Ein Berliner Rabbiner hat zum dritten Jahrestag der islamfeindlichen Pegida-Kundgebungen den Begriff „christliches Abendland“ kritisiert. Dabei handele es sich um einen altbewährten Mythos.
Der Berliner Rabbiner und Hochschullehrer Walter Homolka hat den Begriff „christliches Abendland“ als irreführende Projektion kritisiert. Es handele sich um einen „Mythos, der auch heute noch für die Sicherung der innersten Werte Europas bemüht wird“, schreibt der Rektor des Rabbinerseminars Abraham Geiger Kolleg in der „Sächsischen Zeitung“ (Samstag). „Das ‚christliche Abendland‘ taugt nicht als Referenzrahmen für eine moderne Gesellschaft, die durch eine Vielstimmigkeit religiöser Positionen bereichert wird.“
Homolka erinnerte daran, wie im frühen 19. Jahrhundert am „Tiefpunkt des politischen Einflusses von Religion“ Novalis und Friedrich Schlegel das Konzept eines „christlichen Abendlands“ entwarfen – als „romantischen Begriff nostalgischer Rückschau“. Daraus habe Friedrich Wilhelm IV. von Preußen seine Idee vom „christlichen Staat“ entwickelt, in dem Juden jedoch „keinerlei Autorität über christliche Untertanen ausüben konnten: nicht als Beamte, nicht als Offiziere, nicht als ordentliche Professoren an preußischen Universitäten“.
Für Juden sei die Idee eines christlichen Abendlandes „nicht ungefährlich“, so der Professor für Jüdische Religionsphilosophie der Neuzeit an der Universität Potsdam. Jahrhunderte der Verfolgung, Unterdrückung und Ausgrenzung im Namen Jesu hätten sich „eingeprägt in die Erinnerung eines Volkes, das es im ‚christlichen Abendland‘ alles andere als leicht hatte und wenig Toleranz erfuhr“. Der offene Dialog zwischen Juden- und Christentum heute sei das Ergebnis eines langen Prozesses, so der Rabbiner.
Homolka äußerte sich zum dritten Jahrestag der islamfeindlichen Pegida-Bewegung. „Seit den Kundgebungen von Pegida & Co. liegt ein Makel bleiern auf Dresden, einer Stadt, die gerne als weltoffen wahrgenommen wird und von dieser Weltoffenheit auch lange profitiert hat.“ Zugleich würdigte er die Gegenproteste. Vielen Bürgern sei es an diesem Tag ein Anliegen, deutlich zu machen: „Wir können Pluralismus aushalten.“
Pegida hatte für Samstag eine Demonstration mit 5.000 Teilnehmern angemeldet; zu diversen Gegenkundgebungen wurden rund 3.000 Menschen erwartet. Seit 2014 demonstrieren fast jeden Montag Anhänger der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ in Dresdens Altstadt. Zuletzt waren es Schätzungen zufolge jeweils zwischen 1.500 und 2.000 Demonstranten. (KNA, iQ)