Musliminnen in Deutschland

„Muslimische Frauen müssen nicht gerettet werden!“

Burka-Verbot, Kopftuchdebatten etc. Muslimische Frauen werden immer zu den „Anderen“ gemacht, um so gesamtgesellschaftliche Probleme abzuwälzen. Warum die deutsche Mehrheitsgesellschaft vor einer großen Herausforderung steht, erklärt Nabila Bushra.

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2017
Musliminnen
Nabila Bushra, Studentin der Gender-Studies (M.A), Preisträgerin des Laura-Maria Bassis Preises 2017, copyright Nabila Bushra

Wenn die Mehrheitsgesellschaft und vor allem die Politik vor und nach der Bundestagswahl immer noch das brennende Thema „Islam und muslimische Frauen“ thematisieren, dann müssen wir uns nicht wundern wenn gesellschaftliche Probleme wie Armut und Bildung zu kurz kommen. Wenn Parteien muslimische Frauen instrumentalisieren und dadurch gesellschaftliche Probleme nicht ansprechen, dann müssen wir uns ernsthafte Gedanken machen.

Die Reduzierung der muslimischer Frauen auf ihre Bekleidung zeigte das Beispiel der Burkini-Debatte in Frankreich oder auch das aktuelle Beispiel des Burka-Verbots in Österreich: Muslimische Frauen werden immer wieder aufgefordert, sich zu „entkleiden“. Dies wird mit dem „Integrationsgedanken“ legitimiert, um die Freiheit muslimischer Frauen einzuschränken. Es ist kein Zufall, dass innerhalb der westlichen Debatte in Bezug auf den Islam die soziale Positionierung „muslimischer Frauen“ in den Mittelpunkt gestellt wird, da die Geschlechterbeziehungen der „Anderen“ im Westen seit der Kolonialzeit als Symbol der Rückständigkeit gelten.

Neben den ökonomischen Eroberungen durch die Kolonialmächte erfolgte auch eine systematische Attacke auf die islamischen Institutionen und Familien. Für die Kolonialisierten war die Religion ein Wesens- und Unterscheidungsmerkmal, das zu bekämpfen galt. In diesem Zusammenhang wurden muslimische Frauen als ein Haupthindernis für eine erfolgreiche Assimilation durch die Kolonialmächte angesehen. So wurden Männer verpflichtet, in der Öffentlichkeit eine andere Sprache zu sprechen und die muslimischen Frauen mussten den Schleier ablegen. Während die Kolonialisierenden den Schleier verbieten wollten, um die traditionelle und religiöse Struktur aufzubrechen, wurde der Schleier als ein Widerstandssysmbol genutzt. Die Gewaltverhältnisse und Gesellschaftsstrukturen, die sich im Rahmen der Kolonialzeit verfestigt haben, werden heute noch fortgesetzt und dabei wird immer wieder auf „den“ Islam zurückgegriffen.

Frauenfrage als zentraler Prüfstein

Dazu zählen Probleme wie Armut und mangelnde Rechtsstaatlichkeit in den ehemaligen Kolonien. Dazu gehören aber auch eurozentrische und rassistische Denkmuster, die sich in der heutigen Zeit in bestimmten Bereichen aufzeigen lassen, wie z.B. in der Kunst, der Literatur, den Medien, den Wissenschaften und zugleich im politischen Geschehen. Auch die Debatten um Rassismus, Integration, Religionsfreiheit und Frauenrechte, wie sie aktuell in Deutschland geführt werden, nehmen primär den Bezug zum kolonialen Rassismus auf. Die Auseinandersetzungen mit „dem“ Islam werden immer häufiger in den öffentlichen Debatten thematisiert und somit ist auch die Frauenfrage zu einem zentralen Prüfstein geworden. In weiten Kreisen der Gesellschaft ist das Bild entstanden, dass „der“ Islam nicht modernisierungsfähig und ein Beweis dafür, die Position der muslimischen Frau sei, die grundsätzlich als „unterdrückt“ gilt. Es ist immer wieder die gleiche Debatte!

Ein ausgrenzender Feminismus

Gegenstand dieser geführten Debatte ist das Kopftuch muslimischer Frauen, welches als Integrationshindernis angesehen wird. Doch was ist mit muslimischen Frauen, die eine akademische Karriere anstreben, sich in die Arbeitswelt einbringen und an politischen Debatten teilnehmen? Auch diese Frauen werden von der Mehrheitsgesellschaft unablässig als „anders“ und „fremd“ dargestellt. Es sind Frauen wie z.B. Necla Kelek, die innerhalb ihrer Familie „den“ Islam im negativen Sinne kennengelernt haben und dadurch als „authentische Stimme“ gelten. Hingegen erhalten muslimische Frauen, wie beispielsweise Fereshta Ludin und weitere muslimische Feministinnen und Aktivistinnen, die das Kopftuch tragen und den Stereotypen von der Unterdrückung der Frau nicht entsprechen, nur ein geringes Gehör im öffentlichen Diskurs oder werden zu einer „Ausnahme“ erklärt.

Muslime als die „Anderen“

In der Öffentlichkeit existiert nun ein Konstrukt „der“ Muslimin und mit diesem werden hauptsächlich negative Eigenschaften in Verbindung gebracht. Es sind Merkmale wie Rückständigkeit, Gewalt und Frauenunterdrückung. So kann die Gewalt gegen die „eigenen Frauen“, also gegen die „weißen Frauen“, durch die „unterdrückte Muslimin“ unsichtbar gemacht werden. So wird auch das Thema Gewalt und Sexismus dann stärker thematisiert wenn es von „dem“ muslimischen Mann ausgeht und sobald es weiße Männer sind, wird es unsichtbar gemacht oder gar verharmlost. Dies führt folglich dazu, dass patriarchale Gewalt und Sexismus bei den „Anderen“ verortet sind und in einem gesellschaftlichen Kontext nicht thematisiert werden. Es ist die deutsche Mehrheitsgesellschaft, die muslimische Frauen zu den „Anderen“ macht und dabei stellt sich die Frage „Wieso, ist das so?“.

Die deutsche Mehrheitsgesellschaft hat sozusagen ein Fremd,- und Selbstbild aufgerufen, indem negative Elemente und gesellschaftliche Probleme auf die muslimische Frau projiziert werden. So erscheinen vor diesem Hintergrund muslimische Frauen als rechtlos und unterdrückt, hingegen die weißen Frauen und die Mehrheitsgesellschaft in Deutschland in Bezug auf die Geschlechtergleichheit die Rolle eingenommen haben, muslimische Frauen aufzuklären und sie vor ihren Ehemännern zu schützen. Insbesondere Islamkritikerinnen wie Necla Kelek und auch Feministinnen u.a. Alice Schwarzer, sind davon überzeugt, dass eine Kopftuch tragende Frau nicht frei und selbstbestimmt ihre Spiritualität lebt, sondern notwendigerweise Opfer patriarchaler Unterdrückung ist. Was bleibt den muslimischen Frauen dann noch übrig? Ja, entweder müssen sie annehmen, dass sie von ihren Ehemännern, Brüder und ihrer Religion unterdrückt sind und von den weißen Feministinnen und der Mehrheitsgesellschaft gerettet werden, oder sie sind einfach zu „naiv“ um die Unterdrückung wahrzunehmen.

Wer muss wen retten?

Diese Art und Weise wie über muslimische Frauen diskutiert wird ist nichts neues, denn es gab schon immer eine Personengruppe die zum „Anderen“ gemacht wurde. So waren es vorher die Gastarbeiter, dann die Ausländer und jetzt sind es Muslime.

Es ist Zeit, dass gerade die deutsche Mehrheitsgesellschaft sich von ihren kolonialen Denkmustern befreit und Probleme und Schwierigkeiten als eine gesellschaftliche Herausforderung betrachtet, anstatt eine bestimmte Personengruppe dafür verantwortlich zu machen und sich als „emanzipierte“ oder „schuldlose“ Person zurückzuziehen. Denn nicht die muslimischen Frauen müssen gerettet werden, sondern die eigenen Grundsätze von Gleichheit und Gerechtigkeit, die angesichts der Erblindung vor der Lösung gesamtgesellschaftlicher Probleme und dem damit einhergehenden allgegenwärtigen Rechtsruck, zu kentern droht.

Leserkommentare

Manuel sagt:
@Mohammad Al-Faruqi: Gut und was wäre dann für Sie konstruktive Islamkritik???? Ein Beispiel bitte?
17.10.17
18:34
grege sagt:
Die Aussage von Mohammed Al-Faruqi zeigt das Toleranzverständnis nicht weniger gegenüber andersdenkenden Menschen. Widerspruch und Widerrede werden pauschal mit Hetze gleichgesetzt. Angesichts dieser Haltung ist es kein Wunder, dass Kritiker des Islams in allen Ländern mit islamischer Bevölkerungsmehrheit um ihr Leben fürchten müssen. Wenn Herr Faruqi von dem Tatbestand der Hetze überzeugt ist, kann er gegen die besagten Personen rechtliche Schritte einleiten. Nur zu.
17.10.17
19:43
Johannes Disch sagt:
@Mohammed Al Faruqi Korrekt, was Sie über die von Ihnen aufgelisteten Personen sagen. Es gibt aber durchaus berechtigte Kritik, und die wird von manchen auch sehr sachlich und rational vorgetragen, beispielsweise von Bassam Tibi.
17.10.17
21:13
Kritika sagt:
@ Mohammad Al-Faruqi Sie haben Frau Necla Kelek und Frau Alice Schwarzer, kritisiert. 2 renomierte Frauen, die es im Leben zu etwas gebracht haben. Diese Frauen entlarven gelegentlich den Islam und üben Kritik, mit Begründung. Sie zeigen nur Ihre Wut, begründen aber nicht weshalb, das ist sehr schwach. Diese Frauen sind real, ihre Gründe abenfalls. Die Aussagen, des Koran und damit des Islam, sind dagegen nicht real, nicht nachvollziehbar, von reiner Fantasie nicht zu unterscheiden. Dass Necla Kelek und Alice Schwarzer von ihrer publizistische Arbeit leben, stört Sie das? Sie liefern dafür einen wertvollen Beitrag zum Kulturellen Denken in Deutschland. Ohne Gruss, Kritika.
17.10.17
23:35
Johannes Disch sagt:
@Dönerbude (Ihr P vom 17.10.17, 15:39) -- "Der Westen ist der größte Kriegstreiber." ("Dönerbude") Da haben Sie nicht ganz unrecht. US-"Präsident" *räusper* "The Donald" geht auf den schiitischen Iran los. Nun ist der Iran sicher kein Hort der Humanität und auch kein Hort demokratischer und persönlicher Freiheiten. Aber immerhin hat er sich zu einem Atom-Abkommen bereit erklärt. Gleichzeitig hofiert "The Donald" das erzreaktionäre Saudi-Arabien und verkauft Ihm Waffen für 1 Milliarde US-Dollar. Im Jemen findet grade eine humanitäre Katastrophe statt, von der die Welt kaum Notiz nimmt. Und den Krieg gegen den Jemen führt Saudi-Arabien. Wollte man den Kampf gegen den (islamistischen) Terror wirklich ernst nehmen, dann müsste man Saudi-Arabien bekämpfen. Denn die Saudis exportieren mit ihren Petro-Dollars ihren erzreaktionären wahabbistischen Islam in alle Welt. (Auch nach Deutschland. Siehe die sogenannten König Fahd-Akademien). Stattdessen betrachtet man Saudi-Arabien als Verbündeten im Kampf gegen den Terror. Das ist, als würde man den Chef des "Sinola-Kartells" -- ein mexikanisches Drogenkartell-- zum Anti-Drogenbeauftragten ernennen. Es geht hier in erster Linie nicht um Religion, sondern um Geld, um Geo-Politik und um Machtpolitik. Wie sehr grade die USA mit den Saudis verkuppelt sind und von Ihnen (energiepolitisch) abhängig, das zeigt die großartige Reportage des NYT-Journalisten Craig Unger: "Öl, Macht und Terror. Die Bushs und die Saudis." Ein Buch, das ich jedem nur empfehlen kann. Der Westen hat alles in allem in den letzten 100 Jahren eine verheerende Nahostpolitik betrieben.
18.10.17
14:45
Kritika sagt:
@ Dönerbude Verstehe: Weil Islamische Länder Waffen kaufen und damit viele Muslims umbringen und Islamische Städte bombardieren, aber nur solche, die dummerweise eine falsche IslamRichtung haben und deshalb "Ungläubige" sind, die man töten muss, deshalb ist der Westen Kriegstreiber. Kritika
18.10.17
15:09
Johannes Disch sagt:
@Besser (Ihr P vom 17.10.17, 15:18) So, der Westen ist geistig verarmt, weil er nur dem schnöden Mammon frönt? Klingt mir nach typisch linker Kapitalismuskritik, wo der Kapitalismus an allen Übeln der Welt schuld ist. Der Westen hat aber auch Dinge hervorgebracht wie das freie autonome Individuum, das von seinem Verstand Gebrauch macht und sich nicht abhängig macht von irgendeinem eingebildeten Fabelwesen genannt "Gott" oder "Allah" oder wie auch immer. Die Trennung von religiöser und weltlicher Sphäre ist eine der großen Errungenschaften des Westens! Und Sie hat wissenschaftlichen Fortschritt möglich gemacht. Der fehlende Säkularismus/Laizismus in der islamischen Welt ist einer der Hauptgründe, warum die islamische Welt den Anschluss an die Moderne verloren hat. Zudem gibt es eine geistige Strömung im Islam, die glaubt, Muslime müssten nichts mehr dazu lernen, da im Koran schon alles Wissen enthalten wäre. Auch hier: Die fehlende Trennung zwischen religiöser und weltlicher Sphäre. Da muss man sich nicht wundern, wenn die islamische Welt auf der Stelle tritt. Muslimische Frömmigkeit nun als Heilmittel für den Westen zu verkaufen, das wäre in der Tat ein Danaergeschenk. -- Zum Artikel von Frau Bushra: So, Sie belegt grade den Studiengang "Gender-Studies"?? Ich verkneife mir-- obwohl es schwerfällt-- Bemerkungen über solch neumodische "Studiengänge." Frau Bushra hat aber in folgendem Recht:In der Tat bringen gewisse "Islamkritikerinnen" (Kelek, Schwarzer, Ramadani, Hirsi Ali etc.) ihre Kritik etwas brachial vor und grade Kelek und Ramadani und Hirsi Ali verallgemeinern ihre persönlichen Erfahrungen. Wer sich aber seriös mit dem Thema beschäftigt, der wird nicht abstreiten, dass es in der islamischen Welt und auch in der islamischen Community in Europa Probleme gibt, was das Verhältnis der Geschlechter betrifft: Ehrenmorde, Befreiung vom Schwimmunterricht, Befreiung von Klassenfahrten, weil da Jungs und Mädels dabei sind, Befreiung vom Sexualkundeunterricht, und was sonst noch so auf dem Wunschzettel konservativer Muslime/innen steht. Alles Dinge, die mit einer modernen, freien und liberalen Gesellschaft nicht vereinbar sind. Und hier hat die muslimische Community ohne Zweifel Nachholbedarf, will sie endlich ganz im Westen ankommen. Und die Geschlechterfrage-- das Verhältnis der Geschlechter zueinander-- ist eine der ganz zentralen Fragen, an der sich eine gelingende Integration entscheiden wird. Um es etwas direkter zu formulieren: Eine Muslimin kann im Westen vor der Ehe machen, was sie möchte. Sie kann mit zig Männern ausgehen. Und das hat die muslimischen Guys nicht zu interessieren und schon gar nicht zu empören. Von wegen "Ehre", und so ein Kram... Sie kann es natürlich auch bleiben lassen und streng nach islamischem "Ehrenkodex" leben. Entscheidend ist, dass sie die Dinge freiwillig tut. -- Zum Kopftuch: Nun ist Kopftuch nicht gleich Kopftuch. Nicht jede Kopftuchträgerin ist eine Fundamentalistin. Es gibt viele Varianten: Es gibt den Chimar. Den Nikab. Den Amira. Etc. (Vielleicht mache ich demnächst hier mal ne kleine Kopftuch-Kunde). Es gibt aber Kopftuch-Varianten, die sind tatsächlich problematisch und stellen eine Abgrenzung zur westlichen Welt dar. Und das ist besonders das Kopftuch kombiniert mit einem langen geschlossenen Mantel, der bis zu den Knöcheln reicht. Emine Erdogan-- die Gattin des Möchtegern-Sultan Recep Erdogan-- ist dafür ein klassisches Beispiel. Kopftuch kombiniert mit einem langen geschlossenen Mantel, der bis zu den Knien reicht, ist die klassische Uniform der Islamistinnen. Also, sehr geehrte Frau Bushra; so ganz unproblematisch, wie Sie es in ihrem Artikel darstellen, ist das Kopftuch nun auch wieder nicht.
18.10.17
16:36
Manuel sagt:
@Dönerbude: Und was macht Ihr hier? Wenn der Westen so böse zum Islam ist, warum geht Ihr dann nicht wieder in Eure islamischen Länder? Warum sollen wie ständig Eure mittelalterliche Gesellschaftsordnung tolerieren???
18.10.17
18:26
Manuel sagt:
@Besser: In welchen islamischen Land herrscht annäherend sowas wie Religionsfreiheit, Minderheitenschutz, Demokratie, freie Sexualität, Liberalität und Toleranz gegenüber Nicht-Moslems, nennen Sie mir eines, dann reden wir weiter.
18.10.17
18:28
grege sagt:
@ Herr Disch, zum Thema "Westen" hatte ich Ihnen bereits mehrfach vorgehalten, dass der Begriff mit Verweis auf den Umfang individueller Freiheiten nur sehr vage definiert ist. Was den nahen Osten angeht, so betreiben die meisten dieser westlichen Staaten heutzutage überhaupt keine Nahostpolitik mehr, mit Ausnahme der USA. Daher steht die sogenannte "westliche Nahostpolitik" als Synonym für amerikanische Nahostpolitik. Bassam Tibi hat richtigerweise die Tatsache betont, dass die Missstände im Nahen Osten größtenteils selbst verschuldet sind und daher die Suche nach externen Sündenböcken müssig ist.
19.10.17
20:50
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