.
„Wir alle tragen eine historische Verantwortung“
Auch der Vorsitzende des Islamrates, Burhan Kesici, äußerte sich anlässlich des Wahlausgangs. „Der Ausgang der Wahlen zum Bundestag stellt eine Zäsur in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland dar. Zum ersten Mal sind Rechtsextremisten in den Bundestag eingezogen. So schrecklich diese Entwicklung auch ist, dürfen wir uns nicht von dem Ergebnis einschüchtern lassen“, erklärt Kesici.
Die AfD habe es geschafft, dass sie von ca. 6 Millionen Wählerinnen und Wählern ihre Zustimmung zu bekommen. „So erdrückend dieses Bild auch ist, stellt sie eine neue gesellschaftliche Herausforderung dar, die Protestwähler von den hetzerisch-rhetorischen Verlockungen führender Kräfte der AfD-Politiker zu befreien und ihnen die Realität in Deutschland näher zu bringen. Hier sind vor allem auch Muslime gefordert“, so Kesici.
Von den etablierten Parteien im zukünftigen Bundestag erwarte man, auch keine einzige islamfeindliche oder xenophobe Äußerung im Bundestag zu erdulden, sondern gleich von Beginn an klare Kante zu zeigen. „Wir alle tragen die historische Verantwortung, unter Beweis zu stellen, die richtigen Lehren aus der dunklen Phase der Vergangenheit gezogen zu haben“, betonte Kesici.
„Muslime sind stark verunsichert“
Auch der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD), Aiman Mazyek, äußerte sich zu den Ergebnissen der Bundestagswahlen. „Wir Muslime sind stark verunsichert“, sagte Mazyek. „Es gibt nicht wenige, die Angst haben vor den Entwicklungen.“ Damit meine er etwa Übergriffe auf Muslime, aber auch eine niedriger gewordene Hemmschwelle für Äußerungen, die gegen Muslime oder Minderheiten gerichtet seien. Früher habe man sich geschämt, gegen Minderheiten zu „hetzen“ – das sei mittlerweile nicht unbedingt mehr so. Mazyek sagte, er vermisse eine gesellschaftliche Ächtung solcher Äußerungen. „Die AfD setzt die Axt an unsere freiheitliche Demokratie an.“
Es gelte nun, sich mit dem Menschenbild der AfD auseinanderzusetzen: eine Verachtung von Minderheiten, mangelnde Solidarität und eine Spaltung der Gesellschaft, sagte Mazyek. Zudem müsse deutlich gemacht werden, dass man Ängste der Bevölkerung nicht ignoriere. Politiker anderer Parteien dürften zudem nicht „AfD-Rhetorik nachplappern“, sondern sollten zusammenstehen. (KNA, dpa, iQ)