Der sog. “liberale Islam“ will als säkulare und humanistische Alternative zum “konservativen Islam“ dienen. Welche Probleme ein liberal-islamisches Denken birgt und was er bedeutet, erklärt IslamiQ-Chefredakteur Ali Mete.
Immer öfter wird von einem „liberalen Islam“ gesprochen. Sogenannte „praktizierende Muslime“ wie auch „Kulturmuslime“, die sich als liberale, humanistische, säkulare usw. Muslime bezeichnen, melden sich vermehrt zu Wort. In diesem Beitrag sollen Positionen zum liberalen Islam und Probleme liberal-islamischen Denkens dargestellt werden.
„Liberale Muslime“, so die gängige Bezeichnung, möchten ein „humanistisches, modernes und aufgeklärtes Islamverständnis im zeitgemäßen Kontext“ fördern. Sie fordern u. a. eine moderne, historisch-kritische Lesart des Korans, eine humanistische, individualisierte Theologie, geschlechtergemischte Gebete ohne Bekleidungsvorschriften und mit Predigten auf deutsch, aber mit der Möglichkeit, das diese von „Imaminnen“ geleitet werden. „Liberale Muslime“ fordern zudem die Einbindung in die Vertretungsstrukturen der Muslime in Deutschland, einen „humanistisch orientierten“ islamischen Religionsunterricht und mehr Einsatz im Kampf gegen Gewalt und Extremismus.[1] Ferner gehören auch Themen wie die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die Akzeptanz und Inklusion Homosexueller in die muslimische Gemeinschaft zum Grundbestand liberal-islamischer Anliegen.[2]
Wie viele „liberale Muslime“ es gibt, ist in der Gesamtheit nur schwer festzustellen. Bekannt ist, dass der 2010 gegründete Liberal-Islamische Bund (LIB) und damit der älteste der wenigen Vereine und Gesprächsgruppen des „liberalen Islams“ deutschlandweit lediglich 350 Mitglieder hat.[3] Gemeinden gibt es in Köln, Frankfurt und Berlin, während in Stuttgart, Hamburg und im Raum Ennepe-Ruhr einzelne Gruppen bestehen.[4] Zum Vergleich: Die vier größten islamischen Religionsgemeinschaften in Deutschland[5] vertreten ca. 85 Prozent der 2500 Moscheegemeinden in Deutschland und damit einen großen Teil des muslimischen Gemeindelebens.[6] Die Islamische Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) mit Sitz in Köln, um ein Beispiel zu nennen, ist nur ein, wenn auch das größte Mitglied des Islamrates. Sie besteht mit ihren Vorgängerorganisationen seit den 70er Jahren, hat 36 Regional-/Landesverbände (davon 16 in Deutschland), mehr als 2300 Ortsgemeinden, 613 Moscheen, über 20.500 ehrenamtliche Funktionäre und rund 146.000 Mitglieder weltweit.[7]
Von liberal-muslimischen Akteuren ist des Öfteren zu hören, sie würden der „schweigenden Mehrheit der Muslime“ eine Stimme geben, nämlich jener, die sich nicht durch die etablierten islamischen Religionsgemeinschaften vertreten fühle. So schreibt Lamya Kaddor: „Doch wir liberalen Muslime, wir, die schweigende Mehrheit, müssen sie (die „Orthodoxen“, AM) davon überzeugen, das ein bisschen mehr Machtverteilung, ein bisschen mehr Ausgleich und Kompromissbereitschaft am Ende allen guttun werden.“[8] Doch um welche Macht geht es hier? Die bestehenden islamischen Religionsgemeinschaften haben die Aufgabe und den Anspruch, für ihre Gemeinschaften zu sprechen und sich für ihr Islamverständnis stark zu machen – nicht mehr und nicht weniger. Die Gemeinschaften stehen für keinen Islam, der von oben herab „etabliert“ wird.
Der inzwischen medial präsente Abdel-Hakim Ourghi, Mitglied der Interessengruppe „Säkulare Muslime“ und Verfasser des Buches „Reform des Islam“ sieht das anscheinend anders. Er setzt einen Gegensatz zwischen Konservatismus und Modernismus/Humanismus voraus und schreibt, dass „die muslimischen Dachverbände nicht in die geeigneten Ansprechpartner des Staates und der beiden Kirchen sind“, da sie „einen konservativen Islam vertreten“ und daher „keine Garantie für die Etablierung eines modernen und humanistischen Islam“ seien.[9] Ihm schwebt vielmehr ein Rat vor, „der sich aus Mitgliedern konservativer Verbände sowie Mitgliedern eines reformierten liberalen Islams zusammensetzt“.[10]
Die Politik unterstützt liberale Bestrebungen, um die „Vielfältigkeit des Islam“ zu fördern.[11] Nur einige Beispiele: Die Gründungsversammlung des Verbands Demokratisch-Europäischer Muslime (VDEM) fand 2010 mit Unterstützung des Aachener Oberbürgermeisters Marcel Philip statt.[12] Das Muslimische Forum Deutschland (MFD) wurde mit finanzieller und organisatorischer Unterstützung der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung gegründet.[13] Der Kölner Friedensmarsch #Nichtmituns[14], welcher von der LIB-Gründerin Lamya Kaddor und dem Aktivisten Tarek Mohamad initiiert und organisiert wurde, fand einen großen und prominenten Unterstützerkreis aus der Politik und Gesellschaft[15]. Trotzdem haben am Ende nach Polizeiangaben lediglich bis zu 1000 Personen teilgenommen.[16]
Entgegen der unverhältnismäßigen Präsenz und Förderung liberaler Muslime vonseiten der Politik und der Medien ist die Zahl der Veröffentlichungen liberaler Vereine qualitativ und quantitativ recht überschaubar. Auf der Homepage des 2010 gegründeten LIB befinden sich insgesamt sieben recht kurze und teilweise rudimentäre und so gut wie gar nicht mit Quellen belegte Positionspapiere, denen man bestenfalls ansatzweise liberal-islamische Positionen und Ideen entnehmen kann, sowie knapp 40 größtenteils frei geschriebene „Freitagsgedanken“. Die jüngste auf der Seite auffindbare Pressemitteilung ist von Ende 2015, der letzte Medienbeitrag von Mitte 2016.[17] Auf den Internetpräsenzen anderer, noch kleinerer Gruppen sieht es nicht besser aus.
Etwas mehr findet man auf dem deutschsprachigen Buchmarkt, auch wenn es sich hierbei um Werke von Einzelpersonen und nicht Einrichtungen handelt und es in diesen Büchern nicht systematisch um „den liberalen Islam“, sondern eher um einzelne Aspekte und Perspektiven eines „zeitgemäßen Islams“ geht. Hierzu gehören z. B. Lamya Kaddors „Muslimisch – weiblich – deutsch! – Mein Weg zu einem zeitgemäßen Islam“ (2010), Hilal Sezgins „Mohammed und die Zeichen Gottes – Der Koran und die Zukunft des Islam“ (2008) oder Mouhanad Khorchides „Gott glaubt an den Menschen – Mit dem Islam zu einem neuen Humanismus“ (2015), „Scharia – der missverstandene Gott. Der Weg zu einer modernen islamischen Ethik“ (2013) und „Islam ist Barmherzigkeit. Grundzüge einer modernen Religion“ (2012).
Muslime und islamische Vereinigungen, die sich über Label wie „liberal“, „säkular“, „humanistisch“ usw. definieren, beanspruchen für sich, eine in den Hintergrund gedrängte, vergessene Strömung des Islams zu repräsentieren, die „über Jahrhunderte hinweg von vielen muslimischen Denkern weitergetragen“[18] worden sei. Aus dieser Position ergeben sich einige Probleme.
Das erste Problem ist der Name: „liberaler Islam“. Der Begriff „liberal“ ist ein moderner politischer (Kampf)Begriff und lebt von der Abgrenzung. Denn „(e)ine politische oder soziale Handlungseinheit konstituiert sich erst durch Begriffe, kraft derer sie sich eingrenzt und damit andere ausgrenzt und d. h. kraft derer sie sich selbst bestimmt.“[19] Dessen scheint sich zumindest der LIB bewusst zu sein, da er sonst nicht klarstellen würde, dass „das Wort ‚liberal’ kein auf den politischen Kontext begrenzter Begriff“ sei und „nichts anderes als ‚freiheitlich (gesinnt)’ und ‚vorurteilsfrei’“ bedeute.[20] Aber trotzdem vergleicht LIB-Gründerin Lamya Kaddor das Verhältnis von „Orthodoxie“ und „liberaler Auffassung“ mit „unserem funktionierenden politischen System“: „Wir können darin die verschiedenen Grundeinstellungen zwischen Konservatismus, Liberalismus und Sozialismus beobachten.“[21]
Jedoch ganz und gar nicht vorurteilsfrei versuchen „liberale Muslime“ oft, sich begrifflich, politisch und theologisch von anderen Muslimen und deren Gemeinschaften abzugrenzen, wobei deren Selbstbezeichnung „islamische Religionsgemeinschaft“ tunlichst gemieden wird. Diese oft drastische, bei liberalen Akteuren wie Abdel-Hakim Ourghi fast schon kriminalisierende Art der Profilierung durch Abgrenzung beruht nicht auf Gegenseitigkeit. Während etwa Ourghi islamischen Religionsgemeinschaften fast jedwede Befugnis und das Existenzrecht abspricht[22], haben Vertreter und Vertreterinnen der etablierten islamischen Religionsgemeinschaften liberale Aktivitäten bisher kaum wahr- oder ernstgenommen und berechtigterweise nur wenig Bedarf verspürt, sich abzugrenzen. Sie haben früh erkannt, dass es sich um eine Scheindebatte handelt und sich nicht auf die „politische Denkschablone“ liberal-konservativ eingelassen.[23]
Die Abgrenzung liberaler Muslime von den Vertretern eines traditionellen Islams steht in einem Spannungsverhältnis zum Versuch, ihr Denken in der islamischen Tradition zu verankern, allein schon deshalb, um den Anschein, ein Kind der Moderne zu sein, zu vermeiden, was ja schon der zeitgenössische Begriff „liberal“ nahelegt.
Um diesen Eindruck zu vermeiden wird nach Anknüpfungspunkten in der islamischen Tradition gesucht. Hierbei fallen die Namen von Strömungen wie der Mutazila und Gelehrten wie Ibn Hazm (gest. 1064), Ibn Ruschd (gest. 1198), Ibn Arabî (gest. 1240), Schâtibî (gest. 1388), Dschamal ad-Dîn al-Afgâni (gest. 1897), Muhammad Abduh (gest. 1905) und Muhammad Ikbal (gest. 1938). Denn dem LIB zufolge ist der liberal-islamische Ansatz „weder eine Erfindung des Abendlands noch eine der Moderne“: „Zu allen Perioden der islamischen Geschichte hat es wichtige spirituelle Vorbilder (z. B. Ibn Arabi, 1165-1240), Gelehrte (z. B. Muhammad Abduh, 1849-1905) und reformatorische Bewegungen (z. B. die Mu’tazila ab dem 8. Jhd.) gegeben, die den Islam in seinen freiheitlichen Aspekten betonten.“[24
Es bleibt bei der bloßen Nennung dieser Personen. Eine tiefergehende Erörterung, inwiefern die Mutazila und die genannten Gelehrten für ein liberal-islamisches Verständnis stehen, gibt es von Seiten der liberalen Vereine nicht. Lediglich Mouhanad Khrochide behandelt in seinen Büchern diese und ähnliche Frage, jedoch nur oberflächlich und nicht in gebotener akademischer Manier, da die Bücher laut eigenen Angaben auf eine „auch für Laien verständliche Weise“[25] geschrieben wurden.
Ohnehin ist fraglich, inwieweit eine zu ihrer Entstehungszeit wichtige Bewegung wie die Mutazila, für teilweise salopp daherkommende liberale Bestrebungen herhalten kann. Allein die Betonung der Vernunft bei der Mutazila als gemeinsames Merkmal hinzustellen, ist zu kurz gegriffen. Dies wird der Mutazila nicht gerecht, die u. a. aus dem Bedarf heraus entstanden ist, den islamischen Glauben angesichts der Glaubenslehren systematisch zu erklären bzw. zu verteidigen, weshalb sie besonders in den damaligen Metropolen Kufa und Basra stark vertreten war.
Die Vernunft bzw. Ratio (Akl) war ein – zentrales und wichtiges – Mittel der Mutazila, aber kein Selbstzweck. Unter ihren folgenden fünf zentralen Prinzipien befindet sich kein „Prinzip der Vernunft“: 1. die Einheit Allahs (Tawhîd), 2. die Gerechtigkeit Allahs (Adl), 3. die Verheißung und Drohung (al-Wad wa al-Waîd), 4. die Zwischenstellung zwischen zwei Aufenthaltsorten (al-Manzila bayn al-Manzilatayn) und 5. das Gebieten des Guten und das Verbieten des Verwerflichen (al-Amr bil-Maruf wan-Nahy anil-Munkar).[26]
Die starke Bezugnahme auf die Mutazila bei heutigen liberalen Muslimen hinterlässt den Eindruck als wären alle anderen Denkschulen gegen den Einsatz rationaler Argumente und würden sich ausschließlich an den Wortlaut halten. Dieser verengte und vermutlich auch dem aktuellen Image des Islams geschuldete Blick ist nicht zutreffend, jedoch aufschlussreich hinsichtlich der Vorstellung vermeintlich liberal denkender Muslime. Denn so einflussreich die Mutazila auch war, im Zuge von zahlreichen Disputen durchgesetzt haben sich mit der Aschariyya und der Maturidiyya zwei Theologieschulen, die ihre Aufgabe darin sahen, dem rationalistischen Gedankengebäude der Mutazila eine ebenfalls auf rationalistischen Argumenten beruhende Verteidigung der islamischen Glaubensfundamente entgegen zu stellen. Die Mehrheit der in Deutschland lebenden Muslime folgt – bewusst oder unbewusst – der Maturidiyya, da diese unter Hanafiten traditionell vorherrschend ist.[27]
Ähnlich verhält es sich mit der Bezugnahme auf bestimmte Gelehrte. Im LIB-Positionspapier zur Homosexualität wird auf Ibn Hazm verwiesen, demzufolge die Überlieferungen zu homosexuellen Akten „allesamt als gänzlich zweifelhaft und unzuverlässig“ seien. „Liwat galt Ibn Hazm als Form von außerehelicher Sexualität als sündhaft, er erkannte jedoch ihre von anderen Gelehrten betriebene weitere Kriminalisierung nicht an und betrachtete eine solche als nicht im Einklang mit den eigentlichen Quellen des Islams.“[28] Nun muss man aber wissen, dass der andalusische Rechts- und Hadithgelehrte Ibn Hazm einer der bekanntesten Vertreter der kleinen und kurzlebigen Zâhiriyya war. Das Hauptmerkmal dieser Rechtsschule war ihr unbeirrbares Festhalten an dem Wortlaut der Quellen, weshalb z. B. Schâtibî die Zahiriyya stark kritisierte und Ibn Hazm in die Nähe der Hâridschiten rückte, die wiederum so gar nicht freiheitlich-liberal waren. Vor diesem Hintergrund ist verwunderlich, dass sich das Positionspapier auf Ibn Hazm bezieht und kann nur mit Mangel an Alternativen bzw. fehlender Expertise erklärt werden.
Ein Kennzeichen bzw. Problem liberal-islamischen Denkens ist die ambivalente Haltung gegenüber dem Idschma und den Hadithen mit gleichzeitiger Betonung des Idschtihads. Einerseits ist diese Haltung nachvollziehbar, denn ohne die Infragestellung von Hadith und Idschma wären viele Positionen und Wünsche liberaler Muslime gar nicht mehr islamisch-theologisch begründbar. Die Gefahr der ausartenden Individualisierung und der damit verbundenen Methodenlosigkeit bei der Urteilsfindung in theologischen Fragen ist groß. Denn Idschtihad heißt nicht einfach nur, dass man von seinem Verstand Gebrauch macht und vom Wortlaut der deutschen Koranübersetzung seinen Glauben und seine religiöse Praxis ableiten könnte.
Vor diesem Hintergrund ist auffällig, dass sich keiner der liberal-islamischen Gruppen damit auseinandersetzt, unter welchen Bedingungen, von wem und mit welchen Qualifikationen ein Idschtihad heute vorgenommen werden kann. Einfach nur theologisch bewandert zu sein, reicht – vor allem angesichts der heutigen komplexen Lebensrealität – bei weitem nicht aus.
Welche Folgen eine theologische Individualisierung gepaart mit Methodenlosigkeit haben kann, kann anhand einiger Beispiele verdeutlicht werden.
In einem „Freitagsgedanken“ des LIB macht sich Katharina F. Gedanken über das Opfern und Spenden. Sie kommt zu dem Ergebnis: „Meiner Ansicht nach muss heutzutage nicht unbedingt ein Tier geopfert werden, sondern es geht hauptsächlich darum etwas von sich für andere zu geben bzw. andere am Opfer teilhaben zu lassen. Und ob ich nun Geld spende, damit irgendwo auf der Welt ein Tier geschlachtet und dessen Fleisch an Bedürftige verteilt wird oder ob ich es spende damit die bereits erwähnten Hilfsgüter verteilt werden, ist eigentlich egal. Ich denke, dass beides als Opfergabe von Gott angenommen wird.“[29]
Ein anderer Text derselben Verfasserin beschäftigt sich mit der Frage der Sprache beim Gebet und kommt zum Schluss: „Wo steht im Koran geschrieben, dass das Gebet auf Arabisch Pflicht ist? Nirgends. Ein solches Gebot existiert nicht. Das Argument mancher Muslime, dass man auf Arabisch beten müsse, weil der Koran auf Arabisch offenbart wurde, ist falsch. Man kann ohne Bedenken auch auf Deutsch oder jeder anderen Sprache beten.“[30]
Damit hat Katharina F. quasi aus dem Stegreif heraus zwei tief verwurzelte religiöse Praktiken problematisiert und in wenigen Sätzen einer für sich selbst plausiblen Lösung zugeführt. Man kann, wenn man die nötige Qualifikation dazu hat, den Idschma kritisieren und auch Hadithkritik betreiben. Das ist das Tagesgeschäft muslimischer Gelehrter und Akademiker. Aber schreit das Vorgehen wie es hier geschildert wird, nicht gerade nach dem Vorwurf der Beliebigkeit, den liberale Muslime strikt von sich weisen? Denn mit derselben Logik könnte ohne Weiteres das fünfmalige Gebet auf zwei oder drei reduziert, das Fasten auf den Verzicht von einigen wenigen Genüssen und Gewohnheiten abgestuft oder das Kopftuch abgeschafft werden, wie es Lamya Kaddor ja bereits getan hat: „Gott verlangt sittsames Verhalten. […] Das Kopftuch spielt in meinem Deutschland des 21. Jahrhunderts keine Rolle mehr.“[31]
Es drängt sich der Verdacht auf, liberalen Muslimen gehe es darum, bestimmte Lebensentwürfe theologisch zu begründen. In einem Schweizer Papier wird das deutlich: „Die Reformziele […] umfassen die Anpassung des Islam an die Erfordernisse des heutigen gesellschaftlichen Lebens, die Konformität mit den UNO-Menschenrechtsdeklarationen und den Willen, als BürgerInnen und MuslimInnen einen Beitrag zur Bewältigung der Zukunftsprobleme der Menschheit zu leisten.“[32] In der Religion wird somit nicht mehr etwas Wesentliches gesehen, dass das Leben ordnet, sondern als etwas, das beliebig und zum eigenen Vorteil geordnet werden kann und muss.
Der Islam ist nie statisch gewesen, schon gar nicht so wie ihn vermeintlich liberal denkende Menschen sehen möchten, um ihn gemäß ihren Vorstellungen neu zu ordnen. Selbstverständlich gab und gibt es Muslime, die Fehler machen, ein verzerrtes Verständnis ihrer Religion haben oder Erlaubtes für verboten und Verbotenes für erlaubt erklären. Doch schon immer hat es Bewegungen und Gelehrte gegeben, die mit Wissen, Demut und Hingabe versucht haben, diese Missstände zu korrigieren, indem sie aus der unendlichen Fülle koranischer und prophetischer Weisheit und der Methoden, die im Laufe der Jahrhunderte entwickelt wurden. In diesem Rahmen können Muslime ihre Religion reflektieren und praktizieren. Der Islam bedarf keiner Pseudoreform, schon gar nicht einer vermeintlich liberalen, denn der Islam ist immer und überall lebbar.
[1] http://saekulare-muslime.org/freiburger-deklaration/
[2] https://lib-ev.jimdo.com/wir-%C3%BCber-uns/
[3] http://www.badische-zeitung.de/deutschland-1/heftige-angriffe-gegen-liberale-muslime–138705010.html
[4] http://www.liberale-muslime-deutschland.de/
[5] Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB); Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland (IRD); Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) und Verband islamischer Kulturzentren (VIKZ)
[6] http://www.deutsche-islam-konferenz.de/DIK/DE/Magazin/Gemeindeleben/BekanntheitOrg/bekanntheit-org-mld-node.html
[7] Tätigkeitsbericht bei der 9. Hauptversammlung der IGMG, S. 39, https://www.igmg.org/wp-content/uploads/2016/05/IGMG_Genel-Kurul_Inhalt_160509_mudu.pdf
[8] „Muslimisch – weiblich – deutsch! – Mein Weg zu einem zeitgemäßen Islam“, Lamya Kaddor, München 2010, S. 85.
[9] „Der Islam und die Muslime in Deutschland“, in: „Islam und Staat“, Gerda Hasselfeldt, Ursula Männle (Hrsg.), Berlin 2017, S. 16.
[10] http://saekulare-muslime.org/freiburger-deklaration/index.html
[11] So NRW-Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) in einem Bericht auf RP ONLINE. In der gleichen Nachricht hießt es ironischerweise: „Wichtig sei, dass sich keine religiöse Gemeinschaft vor einen politischen Karren spannen lasse, ganz gleich aus welcher Himmelsrichtung.“ http://www.rp-online.de/nrw/landespolitik/nrw-unterstuetzt-liberale-moscheen-nach-dem-vorbild-der-ibn-rushd-goethe-moschee-in-berlin-aid-1.7000328
[12] http://www.vdem.eu/, 9.8.2017
[13] https://www.islamiq.de/2015/10/08/zweiter-anlauf-eines-fragwuerdigen-projekts/
[14] http://www.ramadan-friedensmarsch.de/
[15] http://www.ramadan-friedensmarsch.de/seiten/unterzeichnerinnen.html
[16] https://www.landtag.nrw.de/Dokumentenservice/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD17-280.pdf
[17] https://lib-ev.jimdo.com/medien-presse/pressemitteilungen-archiv/
[18] „Liberaler Islam“ – Positionspapier des Liberal-Islamischen Bundes e.V., https://lib-ev.jimdo.com/inhalte-und-ziele/positionspapiere/, S. 1.
[19] „Zur historisch-politischen Semantik asymmetrischer Gegenbegriffe“, Reinhart Koselleck, in: „Positionen der Negativität“, Harald Weinrich (Hg.), München 1979, S. 65.
[20] „Liberaler Islam“, ebd.
[21] „Muslimisch – weiblich – deutsch!“ S. 87.
[22] „Der Islam und die Muslime in Deutschland“, S. 11 ff.
[23] „Islam ohne Seele oder alles nur PR?“, Muhammad Sameer Murtaza, http://islam.de/20577
[24] „Liberaler Islam“, S. 2.
[25] „Islam ist Barmherzigkeit. Grundzüge einer modernen Religion“, Mouhanad Khorchide, Freiburg im Breisgau 2012, S. 27.; „Scharia – der missverstandene Gott. Der Weg zu einer modernen islamischen Ethik“, Mouhanad Khorchide, Freiburg im Breisgau 2013, S. 22.
[26] „Mu’tezile“, TDV İslam Ansiklopedisi, Bd. 31, S. 391 ff., http://www.islamansiklopedisi.info/dia/pdf/c31/c310262.pdf
[27] „Mâtürîdiyye“, TDV İslam Ansiklopedisi, Bd. 28, S. 165 ff., http://www.islamansiklopedisi.info/dia/pdf/c28/c280089.pdf
[28] „Homosexualität im Islam“ – Positionspapier des Liberal-Islamischen Bundes e.V., https://lib-ev.jimdo.com/inhalte-und-ziele/positionspapiere/
[29] „2016_09_02: „Opferfest und Spenden““, von Katharina F., https://lib-ev.jimdo.com/freitagsgedanken/
[30] „2016_04_08: „Darf man auf deutsch beten?““ v. Katharina F., https://lib-ev.jimdo.com/freitagsgedanken/
[31] „Muslimisch – weiblich – deutsch!“ S. 56.
[32] http://www.forum-islam.ch/de/reformbewegungen/index.php