Interview mit Wolfgang Benz

„Muslime sind nicht die neuen Juden“

Wolfgang Benz ist renommierter Historiker und Antisemitismusforscher. Im IslamiQ-Interview erklärt er, warum der Bundestagseinzug der AfD einen Demokratieverlust für Deutschland bedeuten kann, welche Parallelen die AfD zur NSDAP aufweist und ob Vergleiche dieser Art passend sind.

05
11
2017
Historiker Wolfgang Benz und die Frage; sind Muslime wirklich die neuen Juden? © privat
Historiker Wolfgang Benz und die Frage; sind Muslime wirklich die neuen Juden? © privat

IslamiQ: Mit der AfD zieht eine offen islamfeindliche Partei in den Bundestag. Was bedeutet das für die Entwicklung der Islamfeindlichkeit im Land?

Wolfgang Benz: Künftig wird die Denunziation des Islam auch im Parlament artikuliert werden. Was gegenüber Juden nicht möglich ist, nämlich pauschale Diskriminierung, ist zentraler Bestandteil des Programms der AfD: Diffamierung eines Kollektivs aufgrund von Herkunft, Kultur und Religion. Die Präsenz der AfD im Bundestag wird von Islamfeinden als Bestätigung ihrer Haltung empfunden. Damit droht ein Verlust an Demokratie.

IslamiQ: Der Satz: „Wir stehen als AfD an der Seite der jüdischen Gemeinschaft“, stieß unter vielen Juden auf Kritik, da die AfD auch antisemitische Positionen in den Parteireihen toleriert. Welches Ziel verfolgt die AfD also hier?

Benz: Das ist Anbiederung an eine Minderheit, die besonderen Schutz und besondere Aufmerksamkeit genießt. Tatsächlich gibt es keine fraktionierte Diskriminierung von Minderheiten. Wer Muslime denunziert ist deshalb kein Freund der Juden. Die Antisemiten in der AfD, von denen sich die Partei nicht durch deren Parteiausschluss distanziert, ist Beweis genug, dass „die jüdische Gemeinschaft“ missbraucht werden soll. Das geschieht nicht zum ersten Mal.

In der „Jerusalemer Erklärung“ haben Funktionäre europäischer Rechtsparteien den Schulterschluss mit israelischen Rechten gesucht. Das Bündnis mit jüdischen Siedlern folgte der Philosophie „der Feind meines Feindes ist mein Freund“. Die gemeinsame Abneigung gegen arabische Muslime überbrückt aber nicht fundamentale, nämlich kulturrassistische Emotionen der Feindschaft. Eine fremdenfeindliche Partei wie die AfD setzt grundsätzlich auf Ausgrenzung und das kann jede Gruppe treffen.

IslamiQ: Nach der Wahl wurde das Ergebnis der AfD mit dem Wahlausgang der NSDAP (Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei) im Jahr 1930 verglichen. Ist dieser Vergleich angemessen?

Benz: Nein. Weder von der Dimension noch von der Bedeutung her stimmt der Vergleich. Die AfD ist im Parlament isoliert, sie ist nicht bündnis- und nicht politikfähig. Sie stützt sich auf Protestwähler und bietet keinen dauerhaften Entwurf politischer Problemlösungen. Die AfD agiert nur durch Provokation. Dagegen stehen 87% der Bürger, die die AfD ablehnen.

IslamiQ: Die NSDAP forderte damals die Aberkennung der Staatsbürgerschaft bei Juden, die AfD fordert die Entziehung der Religionsfreiheit bei Muslimen, da der Islam ihrer Meinung nach keine Religion, sondern eine Ideologie sei. Entstehen Feindbilder nach einem gleichen Muster?

Benz: Ja. Feindbilder folgen einem einheitlichen Konstruktionsprinzip. Mit pauschalen Verdächtigungen, stereotypen Schuldzuweisungen und der Denunziation angeblicher Eigenschaften oder Verhaltensweisen lässt sich jede Minderheit als gefährlich, mehrheitsunverträglich, aggressive Ziele zum Schaden der Mehrheit verfolgend diffamieren.

Die Geschichte des Antisemitismus bietet dafür viele Beispiele. Ursprünglich wurden Juden wegen ihrer Religion ausgegrenzt. Dann wurden ihre Rasseeigenschaften als böse Triebkräfte propagiert. Als Ziele des Kollektivs „der Juden“ wurden deren angebliches Machtstreben, die ökonomische und politische Durchdringung der Welt behauptet und Abwehrmaßnahmen gefordert. Die Argumente der heutigen Islamfeinde sind die gleichen wie die der Antisemiten im 19. Jahrhundert.

Wolfgang Benz, 1941 in Ellwangen geboren, ist ein deutscher Historiker der Zeitgeschichte und international anerkannter Vertreter der Vorurteilsforschung, der Antisemitismusforschung und der NS-Forschung. Er lehrte von 1990 bis 2011 an der Technischen Universität Berlin und leitete das zugehörige Zentrum für Antisemitismusforschung, dessen Jahrbuch er bis 2011 herausgab. Außerdem leitete Benz 2008 eine eintägige Konferenz am Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung zum „Verhältnis von Antisemitismus und Islamfeindlichkeit“.

IslamiQ: Kritik an der Regierung Israels kann sich in Antisemitismus verlieren. Wo wird hier die Linie gezogen?

Benz: Kritik an Handlungen des Staates Israel sind nicht von vorneherein antisemitische Manifestationen. Das wollen aber Aktivisten zunehmend auch allen einreden, die aus Sorge um den Frieden in der Region, aus Sorge um Israel die Politik der Regierung oder einzelne ihrer Handlungen kritisieren. Ein früherer deutscher Bundespräsident, Johannes Rau, hat es sogar als Freundespflicht gesehen, Israel auch durch Kritik zu unterstützen. Weit entfernt davon sind jedoch pauschale Schmähungen und das Bestreiten des Existenzrechts Israels.

Da Antisemitismus in Deutschland öffentlich geächtet ist, benützen Judenfeinde gerne den Verweis auf Israel, um ihrem Hass auf Juden Raum zu geben. Wenn scheinheilig davon die Rede ist, man habe nichts gegen die Juden, bekämpfe aber den Zionismus und wenn das mit angeblichen „jüdischen Eigenschaften“ „bewiesen“ werden soll, dann sind die Grenzen zwischen Israelkritik und Judenfeindschaft überschritten. Dann sind Antisemiten am Werk.

IslamiQ: Antisemitismus, Sexismus, Gewaltbereitschaft und Intoleranz: diese Eigenschaften werden oftmals als „muslimische“ und „importierte“ Probleme gesehen. Warum?

Benz: Die Mehrheitsgesellschaft hat immer das Bedürfnis, Minderheiten auszugrenzen, indem sie ihnen gefährliche, unangenehme und unerwünschte Eigenschaften zuschreibt. Das gilt z.B. für Roma seit Jahrhunderten genauso wie für jede beliebige andere Minorität. Das sind sozialpsychologische Erscheinungen: Das Schlechte wird auf eine Minderheit delegiert, die Mehrheit ist dann auf der guten, der richtigen Seite und das ist für ihr Selbstverständnis, für ihre Identität sehr wichtig. Der Verweis auf die angeblichen schlechten Charaktereigenschaften der Angehörigen der Minderheit, die als „Beweise“ angeführt werden, hält der Überprüfung nicht stand.

Da aber geglaubt wird, dass Muslime, „Zigeuner“, Juden usw. die ihnen angedichteten Eigenschaften haben, findet die Überprüfung des Wahrheitsgehaltes gar nicht statt. Der Glaube an das Gute im Eigenen und das Böse im Anderen, im Fremden, ist stärker als der Wunsch, die Realität zu erfahren, die Problematik des Verhältnisses von Mehrheit und Minderheit und den Zweck der Konstruktion von Feindbildern zu erforschen. Es ist einfach bequemer, mit Feindbildern das Schlechte auf Minderheiten, auf Fremde, zu delegieren als sich mit Realitäten auseinander zu setzen.

IslamiQ: Wie können Vorurteile gegenüber Muslimen wirklich aufgebrochen werden?

Benz: Nur durch Aufklärung. Das dauert leider lange und ist schwierig. Schnelle Erfolge sind nicht zu erwarten. Ständiger Dialog auf Augenhöhe ist entscheidend, um die Parolen der Demagogen, die Lügen der Populisten zu entkräften. Die Demagogen sind durch Argumente nicht zu beeindrucken aber das Publikum muss immunisiert werden. In der Schule beginnend ist Aufklärungsarbeit, d.h. Überzeugung durch Fakten der erste Schritt zur Überwindung von Vorurteilen und Feindbildern.

IslamiQ: Die letzte Frage: sind Muslime wirklich die neuen Juden?

Benz: Nein. Wir dürfen es nicht zulassen, dass irgendeine Minderheit das Schicksal der Juden teilt. Wir hätten dann wirklich nichts aus unserer Geschichte gelernt und unsere Erinnerungskultur wäre nur Ritual.

Das Interview führte Esra Ayari. 

Leserkommentare

Johannes Disch sagt:
@Ute Fabel (Ihr Post vom 9.11.17, 13:52) -- "Rationale Islamkritik ist gut. Pauschale Islamfeindlichkeit ist auch okay." (Ute Fabel) Ein unseliger Satz. Eigentlich ein ungeheuerlicher Satz, mit dem Sie sofort für die AfD (und die NPD) kandidieren könnten. Ändern wir den Satz ein wenig, damit das ganze Ausmaß dieses Satzes deutlich wird. Ersetzen wir einfach 2 Vokabeln. Ersetzen wir "Islamkritik" durch "Judenkritik" und "Islamfeindlichkeit" durch "Judenfeindlichkeit." Dann lautet ihr Satz: - "Rationale Judenkritik ist okay. Pauschale Judenfeindlichkeit ist auch okay." Würden Sie den Satz noch immer unterschreiben???
10.11.17
17:41
Ute Fabel sagt:
@ Johannes Disch: Ich bin den abrahamitischen Religionen Christentum, Islam und Judentum pauschal feindlich eingestellt, weil ich sie unwahr, abergläubisch und chauvinistisch finde. Nicht pauschal negativ eingestellt bin ich den einzelnen Menschen, die mit diesen Religionen meist von der Frühkindheit indoktriniert wurden. Ich habe eine praktizierende jüdische Arbeitskollegin, der ich schon wiederholt unverblümt gesagt habe, dass ich die jüdische Religion ganz pauschal ablehne, sie völlig bescheuert finde und ich am Judentum nur die Ketzer wie Heinrich Heine oder Siegmund Freud bereichernd und interessant finde. Beschneidungen sind für mich unethische Körperverletzungen. Die Ernährungsregel, dass man Mich mit Fleisch nicht mischen soll, abergläubischer Nonsense von ahnungslosen Wüstennomaden. Das ärndert nichts daran, dass wir uns menschlich trotzdem gut verstehen. Die FPÖ und die AfD lehne ich im Übrigen ebenfalls ganz pauschal ab. Den einzelnen Wählern gegenüber hege ich hingegen keine Feindschaft. Ich möchte sie nicht aufgeben. Herrn Kurz halte ich für einen maßlos überschätzten Schnösel, der Kanzler um jeden Preis werden will.
14.11.17
16:30
Dilaver sagt:
@grege Islamkritik ist nichts anderes als verklausulierte Islamfeindlichkeit. Mehr nicht. Dass Sie mich deswegen als "Extremisten" beschimpfen, ehrt mich.
14.11.17
17:39
grege sagt:
@ Dilaver, Sie hassen Homosexuelle und Islamkritik, was Ihre geistige Nähe zum vierten Reich aufzeigt. Da muss ich Ihrem Wunschislam ablehnend gegenüberstehen. Danke für die Blumen
15.11.17
18:32
Manuel sagt:
@Dilaver: Ja weil Sie einer sind, wir leben hier aber nicht in einem islamischen Staat, wo Nicht-Moslems unterdrückt und fertig gemacht werden und da haben Sie Islamkritik zu akzeptieren, punkt!
15.11.17
19:40
Ute Fabel sagt:
@ Johannes Disch: Ich bin der Astrologie, der Homöopathie, Scientology, dem Maoismus und dem Hinduismus pauschal negativ eingestellt. Was spricht dagegen, wenn ich die christliche, jüdische und islamische Religion auch auf dieser Liste hinzufüge. Einstein hat in einem Brief die jüdische Religion in einem Brief an den Philosophen Eric Gutkind als kindischen, primitiven Aberglauben bezeichnet. Thomas Edison, der der Menschheit mit der Erfindung der Glühbirne viel Licht gebracht hat, sagte „Religion is all bunk“. (englisch „ bunk“ = Schwachsinn). Warum immer um den heißen Brei herumreden, anstatt die Dinge beim Namen zu nennen?
15.11.17
19:49
Dilaver sagt:
@Grege Ich lasse mich von jemandem mit unzweifelhaft brauner Gesinnung wie Sie nicht in die Nähe von Ihresgleichen rücken. Außerdem: Woher wollen Sie mir unterstellen, dass ich Menschen mit einer bestimmten sexuellen Präferenzstörung hasse? Die tun mir nur Leid, mehr nicht. Sie haben ja eine blühende Phantasie. Ziemlich pikant, dass Sie mir hier Hass unterstellen, wo Sie doch selbst unzweifelhaft einen Hass auf den Islam haben, den Sie hier bei jeder Gelegenheit zum Ausdruck bringen. @Manuel Sie haben zu akzeptieren, dass Leute Ihrer Gesinnung kein Recht auf Freiheit haben. Egal wo. Leute wie Sie brauchen glasklare Ansagen, die Sie zu befolgen haben. Mehr steht Ihnen nicht zu. Andernfalls droht Ihnen Ärger.
16.11.17
17:34
Johannes Disch sagt:
@Ute Fabel (Ihr Post vom 15.11.17, 19:49) - "Warum immer um den heißen Brei herumreden, anstatt die Dinge beim Namen zu nennen?" (Ute Fabel) Na, dann nennen wir doch ihre Haltung das, was sie ist: rassistisch. Ich beziehe mich auf ihre Aussage: "Pauschale Islamfeindlichkeit ist auch okay." (Ute Fabel). Nein, ist sie nicht. Das sieht auch der Gesetzgeber so. Einer Sache ablehnend oder negativ gegenüberzustehen ist etwas völlig anders, als ihr feindlich gesinnt zu sein. Ihr Satz: "Pauschale Islamfeindlichkeit ist auch okay" ist nicht zu retten.
16.11.17
18:20
Ute Fabel sagt:
@Johannes Disch: Sie können offenbar nicht zwischen Diskriminierung aus ethischen Gründen und scharfer Religions- und Weltanschauungsablehnung unterscheiden, die Bestandteil des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung ist. Hier nochmals zur Veranschaulichung: "Pauschale Scientology-Feindlichkeit ist völlig ok" "Pauschale AfD-Feindlichkeit ist völlig ok" "Pauschale FDP-Feindlichkeit ist völlig ok" "Pauschale Maoismus-Feindlichkeit ist völlig ok" "Pauschale Kemalismus-Feindlichkeit ist völlig ok" "Pauschale Islam-Feindlichkeit ist völlig ok" "Pauschale Türken- und Araberfeindlichkeit ist rassistisch" "Pauschale Chinesenfeindlichkeit ist rassistisch"
17.11.17
12:22
Johannes Disch sagt:
@Ute Fabel (Ihr Post vom 17.11.17, 17:22) Lassen wir den Kinderkram. Es ist ein Unterschied, ob ich etwas ablehne oder ihm feindlich gesinnt bin. Hätten die Nazis die Juden "nur" abgelehnt, so hätte das ja noch irgendwie gut gehen können. Aber nein, sie waren Ihnen feindlich gesinnt. Und einen Feind versucht man zu besiegen oder gar zu vernichten. Genau: Pauschale Christenfeindlichkeit ist rassistisch. Jede pauschale Feindlichkeit ist rassistisch, da sie nicht mehr differenziert. Frau Fabel, Sie sollten einsehen, wenn Sie verloren haben. Durch aussichtslose Gegenpostings machen Sie sich nur lächerlic h. Sie sind eine Fundamental-Atheistin. Das ist keine rationale Diskussionsgrundlage. Das war meine letzte Antwort an Sie, da ich Fundamentalisten jeglicher Couleur-- ob religiös oder atheistisch-- nicht mag und für äusserst gefährlich halte. Aber Sie finden sicher noch genügend Gesprächspaertner, die sich auf Sie einlassen. Ich wünsche Ihnen noch eine schöne Zeit hier bei "IslamiQ."
20.11.17
21:48
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