Autoren schreiben hunderte Seiten. Doch was passiert, wenn sie ihr Buch auf seine Essenz herunterbrechen müssen? Unsere Serie „Nachgefragt“ liefert Antworten. Heute Susanne Billig und ihr Buch „Die Karte des Piri Re´is“.
IslamiQ: Wem würden Sie Ihr Buch „Die Karte des Piri Re´is“ gerne schenken und warum?
Susanne Billig: Gerne würde ich mein Buch Menschen schenken, die ganz allgemein an historischen und wissenschaftshistorischen Themen interessiert sind. Natürlich gibt es schon viele populärwissenschaftliche Bücher, die sich mit den Errungenschaften des arabisch-islamischen Kulturraums von seiner Entstehung bis in das Mittelalter befassen. Bis in die frühe Neuzeit folgen diese Bücher ihrem Thema jedoch häufig nicht und beschränken sich oft auch auf Astronomie und Medizin. Was – um zwei Schwerpunkte des Buches zu nennen – in den Bereichen Kartografie und Navigation geleistet wurde, ist sehr viel weniger bekannt. Hier hat Prof. Dr. Fuat Sezgin, dessen Forschungsarbeiten ich in dem Buch ja beschreibe, bahnbrechende und hervorragende Pionierarbeit geleistet – die sehr spannend ist, wie ich finde!
Ich würde mein Buch aber auch gern Menschen schenken, die sich bislang überhaupt keine Gedanken gemacht haben über die Frage, was das Abendland eigentlich mit dem islamisch-arabischen Kulturraum zu tun hat und wie vielfältig die Verbindungen sind. Hier ist viel Aufklärungsarbeit zu leisten und es hat mich darum sehr gefreut, als Wissenschaftsautorin angefragt worden zu sein, die Arbeiten von Fuat Sezgin in kompakter und verständlicher Form einer breiteren Öffentlichkeit vorzustellen.
IslamiQ: Warum ist die Thematik Ihres Buches im Lichte aktueller Debatten wichtig?
Billig: Wir erleben zurzeit eine Feindseligkeit gegenüber Menschen muslimischen Glaubens, deren Ausmaß und Anwachsen mich erschrecken. Diese Feindseligkeit artikuliert sich teils ins grober Hetze, kaum weniger skeptisch stimmt mich aber die ständige Berichterstattung und Problematisierung in seriösen Medien – „Wir haben ein Problem“, lautet die Botschaft allerorten, „und dieses Problem heißt ‚Muslime‘“. Das hat meines Erachtens mit einer ernsthaften, interessierten und meinetwegen auch angemessen kritischen Beschäftigung mit dem islamischen Glauben von Nachbarinnen und Nachbarn oder mit Formen der islamischen Lebensführung in dem Land, in dem man lebt, wenig zu tun. Hier schießt sich vielmehr eine grassierende rassistische Stimmung auf eine Gruppe von Menschen ein, die sich als Sündenbock eignen, um von anderen politischen Fragen, beispielsweise der sozialen Gerechtigkeit, abzulenken.
Warum eignen sich Menschen muslimischen Glaubens dafür? Weil sie in ausreichender Zahl da sind, aber eben auch Minderheit sind, weil man sie im Straßenbild der Großstädte erkennen kann, weil sie begonnen haben, sich selbstbewusst in dritter, vierter Einwanderergeneration zu Wort zu melden und ihre gerechte gesellschaftliche Teilhabe zu fordern, und weil eben mit dem islamischen Glauben ein Punkt der „Andersartigkeit“ konstruiert werden kann. Meines Erachtens sind die Parallelen zum Antisemitismus und Antiziganismus in und vor der dunkelsten Zeit der deutschen Geschichte mit Händen zu greifen.
Das Buch „Die Karte des Piri Re’is“ bewegt sich von diesem aktuellen Thema natürlich weit entfernt, aber kann doch ein Beitrag dazu sein, Menschen hier im Abendland noch einmal daran zu erinnern, wie innig und vielfältig die Verbindungen zum islamisch-arabischen Kulturraum sind und dass es zwischen dem Vorderen Orient und dem Abendland Kontinuitäten, einen Fluss der Kontakte, des Austausches von Ideen und Gedanken und Erfindungen gegeben hat. Wir sind einander nicht fremd, sondern eng miteinander verwandt – das ist für mich eine wichtige Botschaft von „Die Karte des Piri Re’is“ in dieser Zeit. An der Arbeit von Fuat Sezgin gefällt mir außerdem, wie detailliert und peinlich genau er diese Kontinuitäten aufzeigen kann – es geht nicht um Ideologie, sondern um exaktes Hinsehen, Untersuchen, Wahrnehmen. Auch das ist heute eine wichtige Botschaft, meine ich.
IslamiQ: „Beim Lesen guter Bücher wächst die Seele empor.“ Warum trifft dieses Zitat von Voltaire auf Ihr Buch zu?
Billig: Das ist ein sehr schönes Zitat und so geht es auch mir oft bei guten Büchern. „Die Karte des Piri Re’is“ ist natürlich ein Wissenschaftssachbuch und kein sprachliches oder poetisches Feuerwerk. Die Seele kann aber auch emporwachsen, wenn man etwas liest, das klug ist und wahr und zum richtigen Zeitpunkt geschrieben. Das trifft, so hoffe ich, auf dieses Buch zu. Von dem ich mich übrigens scheue, es „mein Buch“ zu nennen, weil es auf der Arbeit von Fuat Sezgin basiert.
IslamiQ: Ihr Buch „Die Karte des Piri Re´is“ in drei Wörtern zusammengefasst?
Billig: Schenken Sie mir ein paar Wörter mehr: Naturwissenschaften und Technik des Abendlandes vom Mittelalter bis in die frühe Neuzeit fußen auf arabisch-islamischer Wissensvermittlung.
IslamiQ: Eine spezielle Frage an Sie: Wie wurde das heutige Europa von den wissenschaftlichen Leistungen der islamischen Welt beeinflusst?
Billig: In „Die Karte des Piri Re’is“ geht es darum, wie naturwissenschaftliche Errungenschaften aus der islamischen Welt in den Feldern Astronomie, Navigation und Kartografie die entsprechenden Disziplinen im Abendland beeinflusst haben. Fuat Sezgin hat sich in seinem Lebenswerk mit vielen, vielen anderen Bereichen beschäftigt, bis hin zu Botanik oder Musikinstrumentenbau. Überall gibt es vielfältige Einflüsse; die Forschungen dazu füllen Lexikonbände.
Grob zusammengefasst zeigt „Die Karte des Piri Re’is“, dass die berühmte „Zeit der Entdecker“ – als sich Portugiesen, Spanier, Italiener aufmachten, in die Welt zu segeln und ferne Küsten einzunehmen (mit allem kolonialistischen Schrecken, der diesen Reisen folgte) nicht denkbar gewesen wäre ohne mehrere Jahrhunderte intensiver Forschungsarbeiten durch arabisch-islamische Techniker, Wissenschaftler, Erfinder. Die abendländischen „Entdecker“ segelten tatsächlich mit arabischen Karten und mit Hilfe arabischer Lotsen und machten anfangs daraus auch gar kein Geheimnis, wie Quellen zeigen. Erst später wurde dieser Umstand verschleiert, um das Bild eines Abendlandes zu erzeugen, das sich aus eigener Kraft, mit einem kleinen Rückgriff auf die alten Griechen, selbst erfunden und erschaffen hat. Mehrere Jahrhunderte arabischen Wissensflusses hin nach Europa wurden aus dem Gedächtnis gestrichen, so dass es bis heute nötig ist, auf die Kontinuität zwischen arabisch-islamischem und abendländischem Wissen hinzuweisen.