Die „Moschee-Studie“ des österreichischen Außenministers soll den Integrationsprozess der Muslime wiedergeben. Voreingenomme Wissenschaftler, umstrittene Definitionen und Problematisierungen machen die Studie jedoch nur zu einem weiteren Machtinstrument. Ein Beitrag von Murat Gümüş.
Sebastian Kurz hat nachgelegt. Erneut wurde in Österreich durch die Initiative des österreichischen Außen- und Integrationsministers eine Studie über Muslime durchgeführt und in den vergangenen Tagen veröffentlicht. Diesmal ein Bericht über die Rolle von Moscheen für die Integration. In der „Studie“ soll das Integrationspotenzial bzw. die Integrationsaversion von Moscheen gemessen worden sein. Dabei sollen insgesamt 16 Moscheen besucht, mit deren Imamen Gespräche geführt und insbesondere die Freitagspredigten auf ihren integrationsorientierten Gehalt hin unter die Lupe genommen worden sein. Die von Kurz vorgestellten Ergebnisse haben für großes Aufsehen gesorgt. Es hieß, rund die Hälfte der untersuchten Moscheen behinderten die Integration von Muslimen und ein Drittel von ihnen würde zur Radikalisierung beitragen. Kurz kündigte bei der Vorstellung der Studie im Rahmen eines Pressegespräches an, aus den Ergebnissen Konsequenzen zu ziehen und drohte die vermeintlich negativ aufgefallenen Moscheen notfalls zu schließen.
Kurz nach der Veröffentlichung wurde die Studie mit Verweis auf fehlende Wissenschaftlichkeit kritisiert. Tatsächlich leidet die Studie gleich unter mehreren Defiziten, die allesamt zur Beurteilung der präsentierten Ergebnisse hinzugezogen werden müssten, um die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Ehrlicherweise haben die Autoren bereits eingestanden, dass die Studie nicht repräsentativ sei und man auch nur wenig Zeit für deren Umsetzung gehabt hätte. Ob die in ca. einer Woche anstehenden österreichischen Nationalratswahlen den Zeitrahmen beeinflusst haben, bleibt eine spekulative Frage.
Auch was die nötige Unvoreingenommenheit und Objektivität der Studienautoren angeht, fallen gleich mehrere Schieflagen auf. In früheren Interviews wird eine deutliche Abneigung Heiko Heinischs, einem der Co-Autoren, gegenüber gewissen Islamvorstellungen deutlich. Das reicht bis hin zur Forderung nach einem „präventiven Verbot von Kopftüchern in Schulen“, weil es ein Symbol für den politischen Islam sei.[1] Heinischs spricht sich offen gegen islamisch-konfessionelle Schulen und Kindergärten aus, weil sie eine segregierende Wirkung haben würden. Auch hatte er sich zuvor mehrmals ablehnend gegenüber den Religionsgemeinschaften ATIB und Islamische Föderation Wien geäußert.[2] Immerhin sind beide Organisationen Beobachtungsgegenstand der Studie gewesen.
Auch der Österreichische Integrationsfonds (ÖIF), der Herausgeber der Studie, muss sich den Verdacht der fehlenden Unvoreingenommenheit gefallen lassen. Er wurde vor einigen Jahren von Kurz ins Leben gerufen, der eine Koalition nach den Nationalratswahlen mit der offen islamfeindlichen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) nicht mehr ausschließt[3], und wird vornehmlich durch sein Ressort gefördert. Man könnte dem ÖIF aufgrund seiner unübersehbaren ÖVP-Belastung nicht vorwerfen, sich nur von Kurz‘ Integrationsvorstellungen zu nähren. Eine fast schon systematische Einbeziehung von externen Experten für seine Meinungsvielfalt auch aus dem deutschen Kontext lässt sich ohne weiteres feststellen: Da wäre zum Beispiel der Austausch zwischen der Sektionsleiterin des Bereichs Integration in Kurz‘ Ministerium, Susanne Raab mit Zana Ramadani[4], die dem Kopftuch eine ähnliche Bedeutung beimisst wie Springerstiefeln von Rechtsextremisten und es in der Öffentlichkeit gerne verboten sehen würde.[5] Auch holt sich der ÖIF theologischen Rat, wenn es um Wertevermittlung bei der Integration geht. Zu nennen wäre da unter anderem der Besuch einer ÖIF-Delegation, bestehend aus Lisa Fellhofer (Leitung Wissensmanagement im ÖIF), Romed Perfler (Leitung ÖIF-Bereich Werte und Orientierung), Farnaz Beikzadeh Abbasi (ÖIF-Wertetrainerin), und Natalie Herold (Referatsleiterin in der Sektion Integration, BMEIA) unter Führung von ÖIF-Geschäftsführer Franz Wolf bei der selbsternannten und äußerst fragwürdigen „Imamin“ Seyran Ateş.[6]
Zugegeben kann man von keinem Auftraggeber und keinem Autor einer Studie erwarten, unvoreingenommen zu sein. Jede wissenschaftliche Arbeit leidet immer auch unter der Disposition seiner Urheber. Eine absolute Objektivität ist häufig schwierig sicherzustellen. Dieser Schieflage kann nur eine nach wissenschaftlichen Maßstäben aufgesetzte Methodik mit unideologsichen Prämissen in der Hypothesenbildung entgegenwirken. Jedoch sind gerade hier die gröbsten Mängel der Studie auszumachen. Und zwar im Integrationsverständnis der Urheber, die auf den ersten Seiten des Berichtes nachzulesen sind.
Das in der Studie dargelegte Verständnis von Integration behandelt zunächst die Diskussionen um die richtige Definition dieses Begriffes. Zwar wird schon zu Beginn der Abhandlung zum Begriff Integration angemahnt, dass nicht nur die Zugewanderten hier eine Bringschuld haben und die Mehrheitsgesellschaft ihren Teil dazu beitragen muss, indem sie sich öffnet und die teilweise Veränderung der Gesellschafsstruktur akzeptiert. Jedoch knüpfen die Autoren diese Erwartung an bestimmte Vorannahmen und Bedingungen.
Die erste Vorannahme besagt, dass eine Sozialintegration nur dann erfolgreich verlaufen kann, wenn die ‚zu Integrierenden‘ sich nicht als Mitglied eines ethnischen oder religiösen Kollektivs definieren oder das ethnische bzw. religiöse Kollektiv für sie nicht von wichtiger Bedeutung ist. Denn ethnische oder religiöse Kollektive würden zu einer nachhaltigen Segmentierung der Gesellschaft führen und eine erfolgreiche Integration gefährden. Weiter könnte eine solche Segmentierung stetige innere Anspannungen in der Gesamtgesellschaft begünstigen. Auf den Kontext der Forschungsfrage übersetzt würde das bedeuten, dass eine Zugehörigkeit zu einer islamischen Religionsgemeinschaft ein Kollektiv erzeugen oder diesen verstetigen würde, der dann dazu führt, dass die Zugewanderten sich nicht weiter integrieren können und die Verstetigung der Zugehörigkeit zu den Religionsgemeinschaften zu gesellschaftlichen Konflikten führen könnte.
„Mit anderen Worten: Integrationsmaßnahmen sollten emanzipatorische Aufklärung fördern, das Individuum in den Mittelpunkt stellen und die Grenzen und Problematiken kollektiver Identitäten aufzeigen.“[7] Das aber bedeutet nichts anderes als: Eine pluralistische Gesellschaft kann nur dann funktionieren, wenn es keine primären kollektiven ethnischen bzw. religiösen Gruppenzugehörigkeiten gibt, sondern Menschen sich individuell religiös oder ethnisch definieren.
Dieser Ansatz ignoriert, dass eine Gesellschaft immer aus dem Zusammenschluss mehrerer kleiner oder großer Kollektiven besteht. Dazu zählen unterschiedliche Religionsgemeinschaften oder ethnische Gruppen, genauso wie Interessengruppen, Weltanschauungsgemeinschaften, Gewerkschaften, Parteien, usw. Das Ausschlaggebende für eine funktionierende Gesellschaft ist jedoch, dass man sich auf bestimmte Prinzipien über das Zusammenleben einigt und alle gemeinsam sich zur Einhaltung dieser Prinzipien verpflichten. Im Falle Deutschlands und Österreichs und vieler weiterer Staaten sind es die Verfassungen, die allen Gruppen in der jeweiligen Gesellschaft bestimmte Grundrechte zusichern. Dazu zählen unter anderem auch die kollektive und individuelle Religionsfreiheit.