In Deutschland leben mehr als fünf Millionen Muslime. Wie viele kennen Sie? In der neuen Serie stellen wir querbeet Menschen vor, die eine Gemeinsamkeit teilen: Sie sind Teil der Umma Deutschlands. Heute Amina Luise Becker.
IslamiQ:. Was bedeutet Familie für Sie?
Becker: Vertrautheit, Heimat, Wärme, Rückhalt. Aber auch Sehnsucht, denn in unserer Zeit haben wir so ziemlich alles was Familie ausmachen sollte in Frage gestellt. Gesellschaftliche Zwänge haben uns verändert, so dass Familie oft schon ein selten erlebtes, flüchtiges Glück bedeutet. Zeit und Ruhe füreinander fehlen oft, schlechtes Gewissen plagt alle. Die Kinder bei der Tagesmutter, die Oma im Altenheim.
Ich hätte es manchmal lieber wie zu Großmutters Zeiten: vertrautes, gemeinsames Leben. Wie sollen die Kinder das Auf und Ab des Lebens kennenlernen, wenn die Großeltern, Tanten und Onkel nicht dabei sind? Türen fallen ins Schloss und man sieht sich erst nach Wochen oder Monaten wieder. Der Individualismus ist uns aber eben auch ein Wert, den wir nicht mehr missen wollen und wir scheinen beides nicht zusammen zu bringen.
IslamiQ: Der schönste Moment in Ihrem Berufsleben?
Becker: Da gibt es auch mehrere. Vielleicht wenn ich – was nicht zu oft vorkommt – mit einer eigenen Unterrichtsstunde oder einem Vortrag zufrieden bin. In Freiburg auf einem Straßenfest sagte mir einmal eine Zuhörerin: „So habe ich noch nie vom Islam gehört; damit könnte man sich ja geradezu anfreunden“. Oder auch die Frage eines sehr jungen Mädchens: „Jetzt sitze ich schon drei Wochen in diesem Kurs und frage mich, was soll ich hier, was hat das mit meinem Leben zu tun!“ und sie dadurch mein Gefühl bestätigte, dass sich in der religiösen Erziehung etwas ändern muss.
IslamiQ: Wie würden Ihre Freunde Sie beschreiben?
Becker: Als Freundin, die immer alles ergründen will.
IslamiQ: Ihr Lebensmotto?
Becker: Als Kölnerin würde ich sagen: Leve un leve loße! (Leben und leben lassen!). Ich denke, das kommt einem islamischen Prinzip sehr nahe. Interesse an anderen Auffassungen und Meinungen zeigen, im Zweifelsfalle könnte der andere bessere Argumente haben. Dieser Grundsatz findet sich ebenfalls in der islamischen Rechtsphilosophie und ist eine Voraussetzung um Frieden zu halten. Das sollten wir in unserer sogenannten „zivilisierten“ Welt neu entdecken.
IslamiQ: Was ist Ihr größtes Ziel in diesem Leben? Was tun Sie, um es zu erreichen?
Becker: Das Erhalten meiner Neugierde am Leben, solange es Gott gefällt. Denken, lesen, studieren in der Hoffnung auf Lichtblicke. „Ah, das hab ich jetzt schon zigmal gelesen und jetzt geht mir endlich ein Licht auf“. Das sind Glücksmomente, Adrenalin pur – oder wie man heute sagt: Gänsehaut.
IslamiQ: Was wünschen Sie sich für die Zukunft? Für sich selbst, für Ihre Familie, für alle Muslime in Deutschland?
Becker: Nun, persönlich wünsche ich mir ganz profan Gesundheit bzw. Gesundung, denn ohne eine gewisse körperliche und geistige Kraft leidet die Produktivität und die Lust an Vielem. Dann wünsche ich mir mehr Möglichkeiten, wie man die Jugend adäquater auf die brennenden Probleme unserer Zeit ansprechen und dieses Sprechen in Korrelation zur islamischen Denkweise setzen kann. Der Islam hätte eine Menge Ansätze zu Problemlösungen unserer Zeit zu bieten, aber für zu wenige Zeitgenossen scheint das dringlich zu sein.
Wir brauchen eine neue Sprache um die islamischen Denkweisen deutlich zu machen. Das ist gerade in unserer Gegenwart sehr schwierig, wo jeder meint, er wisse was Islam ist, aber in Wirklichkeit weiß es in Europa kaum eine Hand voll Menschen wirklich. Medien und Politik haben es mehrheitlich entschieden. Der Islam hat kein gutes Image. Natürlich trägt dafür nicht nur die eine Seite Verantwortung. Den Muslimen und Musliminnen würde ich einen riesengroßen Wecker wünschen, mit einem mächtig schrillen Ton.