Die Landtagswahlen in Niedersachsen stehen bevor. IslamiQ hat Parteien in Niedersachen gefragt, wie sie zum Thema „Islam und Muslime“ stehen. Eine kritische Zusammenfassung der Antworten hat Kübra Zorlu für IslamiQ verfasst.
Prognosen zufolge werden die CDU und die SPD bei über 33% mit Abstand die Landtagswahlen in Niedersachsen gewinnen. Die Grünen bleiben die drittstärkste Partei und es folgen der Reihe nach die FDP, die AfD und die Linken. IslamiQ befragte die Parteien CDU, SPD, FDP und die Linken im Hinblick auf „Islam und Muslime“. Die Parteien scheinen die Auseinandersetzung mit diesem Thema grundsätzlich zu unterstützen, allerdings sind einige grundlegende Gedanken nicht nachvollziehbar und falsch angesetzt.
Aktuelle Studien zeigen, dass die Islamfeindlichkeit in den letzten Jahren massiv gestiegen und in Deutschland auch im internationalen Vergleich sehr hoch ist. Niedersächsische Parteien möchten der Islamfeindlichkeit entgegenwirken. Die Bekämpfung von Islamfeindlichkeit sei laut der CDU Niedersachsen ein „wichtiger Bestandteil jeder Islamismusprävention“. Das solle „muslimische Jugendliche“ davon abhalten sich „fremd zu fühlen“ und somit anfälliger für eine „Radikalisierung“ zu werden. Die zunehmende Islamfeindlichkeit sei genauso „bedrückend“ wie das Aufkommen des Antisemitismus. Es sollen Verständnis und Toleranz für unterschiedliche Weltanschauungen „geweckt und gestärkt“ werden. Insgesamt stellt sich die CDU klar gegen „jede Form des politischen und religiösen Extremismus sowie gegen Diskriminierung und Radikalisierung“.
Die SPD Niedersachsen wolle verhindern, dass „islamfeindliche Parolen und Antisemitismus salonfähig werden“ und sich dafür einsetzen, dass „rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten wie gegenüber Geflüchteten sowie Anschläge auf deren Unterkünfte verfolgt“ werden. „Rechtsextremen und Rechtspopulisten“ solle mit „Aufklärung und Prävention“ entgegengewirkt werden. Dazu wolle die SPD das „Niedersächsische Landesprogramm gegen Rechts“ genauso weiterentwickeln wie die „Aktion Neustart“, die Aussteigerprogramme für Rechtsextremisten bieten. Zudem solle gegen kriminelles Vorgehen von Rechtsextremen gegen „Ehrenamtliche und Kommunalpolitiker gesellschaftliches Engagement gebündelt und Prävention frühzeitig angesetzt“ werden. Um die Sicherheit zu verbessern soll eine enge Einbindung der Sozialarbeit und eine „intensive Beteiligung der Zivilgesellschaft“, beispielsweise lokaler Bürgerorganisationen, gesichert werden.
Die Linken seien für eine „Offensive gegen Rassismus und alle Formen von Ausgrenzung“. Islamfeindliche Taten seien rassistische Taten. So werde das Thema „Sicherheit vor islamischem Terrorismus“ ins Zentrum gestellt und „Muslime in die Nähe von Terrorismus und Extremismus“ gerückt. Um den Austausch zwischen Muslimen und Nichtmuslimen zu fördern, müsse die „Unterstützung zivilgesellschaftlicher Initiativen selbstverständlicher werden“. Die Politik solle von „Pauschalisierungen“ („die Muslime“, „der Islam“) wegkommen und den Islam als „Teil deutscher Kultur“ anerkennen.
Die FDP möchte sich gegen Islamfeindlichkeit engagieren, indem sie „Begegnungen und den Austausch von Menschen mit unterschiedlichen religiösen und weltanschaulichen Hintergründen fördern“ und weist darauf hin, wie viel die Menschen „über alle religiösen und weltanschaulichen Grenzen hinweg verbunden“ sind.
Die CDU geht einen Ansatz an, die die Haltung gegen Islamfeindlichkeit als eine Maßnahme zur „Entradikalisierung“ muslimischer Jugendliche charakterisiert. Die Linke hingegen vermerkte, dass der „islamische Terrorismus“ sehr weit im Fokus stehe und islamfeindliche Taten genauso in Betracht gezogen werden müssen.
Die Verhandlungen über einen Staatsvertrag mit Muslimen sollten erst nach den Landtagswahlen fortgesetzt werden, um zu vermeiden, dass sie zu einem Wahlkampfthema werden. Dabei geht es um eine Vereinbarung mit der DITIB, dem Schura-Landesverband der Muslime und alevitischen Gemeinden. Der bereits ausgehandelte Vertrag, dessen Unterzeichnung Mitte 2016 geplant war, wurde von Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) Ende Dezember 2015 vorgestellt und erhielte eine „Signalwirkung für die, die skeptisch oder feindlich“ dem Islam gegenüber stehen. Aufgrund der wachsenden Kritik an der DITIB hatte Niedersachsen die Verhandlungen über einen Staatsvertrag mit Muslimen Anfang 2017 abgebrochen.
Schura-Vorsitzender Recep Bilgen kritisierte, „an der Basis werde die Absage als Verweigerung von Anerkennung und Wertschätzung aufgefasst“. DITIB-Landesvorsitzender Yilmaz Kilic hielt den Abbruch für „enttäuschend und frustrierend“: „Es gibt einen Vertrag, der von allen Parteien abgenickt worden ist, aber nicht unterschrieben wird.“ Der Vertrag umfasst unter anderem Abmachungen zu Islamunterricht und Seelsorge, den Umgang mit muslimischen Feiertagen, den Bau von Moscheen, das Engagement der muslimischen Verbände in der Wohlfahrtspflege und ihre Vertretung in Gremien wie dem Landesschulrat.
Die CDU Niedersachsen ist der Meinung, es gäbe noch viel „Diskussionsbedarf und offene Fragen“ rund um den Vertrag. Eine „breite gesellschaftliche Debatte, die bei diesem Thema unerlässlich“ sei, habe es nicht gegeben. Es sollten bei einem neuen Anlauf zum einen schwierige Fragen direkt angesprochen werden, zum anderen die „aktive Einbindung von Landtag und Allgemeinheit in die Gespräche“ erfolgen. Aufgrund „fehlender Transparenz und Offenheit“ hatte die CDU bereits 2016 den Vertrag abgelehnt. Anfang 2017 folgte die Ablehnung durch die FDP, die die enge Verbindung von Ditib zur türkische Regierung kritisierte. Demnach kommen für die FDP Niedersachsen nur islamische Religionsgemeinschaften als Vertragspartner in Betracht, die „fest in der niedersächsischen Gesellschaft verwurzelt“ sind und gewährleisten, dass „ausländische Regierungen die Geschicke des Verbands nicht bestimmen“. Ein Vertrag solle „Regelungen mit klarer rechtlicher Bindungswirkung“ enthalten und öffentlich im Parlament beraten werden. Die Kooperation mit den Muslimen innerhalb und außerhalb der Verbände sollten künftig „unabhängig von einem Vertragsabschluss fortgeführt und vertieft“ werden
Die SPD Niedersachsen wolle durch interreligiösen Dialog die Ziele „gegenseitiges Verständnis, Akzeptanz und Toleranz zwischen den Religionsgemeinschaften“ weiterhin verfolgen. Anfang 2017 erklärte Ministerpräsident Stephan Weil, dass „die niedersächsische Landesregierung und die muslimischen Verbände mit Bedauern zur Kenntnis nehmen, dass sich die Rahmenbedingungen für die in Aussicht genommene Vereinbarung in den vergangenen beiden Jahren deutlich verschlechtert haben“.
Die Linke „bedauere“ ebenso den Abbruch der Verhandlungen. Sie spricht sich aus für die Notwendigkeit einer „gesellschaftlichen Debatte über die Freiheit religiöser und weltanschaulicher Bekenntnisse“ und die „ungestörte Religionsausübung“. Rechtspopulisten seien die „Gefahr für Demokratie und Zusammenleben“. Der „Kampf gegen Islamfeindlichkeit“ und die „Bedürfnisse muslimischer Gemeinden“ gehören aufgrund des „steigenden antimuslimischen Rassismus ins Zentrum eines Dialogs“, so die Linke Niedersachsen.
Schura-Vorstandsvorsitzender Bilgen setzt trotz aller Enttäuschung genauso wie DITIB-Landesvorsitzender Kilic auf eine Fortführung der Gespräche: „Es wird weitergehen, das ist selbstverständlich.“
Die CDU Niedersachsen möchte den bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht an staatlichen Schulen entsprechend des niedersächsischen Konzeptes ausweiten. Seit 2013 ist der Islamunterricht in Niedersachsen Regelfach an ca. 55 Schulen für die Jahrgänge 1 bis 5. Aus Sicht der rot-grünen Regierung bildet das Fach „einen wertvollen Beitrag zur religiösen Identitätsbildung“. Dem Konzept nach soll der Unterricht in deutscher Sprache nach einem in Niedersachsen entwickelten Lehrplan und möglichst von in Deutschland ausgebildeten Lehrkräften an öffentlichen Schulen stattfinden. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Religion schütze laut Studien vor der Hinwendung zu „religiöser Extreme“, „religiös motivierter Abschottung“ und Fundamentalismus, so die CDU Niedersachsen. Diese Einstellung ist allerdings fragwürdig, da den Angehörigen des Islams indirekt eine Hinwendung zu „religiöser Extreme“ unterstellt wird, sofern sie sich nicht mit der eigenen Religion auseinandersetzen. Die CDU sei davon überzeugt, dass der Religionsunterricht an niedersächsischen Schulen neben „der Vermittlung von Werten und der Auseinandersetzung mit den eigenen religiösen Traditionen“ besonders der „Integration von Muslimen“ dient.
Die SPD Niedersachsen hingegen sieht die Einführung des Islamunterrichts als „eingeschlagenen und erfolgreichen Weg“ und möchte diesen fortführen, plant allerdings keine grundlegenden Änderungen.
Den Linken zufolge sei die Einführung des Islamunterrichts ein weiterer Schritt in Richtung „Gleichstellung des Islams“. Dazu solle es künftig einen „Ethikunterricht“ geben, in dem alle Schülerinnen und Schüler mit ihren unterschiedlichen „weltanschaulichen, kulturellen und religiösen Hintergründen“ gemeinsam über ethische Fragen diskutieren können. Demnach soll das Fach „Religion“ durch das Pflichtfach „Religion-Ethik-Philosophie“ ersetzt werden.
Für eine Ausweitung des Islamunterrichts setzt sich auch die FDP ein. Dazu bemerkt die Partei, dass ausreichend qualifizierte und geeignete Lehrkräfte für den Unterricht zur Verfügung stehen müssen. Dabei sollen Zusammenarbeiten mit dem Institut für Islamische Theologie in Osnabrück, den Verbänden und Beiräten stattfinden sowie die Erfahrungen aus der Praxis vor Ort berücksichtigt werden. Im Parteiprogramm der FDP heißt es, die Partei setze sich für „flächendeckenden islamischen Religionsunterricht“ ein, in deutscher Sprache, unter deutscher Schulaufsicht und von in Deutschland ausgebildeten Religionslehrerinnen und Religionslehrern in den Schulen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel befürwortete „den bekenntnisorientierten, schulischen Religionsunterricht, wie ihn die meisten Bundesländer in Deutschland vorsehen, zunehmend auch für muslimische Kinder“ und ist der Meinung, dass der „Islam inzwischen unzweifelhaft zu Deutschland gehört“. Ähnlich wie die Bekämpfung von Islamfeindlichkeit der „Entradikalisierung“ diene, wird die Position des Islamunterrichts seitens der CDU jedoch als eine geeignete Prävention von religiösem Extremismus vermittelt. Es ist wichtig, von diesem Gedankengang wegzukommen und den Islamunterricht als ein Grundrecht einzustufen. Es stellt sich außerdem heraus, dass zur Ausweitung des Islamunterrichts weiterhin Bedarf qualifizierter Lehrkräfte besteht, die in Deutschland ausgebildet werden sollen und auf Deutsch unterrichten.
Die „muslimische Seelsorge“ betrifft viele öffentliche und staatliche Einrichtungen. Neben der Militärseelsorge bei der Bundeswehr und der Bundespolizei geht es auch um die Seelsorge in Krankenhäusern und Haftanstalten. Die Unterstützung der Seelsorge gehört laut CDU Niedersachsen zur „Sicherung der freien Religionsausübung zwingend dazu“. Dazu nehme die CDU Niedersachsen Gespräche mit der „Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege“ positiv auf. Bei der Wohlfahrtspflege geht es unter anderem darum zu prüfen, inwieweit die Einrichtung islamischenWohlfahrtsverbände, wie die christliche Caritas und Diakonie, sinnvoll sei.
Die SPD Niedersachsen wolle zu diesem Thema „den grundsätzlichen Dialog“ fortführen.
Die Linke begrüßt im Rahmen der „Gleichberechtigung der Religionen“, islamische Religionsgemeinschaften zur Etablierung „islamischer Wohlfahrt und Seelsorge“ zu unterstützen.
„Freie Träger sollen weniger als bislang durch politische Entscheidungen gefördert werden und stärker durch die tatsächlichen Bedarfe und Interessen vor Ort“, so die FDP Niedersachsen. Dazu fordert die Partei, „dass staatliche, kommunale und Bildungseinrichtungen in freier Trägerschaft pro Kind den gleichen Betrag erhalten, damit die Eltern nicht nur die freie Wahl zwischen verschiedenen öffentlichen Angeboten, sondern auch zwischen öffentlichen und freien Trägern haben.“ Der „Gegenwert dieser Bildungsgutscheine“ könne sich nach „Lebensalter“, „zeitlichem Umfang der wöchentlichen Betreuung“ sowie bei besonderem „pädagogischen Betreuungsbedarf“ unterscheiden. Somit werde die Trägerlandschaft „vielfältiger“ und nichtreligiöse Angebote gestärkt werden. In Bereichen wie „Altenpflege und Krankenbetreuung“ setze die FDP auch für eine „Trägervielfalt ein, in der private Anbieter mit öffentlichen in einem fairen Wettbewerb stehen“. Das werde auch „regionalen Unterschieden bezüglich der Konfessionszugehörigkeit gerecht“.
Die in eine Reihe von Landesparlamenten gewählte AfD ist als rechtsradikale Partei zum ersten Mal nun auch im Bundestag. Um diese „große Herausforderung“ anzugehen werde die CDU Niedersachsen auf eine Form der „Zusammenarbeit mit Radikalpopulisten von Rechtsaußen und Linksaußen“ verzichten, jedoch die Wähler der AfD ernstnehmen und versuchen sie zu überzeugen. Während die CDU hofft, dass die Rechtspopulisten an Unterstützung verlieren, hat die SPD das Ziel, die AfD bei der Landtagswahl unter 5% zu halten. Allerdings zeigen aktuelle Prognosen die AfD Niedersachsen bereits bei 6,5%.
Die SPD spricht sich für „sozialen Zusammenhalt und Gerechtigkeit“ statt „Ausgrenzung oder Diskriminierung“ aus. Die Sozialdemokraten vertreten die Position, „Fremdenfeindlichkeit und Rechtsradikalismus auf deutschem Boden nie wieder mehrheitsfähig“ werden zu lassen.
Die Linke sieht die AfD hingegen nicht als Konkurrenten, sondern als „Gegner“ und grenzt sich klar „politisch und organisatorisch“ gegenüber der AfD ab. Anträgen seitens der AfD werde die Linke konsequent entgegenstimmen. Ausnahmen seien im Rahmen der „parlamentarisch-demokratischen Arbeit“ dann möglich, wenn die „Gleichstellung der AfD“ für die „Aufrechterhaltung der Arbeit des Parlamentes nötig“ sei und dies „nicht zu einer Stärkung der AfD führe “.
Die FDP werde im Gegensatz zur Linke „keine Diskussion mit der AfD scheuen“. Dabei solle jede Gelegenheit genutzt werden, um für „Demokratie und Toleranz zu werben“. Zudem wolle die FDP zeigen, dass sie die „bessere inhaltliche Argumente“ haben und die AfD „keine politischen Herausforderungen lösen“ kann und „keine Konzepte“ hat.
Trotz allen Differenzen wird höchstwahrscheinlich der Fall eintreten, dass im niedersächsischen Landtag auch AfD-Abgeordnete sitzen werden. Von einer „klaren Abgrenzung“ spricht nur die Linke, die anderen Parteien bestehen darauf, in gewisser Zusammenarbeit die „Herausforderungen“ zu meistern, grenzen sich jedoch klar vom Rechtspopulismus ab.