Im KNA-Interview geht die Religionswissenschaftlerin Anna-Katharina Höpflinger der Frage nach wie die Beziehung von Mode und Religion zueinander war und ist.
Kleider machen Leute – und Leute machen Kleidervorschriften, damals wie heute. Aber zwischen „Burka-Bann“ und „Twingherrenstreit“ gibt es dann doch einige Unterschiede. Zwischen katholischen und protestantischen Regionen auch? Da muss man schon näher hinschauen, wie Religionswissenschaftlerin Anna-Katharina Höpflinger im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) erläutert. Die gebürtige Schweizerin lehrt und forscht an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München.
KNA: Frau Höpflinger, sehen Sie heute einer Person, der Sie auf der Straße begegnen, aufgrund der Kleidung an, ob sie katholisch oder reformiert ist?
Höpflinger: Hoffentlich nicht (lacht).
KNA: Ist das wirklich noch nie vorgekommen?
Höpflinger: Nein. Ich habe zudem festgestellt, dass viele Menschen heute religiöse Kleidung nicht richtig einordnen können. Reformierte Diakonissen werden oft als römisch-katholische Ordensfrauen angeschaut. Ich habe auch erlebt, dass ein Kind, das mit seiner Mutter am Bahnhof stand, beim Anblick einer Ordensfrau ausrief: „Mami, Mami, eine Muslimin!“
KNA: Gibt es also keine protestantischen oder katholischen Kleidungsstücke?
Höpflinger: Was es gibt, sind Schmuckstücke mit unterschiedlichen religiösen Symbolen: Manche Reformierte tragen das Hugenottenkreuz, manche Katholiken ein Kruzifix. Vielleicht ist es Wunschdenken: Aber ich glaube nicht, dass es heute noch konfessionalisierte Kleidung gibt. Nicht einmal im Gottesdienst. In der Schweiz gibt es kaum noch Katholikinnen, die verschleiert zur Messe gehen.
KNA: Gewissen Menschen sieht man aber an, dass sie zum Beispiel einer Freikirche angehören.
Höpflinger: Das stimmt. Bei Anhängern von Freikirchen gibt es noch Kleidungsvorschriften. Frauen orientieren sich dort am sogenannten „modest dress“. Im Internet findet man viele Anleitungen von jungen evangelikalen Frauen, wie man sich kleiden soll. Ich zum Beispiel habe aus der Sicht dieser Frauen an meiner Bluse einen Knopf zu viel offen.
KNA: Wie war es früher?
Höpflinger: Auch in der Vergangenheit sah man den Menschen meist nicht an der Kleidung an, welcher Konfession sie angehörten – außer bei Ordensleuten. Hingegen konnte man an der Kleidung ablesen, aus welcher Gegend jemand stammte. Die Kleidung war früher regional unterschiedlich. Man wusste allerdings, welche Konfession eine bestimmte Region hatte. So war es möglich, von der Region auf die Konfession zu schließen.
KNA: Aber es gab doch die Kleidungsordnungen, die die Obrigkeiten in früheren Jahrhunderten erließen. Unterschieden sich die Kleidungsmandate nicht aufgrund der Konfession der Obrigkeit?
Höpflinger: Katholische Obrigkeiten erließen bereits im Mittelalter Kleidungsmandate. Ob katholisch oder reformiert, die Kleidungsmandate unterschieden sich meist gar nicht so sehr. Sowohl auf reformierter – dort sehr stark – als auch auf katholischer Seite wollte man, dass sich die Menschen bescheiden kleiden. Nicht modisch. Die Mode war immer der Feind.
KNA: Was wurde da zum Beispiel geregelt oder verboten?
Höpflinger: Das hing von Ort und Zeit ab. Verboten wurde immer das, was als besonders modisch galt. Und besonders modisch war immer das, was besonders erotisch war. Die Mandate sollten der Eitelkeit entgegenwirken. In Zürich wurde etwa bei den Kleidern die Art des Stoffes durch Vorschriften geregelt, vor allem auch das Tragen von Schmuck. Wie opulent darf die Kleidung sein? Wie viel Goldschmuck ist zulässig?
KNA: Betraf das nur die Frauenkleidung?
Höpflinger: Nein. Auch die Männerbekleidung wurde geregelt, allerdings etwas weniger stark. Dort stellte sich zum Beispiel die Frage, wie kurz ein Oberteil sein darf.
KNA: Es erstaunt, dass sich die Kleidungsmandate protestantischer und katholischer Obrigkeiten nicht stark unterschieden. Man hat Klischees von Gegensätzen im Kopf…
Höpflinger: Die Kleidungsvorschriften waren eben mehr eine Tendenz der Zeit als etwas spezifisch Reformiertes. Mit den Vorschriften wollten die Obrigkeiten auch die Ständeordnung stützen. Die Regeln galten nämlich nicht für Individuen, sondern für die Angehörigen der verschiedenen Stände.
Dennoch: Die strengsten Kleidungsvorschriften wurden in Genf im Rahmen eines umfassenden Sittenmandats erlassen, zur Zeit der Reformation. Kleidungsluxus wie das Tragen von Schmuck wurde fast gänzlich verboten. Es gab ein Tanzverbot. Aber auch Fluchen und Spielen waren nicht erlaubt. Und es existierten Regeln, die festlegten, auf welche Namen man Kinder taufen durfte. Allerdings wehrte sich die Bevölkerung bald – bereits zu Zeiten Calvins – gegen diese Vorschriften.
KNA: Wurden in der Zeit der Reformation mehr Kleidungsmandate erlassen als zuvor?
Höpflinger: Nein. Aber das Bürgertum erstarkte. Es musste neue Formen finden, um sich auszudrücken, unter anderem auch im Bereich der Bekleidung. Der neue Reichtum des Bürgertums wurde zwar zur Schau gestellt, aber auf bescheidene Art. Ich glaube, die Reformation hat hier einen Einfluss ausgeübt. Ein Beispiel: Man trug einen sehr teuren Stoff, der aber nicht teuer aussah. Die Reformation lieferte Ideale und Normen, an denen sich das Bürgertum orientierte.
KNA: Was haben eigentlich Zwingli oder Luther in Bezug auf die Kleidung gesagt?
Höpflinger: Zwingli predigte – wie auch Calvin und Bullinger – gegen luxuriöse und zu erotische Kleidung und forderte die Menschen zu Bescheidenheit und Ehrbarkeit auf. Auch Luther rief zu modischer Bescheidenheit auf, vor allem die Leute von Stand. Aber er sagte auch, die Frau solle dafür sorgen, dass jedes Mitglied ihrer Familie zwei Kleidungsstücke hat. Er forderte also nicht totale Armut. Damals besaßen viele Menschen nur ein einziges Kleidungsstück. Die Leute sollten die Möglichkeiten haben, ihre Kleider zu wechseln und zu waschen.
KNA: Bis wann gab es in Europa Kleidungsordnungen?
Höpflinger: Es gibt sie heute noch. Geht man nackt auf die Straße, wird man bestraft. Im Tessin wird man bestraft, wenn man eine Burka trägt. Ein Burkaverbot ist eine Kleidungsordnung.
KNA: Dennoch, ganze Gesetze, mit denen der Staat detailliert regeln, wer was tragen darf und was nicht, das gibt es doch nicht mehr.
Höpflinger: Richtig. Ab dem 19. Jahrhunderte, als die Nationalstaaten entstanden, versuchte man, diese Dinge sozial zu regeln, nicht mehr mit Gesetzen. Das ist aber nicht unbedingt ein Vorteil.
KNA: Wieso?
Höpflinger: Gegen ein Gesetz kann man einschreiten. Das zeigt zum Beispiel der sogenannte Twingherrenstreit in Bern im 15. Jahrhundert. Damals wehrten sich die adligen Frauen gegen ein Kleidermandat, das ihnen verbieten wollte, Schnabelschuhe und lange Schleppen zu tragen. Sie sagten: „Wir haben das Recht, lange Schleppen zu tragen, um uns von den Nicht-Adligen zu unterscheiden.“ Und sie gewannen schließlich.
Gegen soziale Regeln kann man sich viel weniger wehren. Konventionen sind stark. Hält man sich nicht daran, wird man sozial ausgegrenzt. Ich möchte die obrigkeitlichen Vorschriften nicht verteidigen. Ich sage einfach: Man darf die Konventionen nicht unterschätzen.