Die „Moschee-Studie“ des österreichischen Außenministers soll den Integrationsprozess der Muslime wiedergeben. Voreingenomme Wissenschaftler, umstrittene Definitionen und Problematisierungen machen die Studie jedoch nur zu einem weiteren Machtinstrument. Ein Beitrag von Murat Gümüş.
Weiter verkennt dieser Ansatz auch, dass es in der Regel nicht die Minderheiten in einer Gesellschaft sind, die soziale Anspannungen hervorrufen, sondern häufig sich auf das Establishment stützende Subjekte, die auf eine irrationale Art und Weise ihre Privilegien durch die Minderheit gefährdet sehen. Besonders gut zu beobachten ist das derzeit in Deutschland und Österreich. In den Wahlkämpfen in beiden Staaten werden die Themenbereiche innere Sicherheit und Ressourcenverteilung häufig im Kontext der Migration behandelt. Kurz ist ein Paradebeispiel hierfür. Immer wieder sieht er sich genötigt, sich zu diesem Themenbereich zu äußern und notfalls von den eigenen Bediensteten manipulierte Studien aufzugreifen, die Muslime in einem schlechten Licht erscheinen lassen, um dann mit Sanktionsdrohungen Stimmung gegen sie zu machen, mit der Absicht, die Unterstützung von ‚besorgten Bürgern‘ zu ergattern. Zahlreiche Studien darüber, dass insbesondere Menschen mit Migrationshintergrund und darunter vor allem Muslime es auf dem Arbeitsmarkt oder bei der Wohnungssuche besonders schwierig haben, sind als weiterer Beweis in diesem Kontext bedeutend relevant.
Weiter werden vermeintliche Probleme, die durch kollektive Gruppenzugehörigkeiten hervorgerufen werden könnten, hier nur im Zusammenhang von Muslimen problematisiert. Andere religiöse Gruppenzugehörigkeiten wie katholisch, jüdisch, evangelisch oder nationale wie italienisch oder deutsch werden gar nicht angesprochen, weil sie allem Anschein nach nicht als problematisch angesehen werden. Die Loslösung von religiösen oder ethnischen Kollektivgruppen hin zu einer Individualisierung von Identitätsmerkmalen wird nur von Muslimen und Flüchtlingen erwartet, weil wahrscheinlich befürchtet wird, dass gerade ihr ‚Segment‘ zu inneren Anspannungen führen könnte. Diese Herangehensweise und Auffassung ist im hohen Maße erschreckend rassistisch und diskriminierend zugleich.
Nicht außer Acht gelassen werden darf weiter, dass die in politischen oder gesellschaftlichen Debatten besonders angesprochenen und problematisierten religiös oder ethnisch kollektive Zusammenschlüsse nicht immer nur eine Selbstdefinition dieser sind, sondern häufig auch das Resultat einer Zuschreibung durch die Mehrheitsgesellschaft. Es ist allgemein bekannt, dass vor dem 11. September die Markierung ‚Muslim’ kaum Gegenstand gesellschaftlicher oder politischer Debatten war. Bis zu diesem Zeitpunkt war die Markierung „Ausländer“ Gegenstand politischer Diskussionen. Erst nach dem 11. September kam es zu einem Wandel der Markierung zum ‚Muslim‘.
All diese und noch weitere Argumente weisen auf ein deutlich verkapptes Integrationsverständnis der Urheber dieser Studie hin, das sämtliche Grundrechte von insbesondere muslimischen Minderheiten in der Wahrung der für sie wichtigen Kollektiveigenschaften ablehnend gegenüber und eine Bereitschaft ankündigt, diese zu ignorieren.
Jedoch stellt sich in diesem Zusammenhang auch die Frage, ob die österreichische Regierung, und darunter insbesondere Sebastian Kurz, eine ähnliche Emanzipation von Auslandsösterreichern erwartet. Schaut man sich die breite Palette an Angeboten Österreichs für Auslandsösterreicher für die Wahrung ihrer österreichischen Identität als Gruppenkollektiv an, wird die Doppelzüngigkeit insbesondere des Integrationsministers besonders deutlich.
Besonders hervorzuheben ist zum Beispiel die Arbeit des Auslandsösterreichischen Weltbundes (AÖWB) [8], die ihre Aufgaben unter anderem wie folgt beschreibt:
Zu den Förderern des AÖWB zählen allen voran das Ressort von Sebastian Kurz, das Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres, das Bundesministerium für Inneres Österreichs und alle österreichischen Bundesländer.[10]
Behindert nun allen voran Sebastian Kurz eine erfolgreiche Integration von Auslandsösterreichern in ihren Wahlheimaten, indem er sie darin unterstützt, ethnisch-kulturelle Gruppenzugehörigkeiten in der Diaspora zu bilden bzw. zu stärken, um so zu inneren Konflikten in der Wahlheimat der Auslandsösterreicher beizutragen?
Nein! Die österreichische Regierung nimmt hier ein gutes Recht für sich in Anspruch und unterbreitet dafür zahlreiche Angebote, will aber gleiche Rechte der muslimischen Minderheit im eigenen Land versagen. Auch dieser Umstand müsste unter dem Gesichtspunkt einer diskriminierenden und machtdiskursorientierten Vorgehensweise gegenüber der sich im eigenen Land befindenden Minderheit gewürdigt werden.
[1] https://kurier.at/chronik/oesterreich/historiker-der-islam-wird-nach-anderen-kriterien-beurteilt/262.647.440
[2] Ebd.
[3] https://www.welt.de/politik/ausland/article168696534/Kurz-schliesst-Koalition-mit-rechter-FPOe-nicht-laenger-aus.html
[4] https://www.integrationsfonds.at/news/detail/article/oeif-diskussion-mit-zana-ramadani-und-susanne-raab/
[5] http://www.augsburger-allgemeine.de/politik/Das-Kopftuch-ist-ein-Symbol-wie-wenn-Rechtsradikale-Springerstiefel-tragen-id41156581.html
[6] https://www.integrationsfonds.at/news/detail/article/oeif-delegationsbesuch-bei-seyran-ates-in-berlin/
[7] Seite 14 der Studie
[8] http://www.weltbund.at/pdf/Satzung.pdf
[9] http://www.weltbund.at/ueber_uns_ziele.asp
[10] http://www.weltbund.at/ueber_uns_foerderer.asp